Plädoyer für die Lüge

Lügen sind in demokratischen Gemeinschaften unvermeidlich und ermöglichen durch die Akzeptanz menschlicher Unvollkommenheiten tiefere Verbindungen und ein lebendiges soziales Miteinander, das nicht allein auf Fakten und Vernunft beruht.

Loblied auf Ulysses – von Lana Bastašić

Die bosnische Autorin Lana Bastašić beschreibt, wie James Joyces *Ulysses* ihr Leben und Schreiben prägte, indem es sie lehrte, stets nach dem zu fragen, was uns Menschen trotz aller Unterschiede verbindet.

Kirche – noch in 2.000 Jahren

Maurice Blondel strebt eine Harmonisierung von integraler Philosophie und Christentum an, um eine auf natürlichen und übernatürlichen Prinzipien basierende, friedvolle Zivilisation zu entwickeln, die die Herausforderungen der modernen Gesellschaft und deren Säkularisierung überwindet.

Terry Bisson BEARS DISCOVER FIRE

Die Geschichte „Bears Discover Fire“ von Terry Bisson handelt von einem Mann, seinem Bruder, einem Prediger, und dessen Sohn, die auf dem Weg zu ihrer Mutter, die in einem Pflegeheim lebt, auf der Interstate I-65 eine Reifenpanne haben. Bei der Reparatur des Reifens begegnen sie zwei Bären, die Fackeln tragen, was darauf hindeutet, dass Bären…

Was ist Gott?

Von den abrahamitischen Religionen bleibt das Christentum die progressivste, indem es Gott – über den Heiligen Geist – in die Gemeinschaft der Gläubigen verlegt. Dies kann allerdings zu einer Überschätzung des Menschen führen. Hat es auch. Denn der Mensch ist nicht vollendet, auch als Gruppe nicht. Es geht dem Subjekt, immer etwas ab. Dieser Spielraum,…

Liebe und Scham

In Platons Symposion präsentiert Aristophanes, einer der anwesenden Gäste, als Komödiendichter eine humorvolle, aber extrem einflussreiche Rede über die Natur der menschlichen Liebe. Er erzählt eine Schöpfungsgeschichte, in der die ursprünglichen Menschen vier Arme, vier Beine und zwei Gesichter hatten. Diese Wesen waren sehr mächtig und stellten eine Bedrohung für die Götter dar.   Aus…

Petronius Arbiter SATYRICON

Denn niemand glaubt, dass der Himmel der Himmel ist, niemand hält ein Fasten, niemand kümmert sich einen Deut um Jupiter: Sie alle schließen ihre Augen und zählen ihren eigenen Gewinn. Früher stiegen die verheirateten Frauen in ihren Stolas barfuß auf den Hügel, reinen Herzens und mit offenem Haar, und beteten zu Jupiter um Regen! Und…

Driving Miss Daisy

… einer der Filme, der sich mir, obwohl ich sonst viel vergesse, „Bild für Bild“ eingeprägt hat. Es ist eine originelle Adaption von „Der Widerspenstigen Zähmung“ und gipfelt in eine entsprechenden Szene, auf die ich hier zeige. Wahrscheinlich kommt sie nicht so stark rüber, aus dem Zusammenhang gerissen. Der Film hat mit den Lektionen zu…

Der Körper ist erstaunlicher als die Seele

Zwischen Wachen und Träumen kein wesentlicher Unterschied. Wie unsere Träume nichts sind, als ganz willkürliche Interpretationen unserer Nervenreize während des Schlafens, wo nur immer ein anderer Trieb der zufällige Souffleur ist, so ist unser ganzes Bewusstsein ein mehr oder weniger phantastischer Kommentar über einen unbewussten, vielleicht unwißbaren, aber gefühlten Text. Friedrich Nietzsche

Mein Dante

Neulich wandte ich mich an das Mitteilungsblatt der Deutschen Dante Gesellschaft mit der Bitte, auf mein Buch Die Göttliche Komödie: Nacherzählt für Kinder und ihre Eltern hinzuweisen, das ich als „Jona Tomke“ veröffentlicht habe. Das Pseudonym dient mir zu Nacherzählung klassischer Stoffe (Homer, die Groß-Epen des Hinduismus – demnächst Vergil und Beowulf . . .)…

Liebesbriefe

Wenn ich mir meine alten Liebesbriefe anschaue – sie sind leider zu gut geschrieben. Je besser der Ausdruck, mit desto größer die Skepsis, welche er einflößt. Zumindest in Liebesdingen. Sind die besseren Liebesbriefe nicht eher solche, in denen Grammatik und Zeichensetzung versagen? >Hi Maria my sweetheart,baby and sunshine bear I try to call you at…

Anaximander

Woher die Dinge ihre Entstehung haben, dahin müssen sie auch zugrunde gehen nach der Notwendigkeit; denn sie müssen Buße zahlen und für ihre Ungerechtigkeiten gerichtet werden gemäß der Ordnung der Zeit. 

Franz Kafka

Es gibt zwei menschliche Hauptsünden, aus welchen sich alle andern ableiten: Ungeduld und Lässigkeit. Wegen der Ungeduld sind sie aus dem Paradiese vertrieben worden, wegen der Lässigkeit kehren sie nicht zurück. Vielleicht aber gibt es nur eine Hauptsünde: die Ungeduld. Wegen der Ungeduld sind sie vertrieben worden, wegen der Ungeduld kehren sie nicht zurück.

Nadia Comăneci

Nadia Comaneci Reflects on her Perfect 10, 41 Years Later Former Romanian gymnast Nadia Comaneci, who at 14 became the first woman to score a perfect 10, reflects on that gold-medal performance at the 1976 Summer Olympic Games in Montreal. „The older I get, I realize that what I’ve done was such a big thing,“…

Dilmun – das Paradies der Sumerer

In Dilmun verstummt der Schrei der Krähe Der Löwe tötet nicht Der Wolf reißt nicht das Lamm Der wilde Hund, Verschlinger der Kinder, ist unbekannt Mythos von Enki und Ninḫursanga

Bir Başkadır – Etwas ganz besonderes

Die Serie gehört zu dem Schönsten, was ich seit langem auf Netflix gesehen habe. Sie spielt gewissermaßen auf dem Läuterungsberg der Göttlicher Komödie, vor den Toren des Paradieses. Die Menschen kämpfen und können die Schuld nicht abschütteln, die zu leben bedeutet. Aber jeder von ihnen verdient es, gerettet zu werden, weil sie im Grunde offen…

Timmermans A CHRISTMAS TRIPTYCH | Centre Panel

The day before, as evening was falling, a creaking old caravan had passed along the street in the driving snow pulled by an old man and a dog. Behind the window-pane looked the pale face of a thin young woman who was pregnant and had large anxious eyes. They had passed on their way, and…

Echtheit dank Schminke

Dolly Parton wirkt vollkommen authentisch durch ihren Putz. Man möchte beinahe meinen, wer sich nicht so schminkt, hat etwas zu verbergen. Verglichen mit ihr kommen z. B. Patti Smith oder Joan Baez eindimensionaler herüber, polarisierender. Parton scheint dagegen in der Lage, die widersprüchlichsten Gruppierungen einzubinden, LGTB+ wie NRA. Sowas schreibt man sonst Heiligen zu. No…

Claudio Monteverdi

Ich weiß, dass meine Arbeit unvollendet ist, denn aller Anfang ist schwer. Deswegen bitte ich meine Nachfolger, meine besten Absichten anzuerkennen, die aus ihrer feinfühligen Feder Verbesserungen erwarten. Denn es ist leicht, auf bereits Erfundenem aufzubauen. Lebet glücklich!

Frank O’Connor MY OEDIPUS COMPLEX

Father was in the army all through the war – the first war, I mean – so, up to the age of five, I never saw much of him, and what I saw did not worry me. Sometimes I woke and there was a big figure in khaki peering down at me in the candlelight….

Penisneid und weitere psychoanlytische Einsichten

Penisneid, hört man immer wieder, würde wie die ganze Psychanalyse, zu deren Begriffen er gehört, überholt sein. Heute wären wir weiter. Ach ja? Um den Penisneid richtig zu verstehen, sollte man nachvollziehen, dass er von der Schwierigkeit handelt, sich von einem Mann etwas sagen zu lassen, unabhängig vom eigenen Geschlecht. Nicht nur Woody Allen (in…

Vom Sinn der Sakramente

Nach Maurice Blondels Hauptthese bringt das Handeln das Denken hervor, nicht umgekehrt. Wir können durch Denken nie so weit kommen, wie durch Tun: Um zu wissen, woran man sich zu halten hat, muss man trotzdem vorwärts gehen.   Blondel untersucht weiter, wieso die Menschen zuerst handeln – nämlich aus einer Unruhe des Herzen: um etwas…

Über das Wesen der Liebe

So enthüllt sich eine Art von Wechselseitigkeit oder sozusagen Einheit zwischen der echten Liebe und dem aktiven Leiden. Denn wenn uns nicht der Schmerz erzieht, gelangen wir nicht zur selbstlosen und mutigen Tat. Die Liebe wirkt auf die Seele wie der Tod auf den Leib: Sie versetzt den Liebenden in das Geliebte und das Geliebte…

Vom Tun

Es ist ganz klar, dass wir als Menschen handeln, ununterbrochen. Selbst wenn wir uns passiv wähnen, tut sich doch etwas – hat es für uns Folgen. Wenn ich etwas absichtlich tue, kommt nur ungefähr dabei heraus, was ich mir vorstellte. Keine Praxis ist so genau wie das Denken. Ich kann deswegen nicht aufgrund rein von…

Ilias (Nacht über dem Heerlager)

Die ganze Nacht über, ihre Herzen voll der Zuversicht Saßen sie an der Kette der Wachfeuer rund ums Schiffslager – Wie die Sterne am Himmel um die Mondsichel hervorstechen In ihrem ganzen Glanz, in einer wind- und wolkenlosen Nacht Wo sich jede Landzunge hell vom Dunkel abhebt, ihre Grate Schrofen und die tiefen Rinnen im…

Cineasten

Ich lebte für das Kino. Ich liebte die Atmosphäre, bevor der Film anfing. Ich drängelte mich vor der Tür zum Saal zusammen mit den Jungen, ganz erhitzt und verschwitzt. Da schoben und schubsten sich alle. Noch war der Zuschauerraum nicht geöffnet. Und wenn sie die Türen aufmachten, dann stürzte alles durcheinander. Man brach sich Arme…

Adalbert Stifter NACHSOMMER

. . . man begab sich in das Speisezimmer. In demselben begann nun ein Abend, wie sie auf dem Lande, wo man von dem Umgange mit Seinesgleichen viel aufgeschlossener ist, zu den vergnügtesten gehören. Ich habe diese Betrachtung, da ich im Sommer immer ferne von der Stadt war, öfter machen können. Da man Menschen, mit…

Es gibt Texte in der Bibel, die schafft kein anderes Buch

Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen…

Wie spricht man eine Katze an

Nachdem ich die Cats-Verfilmung gestern gesehen habe, geht mir die Abschluss-Song nicht aus dem Kopf (ich kannte das Musical vorher kaum). Das Lied heißt auf deutsch „Wie spricht man ein Katze an“ und ist wohl ein Gedicht von T. S. Eliot. Ich finde es brilliant. Die alte Katze Deuteronimus richtet sich ans Publikum, um ihm…

Über die Merkmale des Despotismus

Ich will mir vorstellen, unter welchen neuen Merkmalen der Despotismus in der Welt auftreten könnte: Ich erblicke eine Menge einander ähnlicher und gleichgestellter Menschen, die sich rastlos im Kreise drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügungen zu verschaffen, die ihr Gemüt ausfüllen. Jeder steht in seiner Vereinzelung dem Schicksal aller anderen fremd gegenüber: Seine Kinder…

P. Bowles HIMMEL ÜBER DER WÜSTE

Da wir nicht wissen wann wir sterben werden, sehen wir das Leben wie einen unerschöpflichen Brunnen. Und doch geschieht alles nur wenige Male. Unsere Erlebnisse wiederholen sich nur sehr selten. Wie oft noch wirst du dich an einen Nachmittag in deiner Kindheit erinnern? Einen Nachmittag, der sich so tief in dein Wesen eingeprägt hat, das…

A Vision of the Last Judgement

Error is Created. Truth is Eternal. Error, or Creation, will be Burned up, & then, & not till Then, Truth or Eternity will appear. It is Burnt up the Moment Men cease to behold it. I assert for My Self that I do not behold the outward Creation & that to me it is hindrance…

Derrida als Verfechter des Glaubens

Why the controversy? Because the genius of Derrida lay in brushing against the grain. He showed the left that Enlightenment “reason” was to a great extent an historical construction, a more scrupulous account of which would have to include a lot more about faith, contingency and context. He showed the right that “tradition” was also…

Ausgerechnet beim Zahnarzt

Die Frage taucht immer mal auf, ob ich religiös bin. Ich neige zur Antwort, dass ich zögere, ein Gesamturteil übert das Wesen und Werden einer Welt abzugeben, die mich täglich überrascht. Ich interessiere mich wenig für Metaphysik, halte sie irgendwie für neurotisch. Zugleich kommt es mir so vor, wie wenn der Alltag Risse hat, durch…

D. H. Lawrence „The Woman who Rode Away

I She had thought that this marriage, of all marriages, would be an adventure. Not that the man himself was exactly magical to her. A little, wiry, twisted fellow, twenty years older than herself, with brown eyes and greying hair, who had come to America a scrap of a wastrel, from Holland, years ago, as…

D. H. Lawrence „The Hopi Snake Dance“

The Hopi country is in Arizona, next the Navajo country, and some seventy miles north of the Santa Fé railroad. The Hopis are Pueblo Indians, village Indians, so their reservation is not large. It consists of a square track of greyish, unappetizing desert, out of which rise three tall arid mesas, broken off in ragged…

Guy de Maupassant „Liebe“

Aus dem Tagebuch eines Jägers Ich habe eben unter den vermischten Nachrichten einer Zeitung ein Liebesdrama gelesen. Er hat zuerst sie getötet und dann sich. Also liebten sie sich. Was gehen er und sie mich an? Nur ihre Liebe interessiert mich, nicht, weil sie mich rührt oder wunder nimmt, weil sie mich bewegt oder nachdenklich…

Wunder

Damit etwas ein Wunder ist, muss es ein dreifaches Bewenden haben: 1 – Seltenheit 2 – Betroffenheit 3 – Umwandlung Wenn ich nach einem Ereignis derselbe bin wie zuvor, handelt es sich um kein Wunder. Insofern sind Wunder stets eine Kritik des Ist-Zustandes, den sie infragestellen: wer gut ist und wer böse, wer Bescheid weiß…

Aus der Bibel

Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen…

Glaubst du an Gott?

Fast alle Leute, welche diese Frage stellen, hängen einer Art Yeti-Theorie an: dass Gläubige auf die Existenz eines Wesens bauen, das noch kein Mensch gesehen hat. Und Atheisten signalisieren dann sogar, wenn man ihnen dieses Wesen zeigen würde, „die Fußabdrücke“ würden ihnen reichen, könnten sie es sich mit ihrem Unglauben nochmal überlegen. Mir kommt die…

Der vollkommenste Tag der Welt

Es war gegen Ende meiner Landstreichertage, wenn man mich fragte, in welchem Jahr, welchem Monat, an welchem Nachmittag, ich wüsste keine Antwort. Ich kann nur sagen, dass es der vollkommenste Tag der Welt war, und dass ich ihn deswegen im Gedächtnis bewahrt habe, jenseits von Zeit und Wirklichkeit. Jeder Mensch hält so einen Tag in…

Ausklang eines bengalischen Romans

Apus Gedanken kehrten zurück zu jenem längst vergangenen Sommertag: Er und seine Schwester hatten im Freien nach einem Kälbchen gesucht, und sie waren weiter gegangen, um die Eisenbahn zu sehen. Sie waren so gerannt, dass sie ganz außer Atem gerieten. Wie andres damals alles ausgeschaut hatte. Die Bäume entlang der Gleise von Asharu nach Durgapur…

Der Meister und Margarita

Nach wenigen Sekunden flammte tief unten im irdischen Schwarz ein neuer See aus elektrischem Licht auf, drehte sich unter ihr hinweg und verschwand alsbald in der Erde. Abermals ein paar Sekunden, und die Erscheinung wiederholte sich. „Städte! Städte!“ schrie Margarita. Danach erblickte sie unter sich zwei- oder dreimal matt blinkende Säbel in offenen schwarzen Futteralen,…

Die Erwählten

„Der Mensch“, sagt Davila, „bewundert aufrichtig nur das Unverdiente. Talent, Abstammung und Schönheit.“ Daran musste ich neulich im Hallenbad von Giesing denken, wo ich beinahe täglich ca. 60 Minuten für einen bizarren Anblick im Nichtschwimmerbecken sorge. Eine Gürtel um die Hüften, von dem ein Gummiseil zu einem Saugnapf reicht, der am Rand des Beckens haftet,…

Hochzeit in Lagos

Die schönste Hochzeit, an die ich mich erinnere, sah ich gipfeln in einem Schnellimbiss in Lagos. Diese sehr große Stadt gehört zu dem Beeindruckendsten, das ich je erlebte, eine zusammengekrachte Eskalation der Kulisse von Bladerunner. Ganz Afrika drängt sich hier, um Geschäfte zu machen. „In Lagos gibt es immer etwas zu reißen“, versicherte einer meiner…

Kapstadt

Das spirituellste Erlebnis meines Lebens hatte ich nicht in der Kirche oder anläßlich irgendeines der Events, die heute den Gottesdienst vertreten, sondern an Bord der RMS St. Helena vor der Küste Kapstadts. Die RMS war ein königliches Postschiff, welches die Britische Kronkolonie St. Helena mit dem Mutterland verband. Sie kam mit 15 km/h von Cardiff…