BEREICHE DER BEDEUTUNG

Wittgenstein philosophiert immanent. Bedeutung kann demzufolge niemals erklärt, also auf etwas Vorgestelltes oder Theoretisches zurückgeführt, sondern nur beschrieben oder erlebbar gemacht werden. Das Besinnliche ist immer phänomenal. Es muss unmittelbar von seiner Erscheinung abgelesen werden. Oder es leuchtet ein infolge einer Neuordnung ursprünglich verwirrender Worte, durch kulturelles Einfühlen (im Fall fremder Rituale) oder die Erinnerung an das, was wir normalerweise tun oder sagen.

Der Bedeutungsbereich, welchen Wittgenstein in den vielen Tausend Seiten seines Spätwerkes impliziert, zerfällt in die Familien ANMUT, REGEL, BRAUCH und MACHENSCHAFT.

ANMUT muss erblickt werden, um sich einstellen zu können – in Gesichtern, Gemälden, Landschaften … „Seele“ beispielsweise ist eine Anmut des menschlichen Körpers. Ist der betreffende Mensch traurig, ist dieser anders „gemustert“, als wenn er fröhlich oder ärgerlich ist.

REGELN signalisieren Bedeutung, indem sie menschliches Handeln ausrichten und dabei gleichzeitig von diesem geformt werden.

BRÄUCHE tun ihre Bedeutung in Ritualen kund (die es heute kaum noch gibt), zum Beispiel in Form des Ausblasens der Kerzen auf dem Geburtstagskuchen, des Weihnachtsbaums, des Fangens des Brautstraußes, des Singens der Hymne durch die Fußballnationalmannschaft, eines Silvesterfeuerwerks, Germany’s Next Topmodel u. Ä. m.

MACHENSCHAFTEN entfalten ihre Stimmung in der Entwicklung gezielter Gebilde: Vorstellungen, Bauten oder Maschinen. Wittgenstein merkt kulturkritisch an, dass wir diesem Aspekt momentan zu viel Bedeutung beimessen. Auf Kosten der anderen und, wie er wohl auch meint, unseres Seelenheils. „In der Großstadt-Zivilisation“, schreibt er in seinem Nachlass, „kann sich der Geist nur in einen Winkel drücken. Dabei ist er aber nicht etwa atavistisch und überflüssig, sondern er schwebt über der Asche der Kultur als ewiger Zeuge – quasi als Rächer Gottes. Als erwarte er eine neue Verkörperung (in einer neuen Kultur).“

Als Ingenieur stand Wittgenstein den Machenschaften von Theorie und Technik besonders skeptisch gegenüber, die für ihn wegen des universalen Geltungsanspruchs der dahinter stehenden Wissenschaften in den Bereich der „Metaphysik“ fallen. Dabei wird die Wissenschaft nicht verkannt als Quelle echter Bedeutung, sondern nur die Diät beklagt, auf welche sie einen setzt, indem andere Möglichkeiten der Bedeutung zu Tode gehungert werden.

„Die Krankheit einer Zeit heilt sich durch eine Veränderung in der Lebensweise der Menschen“, schreibt Wittgenstein in seinen Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik, „und die Krankheit der philosophischen Probleme konnte nur durch eine veränderte Denkweise und Lebensweise geheilt werden, nicht durch eine Medizin, die ein einzelner [sic!] erfand. Denke, dass der Gebrauch des Wagens gewisse Krankheiten hervorruft und begünstigt und die Menschheit von dieser Krankheit geplagt wird, bis sie sich, aus irgendwelchen Ursachen, als Resultat irgendeiner Entwicklung, das Fahren wieder abgewöhnt.“