Der Platz am Fenster

„Margarita!“ Die Stimme war voll zerbrochener Kraft. „Maragrita! Kommen Sie! Gleich ist es soweit! Ich will es nicht verpassen. Helfen sie mir!“

Er wurde in seinem Stuhl ans Fenster getragen: ein mühseliges Geschäft und doppelt ärgerlich, weil er eigentlich hätte laufen können.

„Hierhin, Margarita. Danke, Sie können jetzt gehen!“

Er reckte den Kopf vor, um die ganze Strasse zu überblicken. Für die Prozession war alles schon vorbereitet, aber noch war keinen Menschenseele zu sehen. Nur aus der Ferne drang die Musik an seine Ohren, die eine große Bewegung ankündigte. Ächzend rückte er in seinem Stuhl zurecht. Er trug seine besten Kleider: hautenge schwarze Jeans, ein schwarzes Popelinhemd, dessen obere Knöpfe offen standen, einen gebauschten hellen Seindeschal um den Hals und eine Sportmütze auf dem Kopf. Der dezente Duft eines sorgfältig ausgewählten Rasierwassers umschwebte ihn. Die Musik wurde lauter. Neue Instrumente setzten ein. Seine Augen glänzten. Die Straße war mit Girlanden geschmückt. Lampions wehten im Wind. Gleich würden die ersten kommen. Hinter dem Hügel sah er schon ihre Köpfe tanzen. Sein Atem ging schneller. Die Musik wurde jetzt sanft. Ein paar Mädchen führten die Prozession mit weichen Tanzbewegungen an, als wollten sie die Luft liebkosen. Jetzt kamen die Männer. Mit kräftigen Schritten maßen sie den warmen Asphalt. Ihre energetischen Körper spannten sich unter den T-Shrits. Die Mädchen drehten sich zu ihnen um, Paare fanden sich, und in zierlichem Takt trommelten die Füße auf den Boden. Die Männer schlossen die Mädchen in ihre Arme, sie schwangen sie hoch in die Luft. Er konnte ihre lachenden Münder, ihre weißen Zähne sehen. Die Kapelle war auch da. Die Musik wurde immer lauter. Er hörte die Menschen lachen. Was war das? Blickten sie zu ihm empor? Lachten sie ihn an? Es war aufgesprungen und starrte fasziniert in die Bewegung. Was sagten ihr Münder? Komm? Komm zu uns? Aber er konnte nicht! Er . . . Aufgeregt stand er am Fenster, er hopste im Takt der Musik. Und weiter und weiter zog die Prozession. Die bunten Gewänder wirbelten im Wind. Sie zogen an ihm vorüber. Er warf Kusshände. Die roten Lippen . . . Tränen flossen über sein Gesicht. Da wurde die Musik schon leiser, und der Hauptteil war vorbei. Für eine Weile war Ruhe. Aber die Kinder kamen noch: sie führten ein Pferd in ihrer Mitte. Jedes ritt stolz für einen Moment und machte dann Platz für das nächste. Eine Frau achtete, dass alles seine Ordnung hatte. Die Musik zog nur noch in einzelnen Fäden durch die Luft. Dann waren auch die Kinder vorbei. Nur die Lampions wehten noch im Wind. Bald würde es dunkel werden. Matt sank er in seinen Stuhl zurück und löste das Tuch um seinen Hals ein wenig. Er öffnete den obersten Knopf seiner zu engen Hose. „Maragrita!“ rief er. „Ich kann jetzt wieder zurück.“