Die Erwählten

„Der Mensch“, sagt Davila, „bewundert aufrichtig nur das Unverdiente. Talent, Abstammung und Schönheit.“ Daran musste ich neulich im Hallenbad von Giesing denken, wo ich beinahe täglich ca. 60 Minuten für einen bizarren Anblick im Nichtschwimmerbecken sorge. Eine Gürtel um die Hüften, von dem ein Gummiseil zu einem Saugnapf reicht, der am Rand des Beckens haftet, paddele ich dann schäumend in Rückenlage auf der Stelle, die sog. „Schwimmstrippe“ verwendend, die uns Rückenschwimmer vor sonst unliebsamen Zusammenstößen – im Giesig-Bad vor allem mit zornigen Rentnern – bewahrt. Ich bevorzuge die publikumsarmen Zeiten, aber die lassen sich nicht immer berechnen, und manchmal sind viele Kinder in meiner Nachbarschaft, allein schon wegen der alle 10 Minuten in linken Beckenreich hervorsprudelnden Fontäne. Die meisten machen einen Bogen um mich. Die neugierigeren – vor allem Mädchen – tauchen mit ihren Schwimmbrillen „zufällig“ in meiner Gegend herum, um zu erkunden, was mich auf der Stelle hält. Ein paar Guckindielufts oder nur Dumme, die es überall gibt, verheddern sich sporadisch in der Strippe. Neulich aber tauchte in meinem rechten Blickfeld ein merkwürdiger kleiner Patron auf, höchstens 18 Monate alt und beinahe über dem Wasser schwebend infolge der ganzen Schwimmgürtel, in die er gepackt worden war. Er wippt wie eine Boje auf der Stelle, sich kaum voran bewegend, und ließ mich die ganze Zeit nicht aus den Augen. Kleine Kinder sind noch nicht in der Lage zu starren, sondern versprühen jene tiefernste Aufmerksamkeit, welche in der Lage ist, Namen aus dem Sein zu saugen, das so überreichlich davon zur Verfügung stellt. Die Situation, das fragend-neugierige Schweben gegenüber der schäumenden Welt, zu der gerade auch ich gehörte, hatte etwas Eindringlich-Erhabenes. Ich sah mich nach der Mutter um, die schräg hinter mir halb im Wasser saß, dunkelhäutig und tätowiert im Bikini mit der Ausstrahlung einer Rockerbraut, wie ich fasziniert von der Anmut des kleinen Engels, den sie hervorgebracht hatte, sobald sie ihn ansah. – Natürlich sind wir Menschen alle gleich. Vor dem Gesetz. Worin aber nicht enthalten ist, dass es keinen Unterschiede gäbe z. B. vor der Kamera oder auf der Bühne. Es sind nun mal manche Menschen schöner anzuschauen als andere. Umso mehr, je weniger sie – und wir – etwas dafür können.