Der reaktionäre Respekt vor anderen Kulturen

Die tolle Hochachtung vor „Kulturen“ hat etwas Touristisches und ist womöglich das eigentlich abzuschüttelnde Erbe des Kolonialismus. Oft im Gewand von Befreiungs-Anliegen, liefert sie den Vorwand für eher bedrückende gesellschaftliche Beziehungen. Ungleichheit geht zurück auf die Ablehnung von Universalität und Feier des Unterschieds. Sobald man sich abwendet vom Allgemeingültigen dem Besonderen zuliebe, verlässt man den Grund, auf dem man politische Unterstützung einfordern könnte.

Parteilichkeit scheint auf den ersten Blick eine linke Geste voller Respekt im Interesse gefährdeter Minderheiten, ist aber zutiefst konservativ in ihrer Ablehnung von universalen Prinzipien, die alle Menschen vergleichbar machen. (Die Idee etwa, das Islam und Christentum nur koexistieren können, indem sie die Abwesenheit einer sie übergreifenden Vorstellung akzeptieren.)

In der EU kann man beobachten, wie einige Mitglieder mehr Wert auf das legen, was sie von den anderen unterscheidet. Sie sprechen ihre Bürger an auf das, was sie besonders macht, und – demzufolge – von anderen Bürgern in der EU und weltweit unterscheidet. Am meisten aber von der „Volksgemeinschaft“ der Migranten.

Wenn man sich ganz auf einen Standpunkt zurückzieht, argumentiert Hegel in der WISSENSCHAFT DER LOGIK, begibt man sich unbewusst in Gegnerschaft zur Allgemeinheit, die in jedem anderen erscheint: „Das Besondere ist das Allgemeine selbst, ist dessen Unterschied oder Beziehung auf ein Anderes, sein Scheinen nach außen, es ist aber kein Anderes vorhanden, wovon das Besondere unterschieden wäre, als das Allgemeine selbst.“

Alleinstellung nimmt Überparteiliches in Anspruch, weil nur dieses Besonderheit zu erkennen vermag. Nur eine andere Partei genügt nicht, um sich auszuzeichnen. Die zwei laufen nebeneinander her.

Das Besondere ist schließlich nur eine Art, das Allgemeine zu bestimmen, das im Gegensatz zu ihm hervortritt. „Das Allgemeine bestimmt sich, so ist es selbst das Besondere; die Bestimmtheit ist sein Unterschied; es ist nur von sich selbst unterschieden. Seine Arten sind daher nur a) das Allgemeine selbst und b) das Besondere.“ WISSENSCHAFT DER LOGIK II 281

Das Besondere wird dadurch besonders, dass das ihm das Allgemeine in Form eines Musterexemplares oder Paradigmas entgegentritt, von dem es sich unterscheidet. Ein spezieller Apfel wird besonders dadurch, dass er sich von einem anderen Apfel unterscheidet, der nicht für sich selbst, sondern für alle Äpfel einsteht.

EU-Staaten etwa profilieren sich als besonders im Gegensatz zu Migranten, die ihrerseits für alles einstehen, von dem es sich zu unterscheiden gilt, also zum Musterbeispiel von etwas Universalem oder Allgemeinem werden. Nicht der eine oder andere EU-Staat veranschaulicht, worum es geht, sondern bestimmt sich im Vergleich zu dem Migranten, der ihn erst zu etwas Besonderem macht. Im Wettbewerb zweier Besonderheiten steht immer die verstoßene Partei für das Allgemeine und Bedeutung stiftende.

Um ihre Besonderheit herauszustellen, ist eine Partei angewiesen auf ihr Widerspiel, welches das – abzuwehrende – Allgemeine darstellt. Und je mehr die Bedrohung der Besonderheit in Front gebracht wird, desto wichtiger wird die das Überparteiliche darstellende Gruppe. Die Migranten eignen sich sehr für diese Rolle, da sie keine Nation bilden (wie im übrigen auch den Juden im III. Reich nachgesagt wurde, die A. Rosenberg „Anti-Rasse“ nannte).

Um ihre Besonderheit hervorzukehren, sind die EU-Staaten angewiesen auf die staatenlosen Migranten, mit deren Verschwinden sie zusammenbrechen würde.

Wenn wir nicht Allgemein, sondern besonders denken, schaffen wir einen Raum, in dem andere Besonderheiten auftauchen, sie sich gegen die Welt absetzen möchten. Die Ursache des Faschismus scheint daher eher im Besonderen zu liegen als im Allgemeinen