Glaubst du an Gott?

Fast alle Leute, welche diese Frage stellen, hängen einer Art Yeti-Theorie an: dass Gläubige auf die Existenz eines Wesens bauen, das noch kein Mensch gesehen hat. Und Atheisten signalisieren dann sogar, wenn man ihnen dieses Wesen zeigen würde, „die Fußabdrücke“ würden ihnen reichen, könnten sie es sich mit ihrem Unglauben nochmal überlegen.


Mir kommt die Existenz eines Yeti-Gottes wenig wahrscheinlich, irgendwie auch absurd vor. Die einzige Gottes-Vorstellung, die mir etwas sagen könnte, wäre die des Schöpfers von allem, des Seienden schlechthin. Gott wäre, solcherart gedacht, ein „lauter Nichts“. Wie kann man ihn dann aber erfahren? Ich denke mal, durch Innewerdung der Beschränktheit des Seienden: indem man sich wundert, dass es so gekommen ist, wie es kam, wo’s doch auch ganz anders hätte kommen können.


Da wir nicht wissen, wann wir sterben werden, sehen wir das Leben wie einen unerschöpflichen Brunnen. Und doch geschieht alles nur wenige Male. Unsere Erlebnisse wiederholen sich nur sehr selten. Wie oft noch wirst du dich an einen Nachmittag in deiner Kindheit erinnern? Einen Nachmittag, der sich so tief in dein Wesen eingeprägt hat, das du dir dein Leben ohne ihn nicht einmal vorstellen kannst. Vielleicht wirst du dich noch vier oder fünfmal an ihn erinnern. Vielleicht nicht einmal so oft. Wie oft wirst du den Vollmond noch aufgehen sehen? Vielleicht noch zwanzigmal. Und doch ist alles unendlich.

P. Bowles HIMMEL ÜBER DER WÜSTE