Heiße Reifen über Baku

Auch ich war in Kabul, nachdem das Goethe-Institut dort wieder eröffnet und Geld für alle möglichen Lehrgänge – auch meinen – hatte. Die Künste stehen in Afghanistan in keinem hohen Ansehen. Nur wer’s nirgendwo anderes geschafft hat, studiert Literatur oder geht zum Film, eine unwürdige Tätigkeit. Die EU-Länder hatten trotzdem Kulturschaffende aus allen Bereichen nach Kabul geschickt, um die absonderlichsten Lehrgänge abzuhalten. Ich erinnere mich an eine bildhübsche Französin, direkt vom Titelblatt der Vogue, welche, um Gutes zu erreichen, den einheimischen Jungs das Jonglieren mit Zirkusbällen beibrachte. Eine Deutsch-Afghanin, die später einen GSG-9-Mann heiratete, setzte ihre Theaterstücke über das Elend afghanischer Frauen in Szene für die Expat-Gemeinde Kabuls. Den Afghanen selbst blieb die bürgerliche Veranstaltung Theater fremd, sie zogen indische Filme vor. Selbst dem Taliban-Obermullah Omar soll es nicht gelungen sein, den DVD-Player seiner jüngsten Frau zu beschlagnahmen. Überhaupt schien mir der Silberscheiben-Verleih in Afghanistan damals der einzige garantiert funktionierende Weg, in jedes Frauengemach und -gemüt vorzudringen. Statt dessen wurde zur Aufklärung der Massen das meiste Geld für Theater verpulvert, unter anderem, weil man der „Raubkopiererei“ keinen Vorschub leisten wollte. Kabul zog damals viele Glücksucher und bunte Gestalten an. Ich erinnere mich an eine deutsche Orientalistik-Professorin, die im hohen Alter mit ihrem VW-Bully über die Berge „zurück nach Kabul“ gekommen war, um hier zu sterben. Die etablierten Journalisten harrten alle in ihren Hotels aus, um nicht angeschossen oder entführt zu werden. Es war die Hochzeit für Freiberufler, die, wenn sie ihr Leben riskierten, endlich eine Chance hatten, etwas im Spiegel oder der New York Times zu platzieren. Ohne Aussicht freilich auf feste Anstellung. Einige Journalistinnen profitierten von ihren intimen Beziehungen zu dem ein oder anderen Warlord. Überhaupt fuhren auffällig viele NGO-Frauen tonangebend in weißen Allrad-Fahrzeugen umher und hatten afghanische Liebhaber. Die Männer zählen zu den bestaussehendsten der Welt. Aus dem Garten meines „Hotels“, der ehemaligen österreichischen Gesandtschaft und Ex-Residenz Bin-Ladens, sah ich ältere Flugzeuge sich in den Himmel schrauben. Kabul ist so hoch von Bergen umgeben, dass man nach dem Abheben nicht einfach durchstarten kann, sondern erst mal – über der Stadt kreisend – ins Stahlblau-Wolkenlose hinaufkreisen muss, um’s über die Berge zu schaffen. Das Hochland Afghanistans stellt eine große Herausforderung für Flieger dar, die in den Tälern zu landen haben. Weswegen etliche Peruaner, vertraut mit dem Relief der Anden, damals Arbeit als Piloten fanden. Auch in meinem Hotel lebten einige dieser Kondore in Uniform. Der zwischen Frankfurt und Kabul verkehrende Air Afghan-Airbus war ein klapperiges Geschenk der Inder, immerhin in der Lage, es ohne Hochschrauben über die Berge zu schaffen, auch wenn deren Gipfel plötzlich zwei Meter unter den Flügeln rauchten. Auf dem Heimweg wurde zwischengelandet in Baku, um Sprit zu fassen. Der Pilot, ein afghanischer Kriegsveteran, der auch mit abgesprengtem Bugrad, wie die Stewards mir versicherten, überall auf der Welt zu landen verstand, musste mit Bündeln Bargeld bezahlen. Nach dem Wiederabheben sackte die Maschine auf einmal durch und Rauch machte sich in der Kabine breit. Durchsagen auf Dari. Es roch nach verbranntem Gummi. Die Räder polterten heraus. Aber der Flug ging weiter. Die Bremsen, erfuhr ich dann, der Ohnmacht nahe, wären beim Abstoppen der Reifen, bevor diese in die Radkästen klappten, heißgelaufen – jetzt hängte man das Fahrwerk zum Abkühlen in die Luft. Und der Rauch? Kam aus der Küche, wo die Stewards – im Hocken – sich an indischen Zigaretten gütlich taten. Wenig von dem, was in Afghanistan passiert/e, dringt an die Öffentlichkeit, obwohl Kabul damals von Journalisten wimmelte. Ich habe mich öfters gefragt, woran das liegt. Wahrscheinlich, weil Zeitungen, auch TV-Programm u. ä. m. inzwischen „konzipiert“ werden. Wer „Inhalte“ liefert, muss die „Programmplätze“ damit füllen und kann mit nichts Unerhörtem kommen. Nachrichten werden heute, fürcht‘ ich, eher am Bildschirm hergestellt als von einem Geschehen abgelesen.