Psychoanalyse und Katholizismus

Es gibt ja diese Interviewantwort von Lacan, die „einzig echte Religion“ sei „die römische“. Als Sohn einer strengkatholischen Mutter (sein kleiner Bruder wurde Mönch …) sollte Lacan also einen heimliches Kirchenprogramm mit seiner „Rückkehr zu Freud“ verfolgt haben? Nach der Seinslehre der Psychoanalyse kommt der Mensch, weil er zu früh geboren wird, uneinheitlich oder ohne Selbst zur Welt, das dann vorschnell improvisiert wird in der (mehr oder weniger haltlosen) Vorstellung eines ICHs, dessen Verfestigung die „Symptome“ verschärft, welche notwendig in dem Zu-früh angelegt sind. (Lacan nennt das Ich schlechthin ein „Symptom“, also etwas Uneigentliches.) Die psychoanalytische Kur besteht dann in der Entschärfung der Symptome durch eine Entsteifung oder Weitung der Risse im gezimmerten Bewusstseins für seine „ewigen Quellen“, die bei Freud noch „Es“ heißen. Die praktische Psychoanalyse wäre, so gesehen, eine Art Gebetstechnik oder Beichte. Zugrunde liegt ihr dabei eine bestimmte Philosophie oder Ontologie des „gefallenen“ Menschseins infolge seines biologisch zu frühen Austritts aus der Mutter. Die „Beichte“, also menschliche Begegnung in der Sprache, ist danach unumgänglich, um endlich nicht mehr an den Weihnachtsmann zu glauben, den jeder*in sich in erster Not hat zimmern müssen, um innerlich nicht zu zerreißen. So gesehen hätte die Psychoanalyse in der Tat mehr mit jener Religion („re-ligio“ = Wiederanbindung …) zu tun, die der Beichte entspringt als Befreiung vom „sündhaften Ich“ und Öffnung für die echten Möglichkeiten des Seins. Wer’s fassen kann, der fasse es!