Die groteske Überschätzung des Vaters . . .

. . . hat ihre Ursachen in den Allmachtsfantasien gegenüber der Mutter.

Im guten Kinderfilm etwa, merkt unsere kleine Hauptfigur und gibt irgendwann zu, dass es „keinen Weihnachtsmann“ gibt. Am genauest dargestellt im Zauberer von Oz. Der Zauberer ist die Parodie schlechthin des allmächtigen Vaters oder Patriarchen, in Wirklichkeit ein unscheinbarer Mann, der hinterm Vorhang ein paar Hebel zieht.

Gar nicht mal so wenige Menschenleben bleiben – bis ans Totenbett – unerleuchtet von diesem „Dorothy-Moment“ der Erkenntnis der Machtlosigkeit des Vaters oder „Phallus'“, wie ihn die Lacanianer gerne nennen. Der „Phallus“ kommt danach in der Fantasie des Kleinkindes zustande als Erklärung für das „Begehren der Mutter“: die Tatsache, dass sie einem nicht, wie man’s lieber hätte, pausenlos zur Verfügung steht. Es scheint andere und stärkere Mächte zu geben, welche die Mutter „magnetisch“ von einem entfernen und, verfügte man bloß darüber, zwingen würden, nur noch für einem selbst da zu sein.
Der Schlüssel zum Vertrixten dieser Fantasie ist die Mutter (oder Person, die ihre Rolle spielt) im tyrannischen Gemüt des Kleinkinds – der Wunsch, sich zur restlosen Herrschaft über sie aufzuschwingen vermittels des „Phallus“, den es jenem zu rauben oder entleihen gilt, der offenbar darüber verfügt. Die Überschätzung des Vaters oder Menschen, der seine Rolle spielt, wird so verursacht vom primitiven Wunsch, der Mutter und damit des Lebens überhaupt Herr zu werden, um nicht zugrunde zu gehen. Wer über keine Macht verfügt, weiß dann doch immerhin, wo sie zu holen wäre.
Die klassische Heldenreise – ob von Moses, Jesus, Herkules, Ödipus oder Luke Skywalker und seinen starken Nachfolgerinnen – beginnt mit einem verstoßenen, missbrauchten Wesen. Es steht im Mittelpunkt eines therapeutischen Weltbildes, dem wir den entpolitisierten Menschen von heute verdanken. Je länger wir uns aber bei der Kindheit aufhalten, desto mehr werden unser Gemüt und seine Möglichkeiten bestimmt durch die Rede von Quälerei, Misshandlung, Verlassenwerden und Abweisung. Kaum jemand kommt dann noch darauf, sich nicht als Produkt seiner Ursprünge, fremder Mächte, sondern als „politisches Tier“ (Aristoteles) zu verstehen. Reife würde in diesem Fall nämlich etwas anderes bedeuten, beispielsweise die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls. Darin bestünde dann auch das menschliche Wachstum. Das Wort “Reise” spielte dabei keine Rolle, wäre durch etwas ersetzt worden wie Zusammenhalt, weniger Stolz.
Im Weg steht dieser Entwicklung der „Phallus“, die Überzeugung, dass es Über-Macht zusammengezogen an einer Stelle gibt, die man einnehmen oder anzapfen muss, um nicht zu verrecken. Erst, wer die Leere dieser Stelle entdeckt, die Machtlosigkeit oder Menschlichkeit des Vaters, wird frei für Selbstbestimmung und die Kräfte von Liebe | Freundschaft unter Gleichberechtigten. Das ist die Lektion, welche die besten Kinderfilme – Toy Story, Babe, The Wizard of Oz, Le Grand Chemin – bereit halten.

Der entscheidende Moment scheint mir dabei die Aufgabe des Stolzes , die Erkenntnis, dass man selbst wie jene, die man verehrte, auch nur zu den Sterblichen gehört. Dieser Moment ist mir zum Beispiel bei Frozen zu undeutlich geblieben, weswegen ich fürchte, dass hier die Neurose mehr gefördert als aufgelöst wird. In dem zentralen Lied Let It Go etwa besteht das „falsche Bild“, welches die Heldin von sich hat und aufgeben soll, darin, dass sie keine Superkräfte hätte. Wie überhaupt Mädchen-Filme neigen, ihren Heldinnen die Ernüchterung zu ersparen und zur Übernahme – statt Kritik – des „Phallus“ einzuladen.