Gefühle sind Gedanken sind Gefühle

EMOTIONEN werden ja gern gegen Gedanken oder Ideen ausgespielt. Aber gehört nicht zu jedem Gefühl eine mehr oder weniger abstrakte Vorstellung, die von ihm durchwirkt ist? Es gibt überhaupt kein Gefühl ohne einen Gedanken. Wie Denken signalisert somit Fühlen immer eine Abwesenheit. Wenn ich mich z. B. auf etwas freue, dann doch solange nur, wie es noch nicht da ist. Hab‘ ich es vor mir, verebbt die Freude. Ich denk‘ etwa an Heiligabend in meiner Kindheit. Der ganze Tag war erfüllt von einer köstlichen Aufgeregtheit, welche die Bescherung dann – zu Nichts werden ließ. Ist es so nicht mit jedem erfüllten Wunsch? In der Kindheit sind es noch Weihnachts-|Geburtstagsgeschenke – später dann der Liebespartner – die Karriere – schließlich noch die Gesundheit (das Traumgewicht). Jedoch immer muss es in der Zukunft liegen, um uns in Stimmung zu bringen, recht eigentlich also abwesend sein. Wie kann etwas Fernbleibendes uns emotionalisieren, da’s doch nur vorgestellt, also gedacht ist? Weil Gefühle, neige ich zu antworten, eben Gedanken sind, sie aufladen oder tönen, und nur Gedanken. Je weniger man denkt, desto weniger fühlt man. Der Inbegriff des Fühlens müsste folglich der abstrakteste Gedanke sein, also die reine Logik oder Mathematik. In der Tat wirken Mathematiker, wenn sie in ihrem Tun aufgehen, völlig abgehoben, berauscht und berichten auch von Erlebnissen, die „emotional weniger Begabte“ in ungehobelteren Exzessen suchen. Ist es also gar nicht Verkopftheit, die uns am Fühlen hindert, sondern Ungeduld – die zu schnell wahr machen möchte, was das Fühlen auslöscht? „Es gibt zwei menschliche Hauptsünden“, schreibt Kafka, „aus welchen sich alle andern ableiten: Ungeduld und Lässigkeit. Wegen der Ungeduld sind sie aus dem Paradiese vertrieben worden, wegen der Lässigkeit kehren sie nicht zurück. Vielleicht aber gibt es nur eine Hauptsünde: die Ungeduld. Wegen der Ungeduld sind sie vertrieben worden, wegen der Ungeduld kehren sie nicht zurück.“