Über die Merkmale des Despotismus

Ich will mir vorstellen, unter welchen neuen Merkmalen der Despotismus in der Welt auftreten könnte: Ich erblicke eine Menge einander ähnlicher und gleichgestellter Menschen, die sich rastlos im Kreise drehen, um sich kleine und gewöhnliche Vergnügungen zu verschaffen, die ihr Gemüt ausfüllen.

Jeder steht in seiner Vereinzelung dem Schicksal aller anderen fremd gegenüber: Seine Kinder und seine persönlichen Freunde verkörpern für ihn das ganze Menschengeschlecht; was die übrigen Mitbürger angeht, so steht er neben ihnen, aber er sieht sie nicht; er berührt sie, und er fühlt sie nicht; er ist nur in sich und für sich allein vorhanden, und bleibt ihm noch eine Familie, so kann man zumindest sagen, dass er kein Vaterland mehr hat.

Über diesen erhebt sich eine gewaltige, bevormundende Macht, die allein dafür sorgt, ihre Genüsse zu sichern und ihr Schicksal zu überwachen. Sie ist unumschränkt, ins Einzelne gehend, regelmäßig, vorsorglich und mild.

Sie wäre der väterlichen Gewalt gleich, wenn sie wie diese das Ziel verfolgte, die Menschen auf das reife Alter vorzubereiten; stattdessen aber sucht sie bloß, sie unwiderruflich im Zustand der Kindheit festzuhalten; es ist ihr Recht, dass die Bürger sich vergnügen, vorausgesetzt, dass sie nichts anderes im Sinne haben, als sich zu belustigen.

Sie arbeitet gerne für deren Wohl; sie will aber dessen alleiniger Förderer und einziger Richter sein; sie sorgt für ihre Sicherheit, ermisst und sichert ihren Bedarf, erleichtert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Geschäfte, lenkt ihre Industrie, ordnet ihre Erbschaften, teilt ihren Nachlass; könnte sie ihnen nicht auch die Sorge des Nachdenkens und die Mühe des Lebens ganz abnehmen?

Alexis de Tocqueville Über die Demokratie in Amerika 1840 

*

In seinem Essay Second Thoughts on James Burnham fast George Orwell dessen Hauptgedanken folgendermaßen zusammen:

Capitalism is disappearing, but Socialism is not replacing it. What is now arising is a new kind of planned, centralized society which will be neither capitalist nor, in any accepted sense of the word, democratic. The rulers of this new society will be the people who effectively control the means of production: that is, business executives, technicians, bureaucrats and soldiers, lumped together by Burnham, under the name of “managers.” These people will eliminate the old capitalist class, crush the working class, and so organize society that all power and economic privilege remain in their own hands. . . . The new “managerial” societies will not consist of a patchwork of small, independent states, but of great super-states grouped round the main industrial centers in Europe, Asia and America. These super-states will fight among themselves for possession of the remaining uncaptured portions of the earth, but will probably be unable to conquer one another completely. Internally, each society will be hierarchical, with an aristocracy of talent at the top and a mass of semi-slaves at the bottom.

*

“‘Ihr seid alle Brüder’, soll den Menschen erzählt werden, ‘den geborenen Herrschern unter euch aber ist wertvolles Gold beigemischt, den Kadern Silber, den übrigen Eisen und Erz. Meist werdet ihr euch ähnliche Kinder erzeugen, manchmal aber auch aus Gold einen silbernen Nachkommen, aus Silber einen eisernen und so fort. Immer sollen deswegen die Herrscher auf ihre Nachkommen achten: falls einer eisenhaltig ward, gehört er unters Volk. Wird aus dessen Mitte aber ein gold- oder silberhaltiger geboren, gehört er unter die Kader oder Herrscher.’ Denn es sei wissenschaftlich erwiesen, dass ein Gemeinwesen untergehe, wenn sich Eisen und Erz seiner bemächtigen. – Wird irgendjemand diese Lüge glauben?”

Plato Der Staat