Weder ein Sokrates noch ein Perikles hätten den Verlauf oder das Endergebnis vorhersagen können. Sparta hatte die gefürchtetste Infanterie der griechischen Welt, doch seine neu geschaffene Flotte gewann schließlich die letzten großen Schlachten des Krieges. Das demokratische Athen schickte fast 40.000 verbündete Soldaten in Gefangenschaft und Tod bei dem Versuch, das ferne Syrakus zu erobern – – die größte Demokratie der griechischen Welt. Gleichzeitig wurden dadurch tausende weitere seiner alten Feinde in Griechenland ermutigt, ungestraft seinen Besitz zu plündern, weniger als dreizehn Meilen außerhalb seiner Mauern von der Basis in Decelea, dem berüchtigte spartanische Kastell in Attika, das von 413 bis 404 als Umschlagplatz für die in Attika geplünderte Beute diente. Alkibiades erwies sich zeitweise als der Retter von Athen, Sparta und Persien – aber auch als ihrer aller Verderber.
Zu Beginn des Krieges stapelte Athen sein Geld in seinem majestätischen Parthenon. Es handelte sich um die schwindelerregende Summe von etwa 6.000 Talenten in Silber und weitere 500 in anderen Edelmetallen, insgesamt im Wert von etwa 3 Milliarden Euro nach heutigen Maßstäben.
Es beendete den Krieg bankrott mit einer Stadt voller Waisen, Witwen und Verstümmelten – und Tausenden von Namen auf den allgegenwärtigen steinernen Opferlisten.
Die athenische Staatskasse war nicht einmal in der Lage, die letzten Säulen der Propyläen, dem monumentalen Tor zu den noch unvollendeten Tempeln auf der Akropolis, auskehlen zu lassen. Noch viel weniger konnte sie das Geld aufbringen, um eine Reihe anderer ländlicher Tempel in Rhamnous und Thorikos im attischen Hinterland fertigzustellen. Der größte Teil des Kapitals zur Verwirklichung von Perikles‘ großem Traum von einer marmornen Stadt aus Marmor ging unter mit etwa 500 rudergetriebenen Kriegsschiffen vor Sizilien und später in der Ägäis.
Sparta stellte die furchterregendste Armee Griechenlands auf. Die meisten der Feinde fielen jedoch nicht durch seinen Speere, sondern Krankheiten, Belagerungen oder schäbigem Guerilla-Gemetzel zum Opfer. Die große Strategie, Attikas Ernten zu verwüsten, erwies sich schon nach einer Woche als kolossaler Misserfolg. Doch innerhalb eines Jahres stellte der Aufenthalt der Spartaner im Feindesland unabsichtlich die Weichen für die Pest, die Athen fast ruinierte.
Keine Regierung war so berechnend und nüchtern – oder so verblendet – wie Spartas gerousia, ein regierender Senat aus alten Männern, die wenig von der Zivilisation im Ausland gesehen hatten und daher nur ungern unüberlegte Maßnahmen jenseits ihres Tals von Lakonien genehmigten. Keine Regierung war so leichtsinnig und gefährlich wie die demokratische Versammlung in Athen, die sich aus vielen Wortführern zusammensetzte, welche die Ägäis bereist hatten. Und doch konnte sie im Handumdrehen die Hinrichtung eines Mannes – oder einer ganzen eroberten Stadt jenseits der Meere – aufgrund der fadenscheinigsten Anschuldigungen anordnen.
Der Philosoph Sokrates hatte Zweifel an der Hybris und dem Größenwahn des demokratischen Athens, insbesondere an dem späteren Größenwahn hinsichtlich Siziliens. Aber diese Sorgen hielten ihn aber nicht davon ab, in seinem dickbäuchigen Alter heldenhaft für seine Sache zu kämpfen. Wie er dem aufgepeitschten Publikum seiner Ankläger in der letzten Rede seines Lebens in Erinnerung rief, kämpfte er tapfer in drei der schwierigsten Gefechte Athens bei Potidaea, Delium und Amphipolis. Thukydides nutzte die Botschaft der offensichtlichen Sinnlosigkeit des Krieges, um seine eigenen düsteren Ansichten über die menschliche Natur zu vermitteln. Doch obwohl er von den Demagogen wegen erfundener Anschuldigungen ins Exil verbannt wurde, kämpfte kein Athener fragloser und ohne Zynismus als Thukydides im Dienste seines Landes.
Euripides, der eigenwillige Dramatiker, hielt die brutale Hinrichtung der Mytilener und armen Melianer durch seine Landsleute für verbrecherisch und für einen moralischen Kommentar über die sinnlose Grausamkeit des Krieges. Aber selbst Euripides hasste die Spartaner und scheint sich die Niederlage des Feindes ebenso sehr gewünscht zu haben wie einfach nur das Ende des Krieges. Der verräterische Alkibiades half Athen, Sparta und Persien zeitweise, den Krieg zu gewinnen, auch wenn die abgestumpften Athener den letzten guten Rat des berüchtigten Verräters bei Aegospotami ablehnten, der sie vielleicht vor einer Niederlage bewahrt hätte in der letzten großen Schlacht des Krieges.
Aristophanes, der brillante komische Dramatiker, argumentierte, dass der nicht enden wollende Krieg die Bauern pleite, die männlichen Anführer dumm, die Generäle blutdürstig, die Armen zu leichtsinnig und die Waffenverkäufer zu reich machte – und vertraute dennoch darauf, dass Athen mehr Recht als Unrecht hatte. Der Patriotismus, sowohl in seiner erhabenen als auch in seiner entgrenzten Form, überschattete schließlich den sokratischen Anspruch, dass alle Griechen Bürger der Welt seien. Wie Sokrates selbst in Platons späterem Protagoras zu sagen pflegt: es ist eine „edle“ Sache (kalon), in den Krieg zu ziehen.
Hinter den Widersprüchen von Politik und Philosophie und den Heucheleien der größten Generation der hellenischen Welt, bleiben die Tausenden von Griechen zurück, um die es in Thukydides’ Buch geht – die fast drei Jahrzehnte lang für die Pläne wankelmütiger Männer, wechselnder Bündnisse und widersprüchlicher Ursachen abgeschlachtet wurden. Kein Krieg der antiken Welt – weder Xerxes‘ frühere Invasion Griechenlands noch die späteren grandiosen Invasionen Alexanders des Großen oder Hannibals Vorstoß nach Italien – ist fesselnder und widersprüchlicher als der drei Jahrzehnte währende Kampf zwischen Athen und Sparta.
Man denke nur an den Kampf zwischen einer Land- und einer Seemacht, die Strenge der Spartaner kontrastiert mit der athenischen Liberalität. Oligarchie wurde gegen Demokratie ausgespielt, praktizierter Mangel gegen ostentativen Reichtum. Ein ländlicher Weiler entthronte eine große Reichsstadt, und ein Garnisonsstaat vertrat die Sache der griechischen Selbstbestimmung nach außen, während ein humaner Imperialismus die Unschuldigen tötete.
Niemand hatte 431 ein solches Gemetzel vorausgesehen. Wer hätte gedacht, dass in nur zwei Jahren der majestätische Perikles mit Pusteln übersät und mit einem Amulett in der Hand sein Leben im Fieber der Pest aushustete? Hätte der Milliardär Nikias geglaubt, dass er zwanzig Jahre später um sein Leben betteln würde, bevor ihm achthundert Meilen entfernt auf Sizilien die Kehle aufgeschlitzt wird? Auch der hübsche Alkibiades, der Wüterich von Athen, hätte sich nicht vorstellen können, dass ausgerechnet er in einem obskuren Weiler in Kleinasien von Attentätern ermordet werden würde. Alles, was zu Beginn des Krieges für weise gehalten wurde, würde sich am Ende als Torheit erweisen.