René Girard vs. Psychoanalyse

Freud und Girard sind beide einflussreiche Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Psychoanalyse und des menschlichen Begehrens. Trotz der Ähnlichkeiten in ihren Interessengebieten gibt es bedeutende Unterschiede in ihren Theorien und Ansätzen.

Freud glaubt auf der einen Seite, dass das Begehren ein zentraler Aspekt der menschlichen Psyche ist, tief verwurzelt in den Erfahrungen der frühen Kindheit. Er schlägt vor, dass das Begehren eines Kindes hauptsächlich auf den Elternteil des anderen Geschlechts gerichtet ist (Ödipuskomplex bei Jungen und Elektrakomplex bei Mädchen) und dass es eine Tendenz zur Nachahmung, Identifikation und Rivalität mit dem Elternteil des gleichen Geschlechts gibt. Diese elterliche Identifikation ist laut Freud entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit und kultureller Muster.

Girard hingegen vertritt die Theorie des mimetischen Begehrens, die besagt, dass das Begehren keine direkte Beziehung zwischen einem Subjekt und einem Objekt ist, sondern vielmehr durch eine dritte Partei vermittelt wird. Er legt nahe, dass das Begehren nachahmend (mimetisch) ist, wobei Individuen Objekte begehren, weil andere sie begehren. Er betont auch die Rolle von Rivalität und Gewalt in der menschlichen Gesellschaft und schlägt den Mechanismus des „Sündenbocks“ als Mittel für Gesellschaften vor, um ihre gewalttätigen Spannungen abzubauen.

Es gibt bemerkenswerte Unterschiede zwischen diesen Theorien. Während Freud den Schwerpunkt auf die Eltern-Kind-Beziehung legt, argumentiert Girard, dass Begehren und Rivalität nicht auf familiäre Bindungen beschränkt sind. Er betrachtet Kinder auch als unschuldige Wesen, die ein gefährliches Terrain navigieren, während Freud ihnen komplexere Emotionen und Begehren zuschreibt.

Kritiker haben mögliche Übersehungen und Einschränkungen in Girards Theorie aufgezeigt. Sein Fokus auf das mimetische Begehren könnte andere bedeutende Aspekte des menschlichen Begehrens und der Beziehungen übersehen. Seine Berufung auf literarische Texte zur Validierung seiner Theorien könnte auch als reduktiv angesehen werden, indem er seine Theorie zu einem selbstvalidierenden Konstrukt macht.

Darüber hinaus argumentieren einige Kritiker, dass Girards Ansatz oft zu totalisierend ist und die Vielfalt und Nuancen der Realität opfert, die nicht in sein theoretisches Gerüst passen. So haben zum Beispiel nicht alle Kulturen Opferrituale, und nicht alle triangulären Begehrensmuster werden mimetisch.

Sowohl Freud wie Girard biten aufschlussreiche Theorien über die Natur des menschlichen Begehrens an, gehen das Thema jedoch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Methoden an. Ihre Arbeit eröffnet verschiedene Wege zum Verständnis des Begehrens, jeweils mit ihren Stärken und Schwächen.

René Girard war ein französischer Gelehrter, der viel in den USA gearbeitet hat und bekannt ist für seine Theorien über Mimesis (Nachahmung), Rivalität, Gewalt und Religion als grundlegende Elemente der menschlichen Kultur. Er lehrte als Professor für französische Literatur und schrieb mehrere bemerkenswerte Bücher, darunter Deceit, Desire and the Novel, Violence and the Sacred und Things Hidden since the Foundation of the World.
Er glaubte, dass klassische Werke der Weltliteratur tiefere Einblicke in die menschliche Natur und Kultur bieten als wissenschaftliche Theorien und Texte. Laut Girard sind Mythen keine einfachen Erfindungen, sondern vielmehr Texte, die durch den Glauben der Gemeinschaft an die Schuld ihres Sündenbocks verzerrt wurden. Er sah sich selbst als jemanden, der diese Missverständnisse aufdeckt und versucht, die falsch beschuldigten Opfer zu befreien.

Seine Arbeit ist stark vom Christentum und insbesondere von der jüdisch-christlichen Schrift beeinflusst, die er als fortschrittlicher in Bezug auf die Dekonstruktion ansieht als unsere modernen kritischen Theorien. Tatsächlich betrachtet Girard das Christentum nicht nur als privaten Glauben, sondern als eine Art Erkenntnis, die zu einer „Christisierung der Geisteswissenschaften“ führt. Er war der Meinung, dass selbst das atheistische und rationalistische Denken der 19. und 20. Jahrhunderts unbewusst innerhalb dieses fortschreitenden und unaufhaltsamen Triumphs der biblischen Botschaft positioniert ist, die allein den Schlüssel zur vollen Offenbarung der gewalttätigen Ursprünge besitzt.

Seine Ansichten waren ziemlich radikal und im Gegensatz zu vielen vorherrschenden Strömungen in der Wissenschaft und Philosophie seiner Zeit. Dies führte dazu, dass seine Ideen von vielen in den dominierenden Disziplinen ignoriert wurden, während andere seine Arbeit begeistert aufnahmen und versuchten, seine Theorien weiterzuentwickeln.

Obwohl Girards Arbeit nicht die weitreichende Anerkennung erlangt hat, die er vielleicht erhofft hatte, gibt es dennoch viele, die seine Ansichten schätzen und versuchen, seine Theorien in einem offeneren Rahmen zu erforschen und zu erweitern.

Girard argumentiert, dass unser Verlangen nach Dingen, Menschen oder Ideen nicht unabhängig ist. Wir lernen durch Nachahmung (daher das Wort „Mimesis“ im Titel). Das bedeutet, dass wir uns an anderen orientieren, um zu wissen, was wir wollen oder begehren sollen. Wir begehren Dinge nicht, weil sie von Natur aus begehrenswert sind, sondern weil wir sehen, dass andere sie begehren.

Wenn man es sich vorstellt, ist das Begehren wie ein Dreieck. An der Spitze steht das Objekt, das wir begehren, und die beiden anderen Punkte sind wir und der „Vermittler“ oder „Mediator“ – die Person oder Idee, die uns zeigt, dass wir das Objekt begehren sollen.

Girard untersucht dieses Konzept in Literaturwerken von Autoren wie Cervantes und Dostojewski und stellt fest, dass diese Autoren oft zeigen, wie unsere Begierden durch andere Menschen geformt werden. In diesen Geschichten wird das Begehren oft problematisch oder sogar zerstörerisch, wenn der Vermittler zu nah an uns ist, d.h. wenn wir uns mit jemandem messen, der uns sehr ähnlich ist.

Im Extremfall kann das Objekt des Begehrens sogar irrelevant werden. Stattdessen stehen die beiden Konkurrenten nur noch im Wettbewerb, wer mehr hermacht – sie werden zu „mimetischen Doppelgängern“. Sie kämpfen um etwas, das im Grunde genommen – nichts ist.

Die Theorie besagt auch, dass unsere Begehrlichkeiten und Konflikte oft viel tiefer gehen, als wir denken. Zum Beispiel könnte jemand, der von psychiatrischen Problemen geplagt ist, tatsächlich unter den Auswirkungen eines verborgenen mimetischen Konflikts leiden.

Letztendlich argumentiert Girard, dass diese mimetischen Begierden und Konflikte in der Geschichte dazu geführt haben, dass Gesellschaften Sündenböcke suchen und opfern, um die Spannungen abzubauen. Dies ist der zweite große Teil seiner Theorie, die sogenannte „Opfertheorie“.

Girard bewunderte Freud und Lévi-Strauss und sah sie als Konkurrenten an. Beide hatten Theorien entwickelt, die versuchten, menschliches Verhalten und Kultur zu erklären. Girards Ziel war es nun, eine ähnlich umfassende Theorie zu schaffen, die aber seine eigenen einzigartigen Ideen und Perspektiven enthielt.

Sowohl Freud als auch Lévi-Strauss sahen die Kultur als eine Art von Ordnung oder Struktur, die sich aus der Natur entwickelt hat. Aber während Freud sich auf individuelle menschliche Verhaltensweisen konzentrierte und Lévi-Strauss auf kulturelle Normen und Praktiken, konzentrierte sich Girard auf das Konzept der Nachahmung oder Mimesis und das Phänomen der Gewalt und des Opfers in menschlichen Gesellschaften.

Girard ist kritisch gegenüber Freud und besonders gegenüber dem Begriff der „Ambivalenz“, den Freud populär gemacht hat. Ambivalenz bezeichnet das gleichzeitige Bestehen von gegensätzlichen Gefühlen oder Einstellungen gegenüber einer Person, einer Sache oder einer Situation. Für Girard ist dieser Begriff zu schwammig und nicht hilfreich bei der Erklärung komplexer menschlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Phänomene.

Er stellt Freud in Frage und versucht, eine Antwort auf noch offenen Fragen zu finden. Aber er macht das auf eine sehr direkte Art und Weise – nicht wie andere Denker, z. B. Gilles Deleuze und Felix Guattari, die er als „Guerilla-Taktiker“ bezeichnet, die Freud auf indirekte Weise herausfordern.

Girard folgt den Wendungen und Entwicklungen in Freuds Texten, zeigt auf, wo Freud seiner Meinung nach in eine Sackgasse geraten ist, und entnimmt Freuds Theorie jene Aspekte, die er für seine mimetische Theorie braucht.

Es gibt zwei zentrale Auffassungen Freuds, die Girard für seine eigene Theorie nutzt: die Mimesis (Nachahmung), die die Struktur für den Ödipuskomplex bildet, und den kollektiven Ur-Mord. Girard nimmt Freud’sche Ideen, entfernt Teile, die er für unnötig hält, und behält die Teile, die er für seine eigene Theorie der Nachahmung oder Mimesis für nützlich hält.

Girard glaubt, dass Freud, während er die Idee des mimetischen Begehrens und die Strukturen, die es formen, weiterverfolgte, schließlich auf die Idee des Begehrens stieß, das im Objekt (dem mütterlichen Objekt) verwurzelt ist. Dies geschah laut Girard in dem Übergang von Massenpsychologie und Ich-Analyse zu Das Ich und das Es.

Freud entwickelte den Ödipuskomplex, um trianguläre (Dreiecks-) Rivalitäten zu erklären, da er die Erklärungskraft des Prinzips der Nachahmung in Bezug auf Begehren und Rivalität nicht entdeckte.

Girard ist der Meinung, dass Freud die Psychoanalyse zu Welt bringen musste, weil er den mimetischen Vormarsch abbrach. Obwohl es in Freuds Arbeiten Spuren der mimetischen Konzeption gibt, spielt diese nie eine dominierende Rolle, da sie der Freud’schen Betonung eines Begehrens, das nichts nachmacht, sondern spontan auf ein Objekt gerichtet ist (also das sexuelle Begehren nach der Mutter), widerspricht.

Die Nachahmung reicht laut Girard aus, um die beiden Tendenzen der Kindheit zu erklären – die Bindung an die Mutter und die Ambivalenz gegenüber dem Vater – welche laut Freud dazu neigen, sich zu vereinen. Girard sieht nur eine Bewegung: Die Nachahmung des Vaters erzeugt das Begehren nach dem Objekt (der Mutter).

Girard versucht somit, die Vorstellung einer Libido, die unmittelbar auf die Mutter fixiert ist – diese zweite Seite des ödipalen Dreiecks – loszuwerden, die laut Freud von innen kommt und nicht nachgeahmt wird.

In dem Übergang von Massenpsychologie und Ich-Analyse zu Das Ich und das Es, so Girard, streicht Freud weitere Spuren von Nachahmung.

Girard glaubt, dass Freud eine Chance verpasst, indem er sich auf das spontane Begehren nach einem Objekt (der Mutter) konzentriert hat, anstatt die Macht der Nachahmung (wie wir uns verhalten und begehren, basierend auf dem, was wir in anderen sehen) zu erkennen. Girard ist der Meinung, dass das Begehren nach der Mutter eigentlich aus der Nachahmung des Vaters entsteht und nicht ohne ihn auf die Mutter ausgerichtet ist.

Girard untersucht zwei zentrale Figuren in Freuds Theorie, die als selbstbezogene, autonome Individuen auftreten: Die perfekte Narzisstin, die sich im Grunde nur selbst liebt, und der Vater der Urhorde, der als autonomer Anführer der Gruppe auftritt. Diese Figuren scheinen in ihrer autonomen und selbstbezogenen Art und Weise außerhalb des mimetischen Netzwerks zu stehen, das Girard uns vorstellt. Sie handeln spontan und machen nichts nach.

Girard argumentiert, dass Freud die Strategie des Narzissmus nicht vollständig erkannt hat. Girards meint, die Selbstbestimmtheit des Vorbilds (Ur-Vaters oder perfekte Narzisstin) sei etwas, das wir uns vormachen – das zentrale Phantasma des Begehrens.

Für Girard besteht ein Unterschied zwischen den Gruppenmitgliedern (den „Brüdern der Horde“) und dem Anführer (dem „Vater der Horde“). Während die Gruppenmitglieder an Bindungen und Beziehungen gebunden sind, soll der Vater frei und autonom sein. Dies ist für Girard eine Illusion, die von der Masse aufrechterhalten wird, die den Anführer erzeugt und ihm Macht verleiht, während sie gleichzeitig glaubt, von ihm erzeugt und kontrolliert zu werden.

Die These von Girard ist also, dass der Anführer oder der „perfekte Narzisst“ nicht aufgrund seines inneren Vermögens diese Position einnimmt, sondern aufgrund des Prozesses, durch den die Masse (oder die Gruppe) sich um ihn vereint. Es geht nicht um die individuellen Eigenschaften des Anführers, sondern die Rolle, die das System ihm zuweist.

In der Sichtweise von Girard führt diese Betrachtung direkt zur Theorie des Sündenbocks und entsorgt die Freud’sche „Mythologie“ des Vatermords. Der „Vater der Urhorde“ oder der Anführer ist also nicht wirklich autonom oder mächtig aus sich heraus, sondern wird durch die Masse, die ihn umgibt, in diese Position gehoben. Dies widerspricht der Freud’schen Vorstellung von der Autonomie des Vaters und der perfekten Narzisstin und stellt sie als Produkte des mimetischen Prozesses dar.

Freud glaubte, dass die Kultur auf einem kollektiven Mord, speziell auf einem Vatermord (Patrizid), basiert. Er meinte, dass rituelle Praktiken und mythische Bedeutungen aus einer realen Tötung entstanden sind. Freud verwendete den Begriff „Entstellung“, um die Beziehung zwischen Kultur und dem Gründungsmord zu beschreiben.

Girard geht seinerseits von der Vorstellung eines Ersatzopfers als Ausgangspunkt der Kultur aus. Beide, Freud und Girard, sehen in diesem Mordereignis einen Gründungsakt und in dessen Verschleierung das Fortschreiten der Kultur.

Girards Theorie fand jedoch eine ähnlich unterkühlte Aufnahme wie die von Freud. Anthropologen wie Lévi-Strauss lehnten Freuds Ideen ab, weil sie nicht die Ursprünge der Zivilisation erklärten, sondern nur ihren aktuellen Zustand. Paul Ricoeur kritisierte Freud ebenfalls, weil er die Mechanismen zur Erklärung individueller Neurosen zur Erklärung religiöser Ereignisse heranzog.

Girard wollte die Sichtweisen von Freud und der strukturalistischen Perspektive von Lévi-Strauss verbinden. Er behielt die strukturalistische Idee bei, dass Mythen als „Bedeutungsmaschinen“ dienen, und fügte die historische Dimension von Freud hinzu. Für Girard sind Mythen wie Träume für Freud: sie verkleiden gewalttätige Ereignisse in harmlos erscheinende Geschichten.

Girard griff zwei Theorien von Freud auf, die sich mit dem Ursprung des Inzests beschäftigen. Die erste Theorie besagt, dass der tote Vater stärker wird als der lebende Vater, und die zweite Theorie betont die zentrifugale Natur sexueller Begierden, die Menschen eher trennen als vereinen.

Girard nahm diese Theorien und fügte die Idee des Sündenbocks hinzu, um die Einheit der Gesellschaft wiederherzustellen und das Chaos der „Alle-gegen-Alle“-Gewalt zu vermeiden. Er meinte, dass Freud die Gründungsgewalt in der Fantasie des Vatermords verankerte und somit auf einer mythisch-fiktionalen Ebene verblieb, während er, Girard, vorschlage, dass die Gründungsgewalt eher in einem wirklichen (zufälligen) Menschenopfer bestanden habe.

In Massenpsychologie und Ich-Analyse zeigt Freud eine bedeutende Überschneidung mit den Ideen Girards. Während viele Freud’sche Texte sich hauptsächlich auf das Individuum konzentrieren, hebt Freud in diesem speziellen Text die Rolle des Anderen in der psychischen Entwicklung des Einzelnen hervor. Er schlägt vor, dass andere Menschen als Modelle, Objekte, Helfer oder Gegner immer beteiligt sind. Dieses Konzept deckt sich mit Girards Ansicht von Mimesis und Begehren.

Laut Freud ist die Gruppe ein Mechanismus, der dazu dient, rivalisierende Triebe zu kontrollieren und zu verhindern, dass die Gesellschaft in Chaos und Gewalt versinkt. Wenn die Gruppe sich auflöst, kehren diese feindseligen Impulse zurück. Freud betont auch, dass der Prozess der Identifikation ursprünglich als Reaktion auf Rivalität entsteht und diese dann verbirgt. Er beschreibt ein Phänomen, bei dem eine Gruppe von Frauen, die ursprünglich Rivalinnen waren, sich durch ihre gemeinsame Liebe zu einem Sänger identifizieren und so ihre Feindseligkeit in eine Gemeinschaft verwandeln.

Freud verwendet den Begriff „Umwendung“, um diese plötzliche Transformation zu beschreiben – ein Begriff, der sehr nahe an Girards Konzept des Heiligen ist. Für beide entsteht die Gesellschaft aus einer gewalttätigen Lösung: Bei Girard ist es das Sündenbockopfer, bei Freud ist es die Identifikation mit einer Person außerhalb der Gruppe, die die ursprüngliche Feindseligkeit in eine positive Bindung umwandelt.

Interessanterweise stellen beide die Gruppenleitung in einen ähnlichen Kontext: Bei Freud folgt der Gruppenleiter auf den ermordeten Vater der Horde, während bei Girard das Sündenbockopfer die Gesellschaft gründet.

Jacques Lacan könnte der Brückenautor zwischen diesen beiden Paradigmen sein, da er Eifersucht und Rivalität in das Herz der Psychoanalyse eingeführt hat; denn beide, Lacan und Girard, kreisen um ähnliche Konzepte und Fragen. Sie interessieren sich beide für die zentrale Rolle des Anderen im Aufbau des Begehrens, die Rolle von Eifersucht und Rivalität in der Konstruktion sozialer Bindungen, das heimliche Dreieck in scheinbar dualen Beziehungen, und die Krise der modernen Gesellschaft, in der das „Ödipus-Ritual“ sich zuträgt.

Ein Beispiel dafür findet sich in Lacans Dissertation De la psychose paranoiaque dans ses rapports avec la personnalité (Über paranoide Psychose und ihre Beziehung zur Persönlichkeit) aus dem Jahr 1932. Lacan untersucht den „Fall Aimée“, in dem hervortritt, was auch das zentrale Thema der Girardschen Forschung wird – die potenziell katastrophale Rivalität zwischen Vorbild und Subjekt und die plötzliche Umkehrung von Bewunderung in Mord.

Die Definition von Hass, die Girard am Anfang seines Werks liefert, könnte als Kommentar zu Lacans These gesehen werden: „Nur jemand, der uns daran hindert, ein Begehren zu befriedigen, das er selbst in uns geweckt hat, ist wirklich ein Hassobjekt. Derjenige, der hasst, hasst sich zuerst selbst für die geheime Bewunderung, die sein Hass verbirgt.“

Lacan bindet Begehren an Rivalität. Es kann von ihm in einer Beziehung nur die Rede sein in einem unmittelbaren Wettbewerb mit jemand anderem um das Objekt der Begierde. In solcher “Beziehung” wünscht das Subjekt das Verschwinden des Anderen, indem durch ihn sein Begehren gestützt wird.

Diese Rivalität ist auch in frühen Formen der Selbstwahrnehmung des Kindes oder im Spiel präsent, wenn das Kind die Aktivitäten des Anderen als den seinigen voraus gewahrt. Lacan bezeichnet diese Beziehung als das Imaginäre.

Lacan und Girard haben jeweils ihre eigenen Theorien darüber, wie man einer Situation der Rivalität oder Konkurrenz entkommen kann.

Für Lacan liegt die Lösung im „Symbolischen“, einem Bereich, der über das „Imaginäre“ hinausgeht – also über die Vorstellung hinaus, die wir ursprünglich von uns selbst und unserer Beziehung zu anderen haben. Er glaubt, dass ein drittes Element, repräsentiert durch ein Gesetz oder eine Regel, notwendig ist, um die intensive Bindung oder Faszination zu durchbrechen, die in einer dualen (also zweipersonalen) Beziehung entsteht.

Um aus einer primären Konkurrenzsituation herauszukommen, brauchen wir etwas Externes – eine Regel, ein Gesetz oder eine Autorität – die die Faszination oder die Spannung, die in einer imaginären Beziehung zwischen zwei Personen entsteht, durchbricht.

Lacan sieht die Psychoanalyse als eine Art Heilmittel für gesellschaftliche Probleme – er bezeichnet sie als „Medizin der Zivilisation“. Er meint damit, dass die Psychoanalyse helfen kann, bestimmte Krisen, die in der modernen Gesellschaft aufkommen, zu bekämpfen. Diese Krisen entstehen durch das, was Girard als „mimetische“ Probleme bezeichnet – Situationen, in denen Menschen einander nachahmen und dadurch Rivalität und Konflikt entstehen.

In Girards Denken könnte man sagen, dass die Psychoanalyse hier dazu dient, einen Übergang von der Nachahmung und Rivalität (das „Imaginäre“) zu einem Zustand mit mehr Struktur und Regelgebundenheit (das „Symbolische“) zu ermöglichen. Dies könnte man als eine Art modernes Ritual sehen, das dazu dient, die Gesellschaft zu stabilisieren und Konflikte zu lösen.

Die Psychoanalyse käme insofern einem „Ritual“ gleich, das in einer bestimmten Phase der westlichen Geschichte entsteht. In Zeiten, in denen die Unterschiede zwischen Menschen, z. B. Vätern und Söhnen, weniger klar werden und, infolge Anähnelung, Rivalitäten entstehen (was Girard als „kulturelle Indifferenzierung“ bezeichnet), kommt die Psychoanalyse ins Spiel.

Für Girard ist Begehren selbst eine akuter Weiterung dieser „Indifferenzierung“; es ist die mimetische Krise, die sich ausbreitet und aushöhlt – es ist das, was passiert, wenn es keine Lösung für “imaginäre” Beziehungen gibt.

Psychoanalyse entsteht also in Zeiten, in denen traditionelle Unterschiede abgebaut werden und mimetische Krisen entstehen. Auch Lacan hat dies in seinen eigenen Worten ausgedrückt und das Aufkommen von Neurosen in bestimmten Familienstrukturen, in denen das Ideal des Egos die Sexualität nicht regulieren kann, verortet.

Freud entstand zusammen mit Die Brüder Karamasow – beide sind das Ergebnis derselben Krise, die Väter und Söhne einer beispiellosen Rivalität aussetzte.

Die „Pharmazie“ von Freud, die Methode, die er zur Behandlung dieser Krisen vorschlägt, passt in diese Geschichte von rituellen Krisen und Heilmitteln. In der Psychoanalyse ist es die Aufgabe des Analytikers, die Übertragung zu verwalten; das ist der entscheidende Aspekt der Freud’schen „Pharmazie“.

Die Psychoanalyse wäre, so gesehen, ein Ritual oder soziales „Heilmittel“, das hilft, die Krisen zu bewältigen, die entstehen, wenn Menschen beginnen, sich zu sehr zu ähneln und Rivalitäten entstehen. Es ist eine Methode, diese Konflikte „auszutragen“, damit sie besser gehandhabt und gelöst werden können.

Girard fordert eine völlige Umstellung des Freud’schen Paradigmas hin zu einer Konzentration auf „mimetisches Begehren“, was bedeutet, dass das Begehren nicht an ein bestimmtes Objekt gebunden ist (wie z.B. die Mutter im Ödipuskomplex), sondern eher durch die Nachahmung eines „Vermittlers“ bestimmt wird.

Würden ins Innere eines dermaßen bestimmten Begehrens die Aspekte des instinktiven oder tierischen Lebens – z.B. der Sex –- noch eingreifen?

In Girards Theorie verschwinden die Objekte des Begehrens. Im Grunde kann alles potenziell begehrenswert sein, solange jemand da ist, um es zu vermitteln. Das führt zu weitgehenden Schlussfolgerungen, wie zum Beispiel der Idee, dass ein Kind, wenn das Vater-Vorbild nicht die Mutter, sondern eine Reise nach Hollywood begehrte, sofort zur nächsten Reiseagentur eilen würde.

In Girards Theorie verschwindet ev. das Unbewusste – als Umsetzung der Beziehung zwischen dem Subjekt und seinem Vater. In der Psychoanalyse wird dies als „Identifikation“ bezeichnet, und es ist nicht dasselbe wie einfache Nachahmung oder mimetisches Begehren.

Ebenso entfällt in Girards Theorie die Besonderheit der Eltern-Kind-Beziehung. Er argumentiert, dass vatermörderische und inzestuöse Begehren nicht aus der Familie stammen, sondern aus einer krisenhaften Gemeinschaft von Erwachsenen. Dies wird jedoch von Girards Kritikers als eine mögliche Projektion unerledigter intrafamiliärer Konflikte in das Erwachsenenleben bemängelt.

Schließlich wird Girards Ansicht von Kindern als unschuldigen, unerfahrenen Wesen, die ohne Argwohn auf einem Minenfeld wandern, auseinandergenommen. In seiner Theorie verschwänden alle Unterschiede und würden auf die neutrale Figur der „Doppelgänger“ reduziert.

Girards Fokus auf das mimetische Begehren könnte einige wichtige Aspekte des menschlichen Begehrens und der Beziehungen übersehen. Was die Frage aufwirft, ob seine Theorien letztlich wirklich befriedigender sind als andere Perspektiven auf das Begehren.

Girard wie Freud teilen einen philosophischem Stil, der sich von strengen wissenschaftlichen Reduktionen des Menschen, wie zum Beispiel genetischen Determinismen, sowie von einer eher abgehobenen, mystischen Philosophie abhebt. Trotz dieser stilistischen Ähnlichkeiten gibt es jedoch signifikante Unterschiede in ihrer Theoriebildung und -anwendung.

Freud betrachtet Theorie als einen stolpernden Weg zur Erkenntnis, wobei er literarische Texte eher metaphorisch und anspielend nutzt, nicht ontologisch, wie Girard es tut. Girard neigt dazu, in den von ihm untersuchten Texten vor allem Bestätigungen seiner eigenen Theorien zu sehen, insbesondere im Hinblick auf Mimesis und den Sündenbockmechanismus.

Einige Kritiker behaupten, dass Girards Ansatz oft zu totalisierend ist und dass er Unterschiede und Aspekte der Realität opfert, die nicht in seine Theorie passen. So gibt es Kulturen ohne Opferrituale, Formen der Nachahmung, die nicht unbedingt auf Besitzstreben hinauslaufen, trianguläre Begehrensmuster, die nicht zwangsläufig mimetisch werden, und Unterschiede, die nicht auf das generative Opfer reduziert werden können.

Girard scheint manchmal in eine theoretische Falle zu geraten, in der er glaubt, alles erklären zu können. Er vertritt die Ansicht, dass Literatur immer nur ein einziges Thema hat, dass die Mythologie der Welt nur auf einem einzigen Ereignis beruht und dass alles auf diese Offenbarung hinausläuft. Er neigt dazu, in das Bewusstsein des Autors einzudringen und seine Bewegungen nachzuahmen, was zu einer Art Bestätigung des Selben im Anderen führt.

Obwohl Girards Stil in einigen Passagen faszinierend sein kann, wirken seine theoretischen Konstruktionen zerbrechlich. Diese Faszination kann zu einer Art Illusion führen, die die Fragilität und Endlichkeit der Forschung, und letztlich des Todes, beiseiteschiebt.

Girards steife theoretische Struktur, trotz der Intuitionen, die sie nähren, scheint für viele seiner Leser ein Stolperstein zu sein.