Neulich wandte ich mich an das Mitteilungsblatt der Deutschen Dante Gesellschaft mit der Bitte, auf mein Buch Die Göttliche Komödie: Nacherzählt für Kinder und ihre Eltern hinzuweisen, das ich als „Jona Tomke“ veröffentlicht habe. Das Pseudonym dient mir zu Nacherzählung klassischer Stoffe (Homer, die Groß-Epen des Hinduismus – demnächst Vergil und Beowulf . . .) im Rahmen von Amzons Angebot für Selbstverleger.
Man forderte mich daraufhin auf, etwas darüber zu schreiben, wie ich zu Dante gekommen sei.
Zu meinem Hintergrund: Ich komme aus einer Schauspielerfamilie, war 9 Jahre auf einem katholischen Knabeninternat bis zu Abitur, habe danach vor allem die Hochschule für Fernsehen und Film in München besucht sowie jahrelang die dort angesiedelte Drehbuchwerkstatt betreut, ein Stipendiatenprogramm, das etliche Erfolgsautor*innen hervorgebracht hat. In der Zeit habe ich sowohl fiktional wie theoretisch geschrieben und unterrichtet. Geprägt bin ich dabei vor allem durch Aristoteles, dessen Poetik ich „für Spannungsautoren“ aufbereitet habe (Martin Thau Aristoteles‘ Poetik: Für Spannungs-Autoren) sowie durch die Metaphilosophie Ludwig Wittgensteins (der ich ebenfalls einen kleinen Liebhaber-Band gewidmet habe: Jona Tomke Wittgenstein für Neulinge).
Dante war mir natürlich früh ein Begriff, hatte mich ursprünglich aber abgestoßen. Was zweifellos mit der streng katholischen Erziehung zu tun hatte, die meine Jungend prägte und erst mal abgeschüttelt werden musste, um wieder fruchtbar werden zu können. Inzwischen würde ich Dante sogar Homer oder Shakespeare vorziehen.
Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin und war schon immer sehr empfänglich für Empfehlungen, die von Respektspersonen kommen. Wenn jemand, von dem ich viel halte, mir z. B. sagt, eine bestimmte Oper sei hervorragend, höre ich sie mir so lange an, bis es klickt. Ich habe diese Erfahrung im Leben schon oft gemacht und bin deswegen im Herzen zuversichtlich, dass sie sich wiederholt. Im Falle Dantes erinnere ich mich an den Eindruck, welchen die Lobreden Samuel Becketts auf mich gemacht hatten. Ein Autor, den Beckett schätzte, konnte nicht schlecht sein, auch wenn ich ihn noch nicht verstand.
Mit den Jahren habe ich mich Dante immer wieder genähert, aber vieles nicht verstanden, etwa gar nicht die Figur der Beatrice, die untere meinem psychoanalytische geformten Blick keine Chance erhielt. Der Läuterungsberg, den ich heute dem Inferno vorziehe, kam mir absurd vor.
Geändert hat sich das irgendwann unter dem Einfluss des von Wolf Boysen gelesenen Hörbuchs, das ich einfach immer und immer wieder beim Sport angehört habe, solange, bis es mir gefiel. Ich kannte diesen Effekt, wie gesagt, von früher. Hinzu kam dann Professor Mazzottas Vorlesung über Dante, die ich in YouTube gefunden hatte. Entscheidend fand ich den Hinweis auf die Vita Nova, die mir bis dahin unbekannt war, als Tor zur Göttlichen Komödie.
Danach wurde dann alles ganz einfach und klar für mich. Es hatte eben geklickt. Über die Vita Nova habe ich sogar mit meinen Freund Siegmar, obwohl wir nun wirklich überhaupt keine Fachleute sind, einen Fan-Vlog gemacht.
Was also begeistert mich an der Göttlichen Komödie? Ich kann es zum Glück nicht ganz erklären, dann wäre wohl auch keine Begeisterung mehr. Anschaulicher sind Beispiele.
Ich habe immer auch fiktional geschrieben, als junger Student z. B. viele Western-Heftchen, um mich zu finanzieren, später sogar die Drehbücher für zwei Horror-Filme. Die Atmosphäre aber, die im Inferno heraufbeschworen wird, stellt jeden Horror-Film in den Schatten. Boso Donatis Verwandlung zur Schlange im 25. Gesang wartet noch darauf, von einem CGI-Team filmisch umgesetzt zu werden. Die finstre Pracht von Dantes Einfällen ist ganz unabhängig von seinem Thema genial und außerordentlich inspirierend für jeden, der sich Unterhaltungsgeschichten ausdenken muss.
Wie Dante sich selbst in dem Gedicht beschreibt, geht mir nahe, seine Hastigkeit, Feigheit, die Selbstzweifel.
Dran denkend, gab ich auf das Unternehmen
und war doch erst so rasch dazu entschlossen . . .
Zugleich die Begeisterungsfähigkeit, das Kindliche in seinem Wesen, die Treuherzigkeit. Die Beziehung zu Vergil – wer wünschte sich nicht solchen Mentor? Natürlich muss man weinen, wenn er schließlich geht.
Beeindruckt hatte mich die Begegnung mit Odysseus, der verkörperten Ruhelosigkeit. Ich hatte erst nicht verstanden, wieso er in der Hölle ist. Aber klar, würde ich inzwischen sagen, das ist der Fluch der Fernreisen, des Tourismus und der Kreuzfahrtschiffe.
Dann Cato auf dem Weg zum Läuterungsberg – warum um Himmels willen Cato? Trotzdem vermute ich einen tieferen, zufriedenstellenden Sinn hinter der Erscheinung, der verschwinden würde, wenn man ihn mir erklärt. Die Szene ist einfach großartig.
Wie auch die folgende in dem Tal der Säumigen, die mich auf unerklärliche Weise tief berührt. So geht es mir auch mit den weiteren Begegnungen auf Terrassen. Die zu durchschreitende Feuerwand – die Begegnung mit Matelda, die mich merkwürdigerweise mehr beeindruckt als später Beatrice . . .
Ich lese in letzter Zeit auf der philosophischen Seite Maurice Blondel, nachdem ich vorher im Kielwasser Žižeks Hegel verfallen war, für den die Welt auf einem Grundwiderspruch beruht, der nicht hintergangen werden kann. Blondel arbeitet dem gegenüber (wie auch Walter Benjamin in seinem „Begriff der Geschichte“) die Ahnung einer zwar riskanten, aber möglichen Entwicklung heraus, deren Vollendung als einzige uns befriedigen kann. Ich finde, die Göttliche Komödie kleidet diese Hoffnung in unvergessliche Bilder und entgeht der Gefahr des Kitsches, indem auch die Schattenseiten eines vollen Lebens nicht ausgespart werden.
Ich habe inzwischen gelesen, dass die Göttliche Komödie bereits zu Dantes Lebzeiten außerordentlich populär war, jedes Kind die tolle Geschichte kannte. Daher meine Idee, sie in die Jona Tomke-Reihe aufzunehmen. Deren Bücher sind etwas gehoben, versuchen sich nicht wie verwandte Titel heute, mit Witz und Ironie bei Kindern anzubiedern, sondern setzten auf die naive Kraft der Originale, die sie nachempfinden. Ich denke, dass Kinder, die früh Bekanntschaft machten mit Dante, ihn später einmal selbst lesen werden. Vielleicht lernen sie ja sogar Italienisch, um ihn im Gegensatz zu mir original kennenzulernen.