Wie funktioniert ChatGPT?

Vernünftigerweise konsultieren wir hierzu am besten die Logisch-philosophische Abhandlung Ludwig Wittgensteins (bekannt unter dem Titel der engl. Übersetzung „Tractatus“). Sie beginnt mit folgender Seinslehre:

1. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.
1.11 Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, dass es alle Tatsachen sind.
1.12 Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles nicht der Fall ist.
1.13 Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.
1.2 Die Welt zerfällt in Tatsachen.
1.21 Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles Übrige gleich blieben.

Die Welt, also alles, was besteht, ergibt sich demnach nicht aus Dingen, sondern aus Tatsachen – wie z. B. die Wirklichkeit auf einem Bildschirm sich nicht in Pixeln erschöpft, sondern in der Art und Weise, wie diese sich gruppieren. Die Pixel können in immer wieder neuer Weise zusammenkommen, so entstehen Bilder oder Tatsachen. Wenn ich (der Einfachheit halber) 10 Pixel habe, kann ich daraus soundso viele Bilder erzeugen. Jedes Bild aber, das ich erzeuge, kommt zustande auf Kosten all jener anderen Bilder, die deswegen nicht (mehr) erzeugt werden können – weil die dafür nötigen Pixel gerade für mein Bild verwandt werden, dadurch für anderes nicht zur Verfügung stehen. Auf dieses Bild kann ich als Autor*in ein Copyright anmelden, nicht aber auf alle andere Bilder, die dadurch zwar nicht bestehen, aber impliziert werden. „Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles Übrige gleich blieben“, die virtuellen Bilder werden nicht mehr oder weniger dadurch, dass eines von ihnen – auf Kosten aller anderen – realisiert wird.

Man könnte, bei dieser Auffassung bleibend, Pixel ersetzen durch Worte oder – im Fall ChatGPTs – Tokens, das sind Worttrümmer, die Dinge, aus denen die Welt ChatGPTs besteht. Jeder Text, den das System aufnimmt, wird zerlegt in Tokens, deren Beziehung zu allen anderen dann ermittelt wird durch einen statistischen Wert. Diese Werte bilden einen virtuellen oder logischen Raum, der ermöglicht, was in dem Verhältnis oder Zusammenspiel seiner Bestandteile liegt.

„Mein Grundgedanke ist“, sagt Wittgenstein im Satz 4.0312, „dass die ‚logischen Konstanten‘ nicht vertreten. Dass sich die Logik der Tatsachen nicht vertreten lässt.“ Das ist die zentrale Aussage, ihretwegen hat der Philosoph seine Abhandlung geschrieben. Gemeint ist damit, dass wir uns kein Bild aller Bilder machen können, die möglich sind, also keine Urheberschaft am Vorliegen des Materials unserer Vorstellungen erheben können – dass die Sprache und die in ihr schwelenden Möglichkeiten, die Ideologien, niemandem gehören.

ChatGPT löst das ihm zugeführte Material auf in einen solchen logischen oder virtuellen Raum, an dem niemand mehr die Urheberschaft beanspruchen kann.

Wie kommt das System dann zu seinen Ideen oder Ausgaben?

Es kann sich nicht spontan ausdrücken, sondern muss durch Anstöße oder Prompts dazu ermuntert werden. Ein Prompt ist eine beliebige Kombination von Tokens, die wir uns am besten wieder als Bild vorstellen. Wir füttern das System mit diesem Bild, und es analysiert die Art und Weise, in der dessen Pixel oder Punkte/Tokens zueinander stehen, den logischen Raum oder Ausschnitt desselben, den dieses Bild konstelliert. Es wird somit als Metapher aufgefasst oder Interpretation eines Zusammenhangs, der sich auch anders deuten ließe. Ähnliche oder verwandte Konstellationen, die vorher virtuell waren, werden dann „metonymisch“ assoziiert oder wahr. Jede Ausgabe von ChatGPT geht also einerseits einen Schritt weiter, tritt zum ersten Mal in der Welt, ist andererseits aber dem Sachverhalt, den ihr Anstoß deutete, verwandt oder zum Verwechseln ähnlich, sein Klischee gewissermaßen.

Viele der aktuellen KI-Kurse werden von Technologie-Enthusiasten angeboten. Als ehemaliger Studienleiter der DrehbuchWerkstatt München betrachte ich das Thema mehr philosophisch, vor allem aber aus der Perspektive des Geschichtenerzählers und verbinde traditionelle Erzähltechniken mit den Möglichkeiten der KI, was zu einem nachdenklichen und inspirierenden Ansatz führt – hier.