Bewusstsein als politisches Organ

Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Tatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird – nämlich, daß ein Gedanke kommt, wenn »er« will, und nicht wenn »ich« will; so daß es eine Fälschung des Tatbestandes ist zu sagen: das Subjekt »ich« ist die Bedingung des Prädikats »denke«. Es denkt: aber daß dies »es« gerade jenes alte berühmte »Ich« sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor allem keine »unmittelbare Gewißheit«. Zuletzt ist schon mit diesem »es denkt« zuviel getan: schon dies »es« enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schließt hier nach der grammatischen Gewohnheit »Denken ist eine Tätigkeit, zu jeder Tätigkeit gehört einer, der tätig ist, folglich –«.

Jenseits von Gut und Böse 17

 

[Auch in] Betreff des Gedächtnisses muß man umlernen: hier steckt die Hauptverführung, eine „Seele“ anzunehmen, welche zeitlos reproduziert, wiedererkennt usw. Aber das Erlebte lebt fort „im Gedächtnis“; daß es „kommt“, dafür kann ich nichts, der Wille ist dafür untätig, wie beim Kommen jedes Gedankens. Es geschieht etwas, dessen ich mir bewußt werde: jetzt kommt etwas Ähnliches – wer ruft es? weckt es?

Wille zur Macht 304

 

Das ganze bewußte Leben, der Geist samt der Seele, samt dem Herzen, samt der Güte, samt der Tugend: in wessen Dienst arbeitet es denn?

Wille zur Macht 438

 

Umgekehrt nehmen wir wahr, daß eine Zweckmäßigkeit im kleinsten Geschehen herrscht, der unser bestes Wissen nicht gewachsen ist: eine Vorsorglichkeit, eine Auswahl, ein Zusammenbringen, Wiedergutmachen usw. Kurz, wir finden eine Tätigkeit vor, die einem ungeheuer viel höheren und überschauenden Intellekt zuzuschreiben wäre, als der uns bewußte ist. Wir lernen von allem Bewußten geringer denken: wir verlernen, uns für unser Selbst verantwortlich zu machen, da wir als bewußte, zwecksetzende Wesen nur der kleinste Teil davon sind. Von den zahlreichen Einwirkungen in jedem Augenblick, zum Beispiel Luft, Elektrizität, empfinden wir fast nichts: es könnte genug Kräfte geben, welche, obschon sie uns nie zur Empfindung kommen, uns fortwährend beeinflussen. Lust und Schmerz sind ganz seltene und spärliche Erscheinungen gegenüber den zahllosen Reizen, die eine Zelle, ein Organ auf eine andre Zelle, ein andres Organ ausübt.

Wille zur Macht 316

 

In summa: Das, was bewußt wird, steht unter kausalen Beziehungen, die uns ganz und gar vorenthalten sind, – die Aufeinanderfolge von Gedanken, Gefühlen, Ideen im Bewußtsein drückt nichts darüber aus, daß diese Folge eine kausale Folge ist: es ist aber scheinbar so, im höchsten Grade. Auf diese Scheinbarkeit hin haben wir unsere ganze Vorstellung von Geist, Vernunft, Logik usw. gegründet (– das gibt es alles nicht: es sind fingierte Synthesen und Einheiten) und diese wieder in die Dinge, hinter die Dinge projiziert! … [Bewußtsein] ist nicht die Leitung, sondern ein Organ der Leitung.

Wille zur Macht 302

 

Alles, was als „Einheit“ ins Bewußtsein tritt, ist bereits ungeheuer kompliziert: wir haben immer nur einen Anschein von Einheit.

Wille zur Macht 311

 

Alles, was uns bewußt wird, ist durch und durch erst zurechtgemacht, vereinfacht, schematisiert, ausgelegt, – der wirkliche Vorgang der inneren „Wahrnehmung“, die Kausalvereinigung zwischen Gedanken, Gefühlen, Begehrungen, zwischen Subjekt und Objekt ist uns absolut verborgen – und vielleicht eine reine Einbildung.

Wille zur Macht 309

 

Kompliziertheit macht Nietzsches Begriff der Seele aus.

 

Alle Organisation ist nur als Organisation und Zusammenspiel Einheit: nicht anders wie ein menschliches Gemeinwesen eine Einheit ist: also Gegensatz der atomistischen Anarchie; somit ein Herrschafts-Gebilde, das Eins bedeutet, aber nicht eins ist.

Nachlass

 

Welt-Auslegungen [sind] Symptome eines herrschenden Triebes.

Nachlass

 

Wir gewinnen die richtige Vorstellung von der Art unsrer Subjekteinheit, nämlich als Regenten an der Spitze eines Gemeinwesens (nicht als „Seelen“ oder „Lebenskräfte“), insgleichen von der Abhängigkeit dieser Regenten von den Regierten und den Bedingungen der Rangordnung und Arbeitsteilung als Ermöglichung zugleich der Einzelnen und des Ganzen.

Wille zur Macht 307

 

… der Leib ist ein erstaunlicherer Gedanke als die alte „Seele“.

Der menschliche Leib, an dem die ganze fernste und nächste Vergangenheit alles organischen Werdens wieder lebendig und leibhaft wird, durch den hindurch, über den hinweg und hinaus ein ungeheurer, unhörbarer Strom zu fließen scheint.

Wille zur Macht 436

 

Wir stellen ein Wort hin, wo unsre Unwissenheit anhebt, wo wir nicht mehr weiter sehn können, z. B. das Wort »Ich«, das Wort »tun«, das Wort »leiden«: – das sind vielleicht Horizontlinien unsrer Erkenntnis, aber keine »Wahrheiten«.

Nachlass

 

Leib wär‘ so ein Wort