Hochzeit in Lagos

Die schönste Hochzeit, an die ich mich erinnere, sah ich gipfeln in einem Schnellimbiss in Lagos. Diese sehr große Stadt gehört zu dem Beeindruckendsten, das ich je erlebte, eine zusammengekrachte Eskalation der Kulisse von Bladerunner. Ganz Afrika drängt sich hier, um Geschäfte zu machen. „In Lagos gibt es immer etwas zu reißen“, versicherte einer meiner Studenten, die ihre Kleinkinder mitbrachten zur Vorlesung, wo sie, niemanden störend, von einem Schoß zum anderen wanderten. Auf dem Weg zur Arbeit, durch die Scheiben unseres druckbelüfteten Kleinwagens, sah ich fast täglich eine Leiche am Straßenrand: glücklose Diebe, wie uns der Fahrer erklärte, die von jenen, die sie beklaut hatten, und ihren spontanen Sympathisanten eingeholt worden waren. Nicht nur hier war mir aufgefallen, wie extrem man in Afrika noch als Bewohner der größten Kleptokratien reagiert auf kleine Diebstähle. In unserem Luxus-Hotel wurden wir um Mitternacht geweckt und mussten mit Bargeld an den Empfang, um für die nächsten 24 Stunden zu bezahlen. Die Preise für Europäer in Lagos sind exorbitant, meist höher als in London oder Paris. Nigeria hat wie Saudi-Arabien kein Interesse an Touristen, alles dreht sich ums Öl. Eine riesige Metropole wie Lagos verfügt über kein belastbares Stromnetz. In fast jeder Straße auch der Innenstadt stehen haushohe Generatoren, die, sobald es dunkel wird, losputtern und die 94% Luftfeuchtigkeit mit Dieseldämpfen sättigen. Ihr öliges Brummen ist die Hintergrundmusik für Lagos Nachtleben. Zwei Stunden zur Arbeit, zwei Stunden zurück – zwei Stunden ist man in dem institutionalisierten Stau von Lagos eigentlich immer unterwegs von A nach B. Kinder von Bekannten mussten um 4:30 Uhr aufstehen, um rechtzeitig die Schule zu erreichen. Da man solcherart kaum in den Supermarkt kommt, kommt dieser auf die Autobahnen. Es gibt nichts, was die fliegenden Händler zwischen den Stau-Linien nicht in petto hätten. Eines Tages sah ich sogar eine ganze Badewanne über die Autodächer hüpfen. Erschöpft von der langen Heimfahrt kehrten wir öfters ein in einem der Hähnchen-Schnell-Imbisse. Afrikaner ziehen Hühnerfleisch allem vor und verstehen, es köstlich zuzubereiten. Wir saßen mit anderen Staubewältigern ermattet um unsere Fesskörbchen, als die Türe aufflog und eine höchstens 18jährige Braut hereinlief. Ihr weißes Kleid war verrutscht, aber vorteilhaft geschnitten, wohl von ihr selbst oder einer Tante. Ihr folgte ein schlaksiger Bräutigam, wenig älter als sie, in einem provisorischen Frack sowie mehrere ähnlich alte und gekleidete Trauzeugen. In meiner Erinnerung trugen die Jungs in der Mörderhitze nicht mal Hemden. Die Braut war schon am Tresen und gab ihr Hochzeitsessen in Auftrag mit einem Enthusiasmus, der verkündete, dass sie sich so etwas sonst kaum leisten konnte. Der ganze „Hochzeits-Saal“ wachte auf und eine zauberhafte Stimmung breitete sich aus auf die Gesichter aller Anwesenden, die Beifall klatschten. Es wurde wohl auch etwas Geld gesammelt, um es dem jungen Brautpaar mit auf den Weg zu geben. Hab‘ bis heute kein schöneres gesehen.