Das Epos unterscheidet sich von der Tragödie S. 81

Denn es ist möglich, … dieselben Gegenstände {Verläufe} nachzuahmen {vorzustellen}, hierbei jedoch entweder zu berichten {nachzuerzählen} – in der Rolle {aus der Sicht} eines anderen {integrierten Erzählers}, wie Homer dichtet, oder so, dass man unwandelbar als derselbe {Autor} spricht – oder alle Figuren als handelnde und in Tätigkeit befindliche {dramatisch} auftreten zu lassen. S. 9

 

Man kann Geschichten aus Sicht eines allmächtigen Autors oder durch das unmittelbare Erleben einer Identifikationsfigur erzählen.

 

[Das Epos unterscheidet sich von der Tragödie] in der Ausdehnung: die Tragödie versucht, sich nach Möglichkeit innerhalb eines einzigen Sonnenumlaufs zu halten oder nur wenig darüber hinauszugehen. S. 17

 

Was nicht als Serie erzählt wird, trägt sich in wenigen Stunden zu.

 

… das Ungereimte, die Hauptquelle des Wunderbaren, passt besser zum Epos, weil man den Handelnden {das Erzählte Darstellenden} nicht {unmittelbar} vor Augen hat. So würden die Begleitumstände der Verfolgung Hektors {Ilias 22, 131 ff.} auf der Bühne {Leinwand} lächerlich wirken: die Griechen stehen da und beteiligen sich nicht …; Achilleus … [stoppte] sie durch Kopfschütteln. Im Epos {einem Wortgemälde} hingegen bemerkt man solche Dinge nicht. S. 83

 

Ungereimtheiten in der Handlung werden geglaubt, sobald sie uns ein Kommentator vermittelt.

 

Was die erzählende {spannungslose, daher epische} … Dichtung angeht, so ist Folgendes klar: man muss [ihre] … Fabeln {Verläufe} wie in den Tragödien so zusammenfügen {auf ein gewisses Ende ausrichten}, dass sie dramatisch sind und sich auf eine einzige, ganze und in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende beziehen, damit diese, in ihrer Einheit und Ganzheit einem Lebewesen vergleichbar, das ihr eigentümliche Vergnügen {„Jammer und Schaudern“} bewirken kann. Außerdem darf die Zusammensetzung nicht der von {wirklich Geschehenem beschreibenden} Geschichtswerken gleichen; denn dort wird notwendigerweise nicht eine einzige Handlung, sondern ein bestimmter Zeitabschnitt dargestellt, d. h., alle Ereignisse, die sich in dieser Zeit mit einer oder mehreren Personen zugetragen haben und die zueinander in einem rein zufälligen Verhältnis stehen. Denn wie die Seeschlacht bei Salamis und die Schlacht der Karthager auf Sizilien um dieselbe Zeit stattfanden, ohne doch auf dasselbe Ziel gerichtet zu sein, so folgt auch in unmittelbar aneinander anschließenden Zeitabschnitten oft genug ein Ereignis auf das andere, ohne dass sich ein einheitliches Ziel {implizites Ende} daraus ergäbe. Und beinahe die Mehrzahl der Dichter geht in dieser Weise vor {ignores the distinction zwischen Dokumentar- und Spielfilm}. S. 77

 

Historischen Ereignissen entspringt eine dramatische Geschichte nicht, weil diese sich dann und dann parallel zu anderen zugetragen haben, sondern indem sie auf ein bestimmtes Ende hin ausgerichtet sind oder werden.

 

Daher kann Homer … im Vergleich zu den anderen Epikern als göttlich gelten: er hat sich gehütet, den ganzen Krieg darzustellen, obwohl dieses Geschehen einen Anfang und ein Ende hatte. Die Handlung wäre dann nämlich allzu umfangreich und somit unübersichtlich geworden, oder sie wäre, wenn sie hinsichtlich der Ausdehnung das richtige Maß gewahrt hätte, wegen ihrer Mannigfaltigkeit überkompliziert ausgefallen. Er hat sich daher einen einzigen Teil vorgenommen und die anderen Ereignisse in zahlreichen Episoden behandelt, wie im Schiffskatalog und den übrigen Episoden, durch die er seine Dichtung auseinanderzieht. Bei den anderen Epikern dagegen geht es um einen einzigen Helden oder um einen einzigen Zeitabschnitt, oder auch um eine einzige Handlung, die indes aus vielen Teilen {Strängen} besteht. S. 77 f.

 

Homer ist deswegen ein begnadeter Erzähler, weil er in der Ilias den gesamten Trojanischen Krieg nicht durch die Beschreibung seines jahrelangen Verlaufs, sondern vermittels einer spannenden Episode wiedergibt.