„Pfingstreise“ im Jahre 1793 – Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck

Im Frühsommer 1793 brachen zwei kaum erwachsene Berliner, Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773 bis 1798) und Ludwig Tieck (1773 bis 1853), von ihrem Studienort Erlangen aus zu einer Rundtour durch Fränkische Schweiz, Frankenwald und Fichtelgebirge auf. Die ambitionierten Jungpoeten ahnten nicht, dass sie mit ihrer „Pfingstreise“ ins damals Unbekannte, Unwegsame, auch Unheimliche die Epoche der literarischen Romantik gleichsam eröffneten. In Briefen nach Hause erstatteten beide Bericht, wobei sich die Botschaften aufschlussreich und hörenswert unterscheiden in Haltung und Stil, Ausführlichkeit und Wahrheitsliebe. Wer jene Aufzeichnungen heute kennenlernt, fühlt sich zurückversetzt in eine niemals ganz verschwundene „romantische“ Landschaft zwischen Streitberg und Kulmbach, Bayreuth und Bad Berneck, Wunsiedel, Hof und Naila. Vielerorts haben sich die unberührten, abenteuerlichen, anheimelnden Reize von ehedem erhalten.

Blick über den Text

  • Ludwig Tieck an August Ferdinand Bernhardt in Berlin;  Erlangen, 1793 – Liebster Freund! (Erlangen – Ebermannstadt – Streitberg – Hollfeld – Wonsees – Sanspareil)
  •  Sonnabend, zweiter Tag (Allendorf – Phantasie – Bayreuth )
  • Sonntag, dritter Tag (Bayreuth)
  • Mondtag, vierter Tag (Bayreuth)
  • Dienstag, fünfter Tag (Naila)
  •  Mittwoch, sechster Tag (Naila – Kemlas – Bergwerk „Gottesgab“)
  • Donnerstag, siebenter Tag (Selb – Thierstein – Wunsiedel)
  • Freitag, achter Tag (Wunsiedel) Sonnabend, neunter Tag (Leupoldsdorf – Fichtelgebirge – Fichtelsee – Ochsenkopf – Bischofsgrün)
  • Sonntag, zehnter Tag (Berneck – Himmelskron – Kulmbach)
  • Mondtag, elfter Tag (Kulmbach – Thurnau)
  • Dienstag, zwölfter und letzter Tag (Muggendorfer Höhlen -Erlangen)
  • Wilhelm Heinrich Wackenroder schreibt den 2. Juni 1793 – theuerste Eltern! (Steitberg – Hollfeld – Wonsees – Sanspareil)
  • Am Morgen nahmen wir Abschied (Bayreuth)
  • Dicht vor Berneck wird man …(Berneck)
  • Hinter Berneck fährt man noch … (Helmbrechts – Naila – Kemlas – Bergwerk „Gabe Gottes“)
  • Noch am Abend des Tages (Hof – Asch/Böhmen – Selb – Wunsiedel – Luchsenburg)
  • Von hier gingen wir nach … (Alexandersbad – Arzberg – Fichtelgebirge – Bischofsgrün – Berneck – Himmelkron – Lanzendorf – Kulmbach – Thurnau – Muggendorfer Höhlen)

Ludwig Tieck an August Ferdinand Bernhardt in Berlin

Erlangen, 1793

 

Liebster Freund!

ich hatte es mir schon immer vorgenommen, Ihnen etwas von meiner Reise nach dem Fichtelberge zu erzählen, und so will ich Ihnen denn sogleich das Versprechen, das ich stillschweigend getan habe, erfüllen, so gut ich es nur kann, da ich nun schon vieles, was mir vor fünf Wochen noch ganz frisch im Gedächtnis war, ganz rein vergessen habe. Überhaupt, welch ein armseliges Ding ist das Gedächtnis und die Einbildungskraft des Menschen; er durchreist die Welt, alle seine Sinne streben gleichsam das All der Schönheiten zu verschlingen, und kaum ist es genossen, so dürstet er schon nach neuem Genuß, weil der vorige schon auf ewig verschwunden ist. — Ich fange aber wahrhaftig ordentlich wie die alten Chrien mit einem Allgemeinsatz zu erzählen an, hinweg damit! — Aber vorher noch eine Bitte. Wenn es Ihnen nicht zuwider ist, so zeigen Sie doch diesen Brief meiner Schwester, ich habe ihr sehr lange nicht geschrieben und ich weiß, daß ihr alles, was sie von mir sieht, Freude macht.

Wenn Sie eine Karte von Franken oder noch besser von Bayreuth zur Hand nehmen, so wird Ihnen unser Herumziehen sehr viel Spaß machen. Am Freitag vor Pfingsten bestiegen wir am Morgen um fünf Uhr unser Roß bei einem sehr schönen hellen Himmel und einer angenehmen Luft. Wir hatten in einem Mantelsack Wäsche und Kleider bei uns, den, wie wir ausmachten, jeder abwechselnd hinter sich aufs Pferd schnallen sollte; ich machte den Anfang.

Erlangen liegt in einer sehr schönen Ebene, man hat eine weite Aussicht über grüne Wiesen und Felder. Die Sonne war eben aufgegangen und gab der Landschaft noch größeren Reiz. Wir ritten zum nördlichen, zum Bay- reuther Tor hinaus. Gleich wenn man über die Erlanger Brücke kommt, findet man den Altstädter Berg, der einen äußerst angenehmen Prospekt bildet. Mehrere kleine Häuschen liegen unter Bäumen den Berg hinauf; unter diesen ist auch das Altstädter Schützenhaus (Erlangen teilt sich in Alt- und Neustadt), daher ist es sonntags hier manchmal sehr voll. Man kann selbst in der Stadt den grünen Berg mit seinen schönen krausen Bäumen sehen. Man reitet bis Baiersdorf immer neben Wiesen. Bei Baiersdorf (einer kleinen Stadt 2 Stunden von Erlangen) sieht man die kleine Festung Forchheim sehr deutlich, durch die ich auf der Herreise kam. Neben Baiersdorf steht ein altes Schloß, welches die Forchheimer im Dreißigjährigen Krieg eingeschossen haben. — Schon unterwegs hatte ich viel von meinem schwankenden Mantelsack leiden müssen; ich ließ mir daher bei einem Sattler neue Riemen schneiden, um ihn fester binden zu können. — Während dieser Zeit kam ein gewisser Hofmeister Meyer zu Fuß hereingegangen, der einen Tag zuvor groß Aufhebens von einer Reise nach Bayreuth in einer schönen Chaise gemacht hatte. Viele Leute hatten uns sogar geraten, diese Gelegenheit zu benutzen; wir hatten es aber zu spät erfahren und hatten uns während dem Reiten vorgenommen, ihm unseren lästigen Mantelsack bis Bayreuth mitzugeben, — und nun kam er selbst zu Fuß gegangen, die erwartete Chaise war ausgeblieben. Wir lachten zusammen darüber und sprachen mit ihm; in Streitberg sollten wir auf ihn warten und er wollte sich dort ein Pferd mieten, um mit uns reiten zu können. Wir beschlossen auch, weil es gerade so schön Wetter wäre, über Sanspareil zu reisen und von da erst nach Bayreuth, da wir uns vorher vorgenommen hatten, nach Bayreuth zu reisen und von dort nur einen Abstecher nach Sanspareil zu machen.

Wir ritten nun weiter, die Gegend und das Wetter wurden immer schöner; wir kamen durch mehrere sehr reizend liegende Dörfer, die Berge wurden nach und nach immer größer, die Gegend immer romantischer. Bei Gosberg liegt an einem gegenüberliegenden hohen Berge (Ehrenbürg) eine Kapelle äußerst schön und einsam; auf dem Ratsberge bei Erlangen kann ich sie immer ihrer Höhe wegen sehen, und ich freue mich jedesmal.

Dann kamen wir nach Ebermannstadt, eine kleine katholische Stadt; Kruzifixe und Heiligenbilder findet man allenthalben hier, selbst an den Landstraßen im Überfluß. Die Leute im Bayreuthischen und der ganzen Gegend sind prächtig, wie ich denn überhaupt die Katholiken lieber leiden mag als meine frostigen Religionsverwandten. Sie haben noch weit mehr vom religiösen Enthusiasmus, sie sind alle sehr freundlich und höflich, sie gehen ganze Strecken mit, um einem den Weg zu weisen. Wenn man nach dem Weg fragt, sind gleich sechs Leute da, die antworten wollen. Im Wirtshaus kommt einem oft die ganze Familie entgegen, kurz, sie sind meistenteils so zuvorkommend höflich und freundlich, als ich es nie geglaubt hätte, da man immer von der Tücke der Katholiken gegen Lutheraner so vieles spricht. In Ebermannstadt waren alle Leute sehr freundlich, besonders die Frauenzimmer, die im Katholischen fast alle blond sind, blaue Augen und einen gewissen schwärmerischen Madonnenblick haben. Die Männer haben fast alle schwarze Haare und sehen aus wie Petrus und Judas auf ihren Gemälden und haben einen scharfen und festen Charakter. Die Bilder und Gemälde müssen gewiß viel auf die physische Bildung des Volkes wirken, da die Weiber sie täglich sehen und doch wenigstens zuweilen in eine wirkliche Begeisterung gesetzt werden.

Hinter Ebermannstadt reitet man immer durch ein äußerst romantisches Tal, durch das sich die Wiesent in vielen Krümmungen schlängelt. Zu beiden Seiten hat man ziemlich hohe Berge, geradeaus ebenfalls Berge vor sich. Ich habe noch wenig so schöne Tage als diesen genossen; es ist eine Gegend, die zu tausend Schwärmereien einladet, etwas düster Melancholisches und dabei doch so überaus freundlich. Oh, die Natur ist doch an Schönheit unerschöpflich! Hier nur ist der wahre Genuß, eine schöne Gegend veredelt den Menschen, eine schlechte macht ihn kleinlaut und scheu, die erhabene stimmt ihn erhaben, — nur in einer solchen Gegend schöne brave Republikaner! — Oh Schweiz, Frankreich — wenn ich doch hinfliegen könnte, mit genießen und mit für die Freiheit sterben!

Bis Streitberg sind von Erlangen vier Meilen, o Freund, was ist das ein ganz anderer Weg als von Berlin nach Potsdam, wo man gähnt und einschläft und nur Sand und kleine Fichten und preußische Wappen sieht! — Vor Streitberg kommt man noch durch Gasseldorf, dann kamen wir in Streitberg selbst an. Es liegt im Tale zwischen Felsen, die meist bewachsen sind. Zwei Schlösser stehen sich gegenüber, das eine im Dorfe selbst steht noch ganz und ist ein Magazin, das andere auf dem gegenüberstehenden Berg ist größer, aber es besteht nur noch aus Ruinen. Sie kennen meine Vorliebe für das romantische Mittelalter; solche Ruinen sind immer äußerst ehrwürdig, für die Phantasie hat das Mittelalter sehr viel Anziehendes und der Verstand findet es immer kräftiger und vorzüglicher als unser schales Jahrhundert. —Ich und Wackenroder erstiegen nun den Felsen von der beschwerlichen Seite; aus zu großer Eil verloren wir den Weg und hatten nun mit manchen Mühseligkeiten zu kämpfen. Auf dem Felsen sind gleichsam mehrere Auswüchse, einzelne Klippen ragen drohend an manchen Stellen hervor, die Burg heißt Neideck. Wir kamen oben an. Sie ist so groß, wie ich noch bis jetzt keine einzige solche Veste gesehen habe. Sie hat doppelte Marken, mehrere Türme, große Gräben und ist selbst auf einem hohen Felsen gelegen. Man hatte von oben eine köstliche Aussicht über die ganze Gegend hin, besonders nach Müggendorf zu, wo die bekannten Höhlen sind. Dort sind durch die Wiesen mehrere Kanäle gezogen, und durch ein Fenster der Burg sah es gerade so aus wie die gewöhnlichen Fandkarten von Holland; es machte das schönste Gemälde und durch ein jedes Fenster sieht man eine neue Landschaft. Wir kletterten viel in den wüsten Steinhaufen umher und traten dann nach Streitberg unsern Rückweg an. — Man hat dort treffliche Forellen und sie schmeckten uns nach der Wanderung sehr gut. Das Wirtshaus liegt charmant und ich möchte wohl einige Zeit in Streitberg wohnen, man sieht die Burg geradeüber vor sich, ein kleiner Bach fließt unter den Fenstern vorbei, man hört die Bäume rauschen und Mühlen aus der Ferne klappern. — Ein gewisser Rebmann hat einen Roman geschrieben, Heinrich von Neideck, der äußerst armselig ist, indessen wenn sie ihn bekommen sollten, so sehn Sie ihn durch, es kommen manche von diesen Gegenden darin vor.

Nachmittag brachen wir wieder auf, Meyer holte uns ab; es war keine Zeit übrig, die Muggendorfer Höhlen zu besuchen und wir verschoben dies auf eine andre Zeit. Man muß im Dorfe einen ziemlich hohen Berg hinaufreiten, der auch ziemlich steil ist. Oben hat man eine göttliche Aussicht; auf dem Rathsberg bei Erlangen sehe ich auch Streitberg ganz deutlich.

Hinter Streitberg sah ich die erste Wallfahrt. Eine Menge Leute gingen langsam und singend ihre Straße fort, dann lachten sie wieder und waren lustige Männer, Weiber und Mädchen; sie wallten zu einem wundertätigen Marienbilde hin, in der Gegend von Kulmbach [Marienweiher]. Eine Wallfahrt muß wirklich nicht ganz unangenehm sein. —

Jetzt kamen wir durch mehrere schöne Gegenden. Ein Dorf, dessen Namen ich aber vergessen habe, lag schön auf einer Ebene mit grünen Hecken und Bäumen ringsum eingefaßt. Ich und mein Pferd, ein großer Rappe, hatten viel Courage; wir setzten mit großer Freude über Gräben und Hügel hinweg; es war aber auch eine schöne Gegend und sehr schönes Wetter. — Bei einem Dorfe kamen wir an einen sehr steilen Berg, wo ein schmaler Fußsteig weit näher führte als der Fahrweg; man wollte aber nicht wagen, diesen Fußsteig zu reiten, bis ich, auf Meyers und Wackenroders Furchtsamkeit nicht achtend, im Galopp hinaufsprengte; aus Scham folgten auch die anderen Herrn und nachher war es ihnen sehr lieb.

Wir kamen durch Hollfeld, einem kleinen bambergischen Städtchen, das äußerst schön liegt; es ist etwas abenteuerlich gebaut. Dann kamen wir über ein paar Dörfer und durch einen sehr angenehmen Wald. Allenthalben herrscht hier Fröhlichkeit und Tätigkeit, das Land ist fruchtbar, alle Gärten sind mit schönen grünen Hecken eingefaßt, alle Leute sind gesund und munter. — Soviel man den Charakter eines Volks nämlich im Vorbeigaloppieren bemerken kann, ist es leicht möglich, daß ebensoviele oder noch mehrere krank und verdrießlich waren, viele untätig, — aber an dem Tage trat alles heiter vor meine Seele und die ganze Natur ist dem Menschen, wenn er poetisch gestimmt ist, nur ein Spiegel, worin er nichts als sich selbst wiederfindet.

Wir kamen in Wonsees an, einem kleinen niedlichen Dorfe im Tale; das ist der Geburtsort des berühmten Taubmanns, eines ebenso großen Gelehrten als Hofnarren, eines Mannes, der in seinem Zeitalter ein ganz außerordentliches Lumen (Licht) war. Er war der Sohn eines Schuhmachers in diesem Dorfe, und man zeigt den Fremden noch das Haus, in welchem er geboren ist. Wir stiegen ab und besahen es; es ist eine kleine, unansehnliche Hütte und ich konnte mir die Jugend Taubmanns und sein erstes Leben in diesem Hause recht lebhaft denken.

Wir stiegen wieder auf und kamen nun in Zwernitz oder Sanspareil an. Die Gegend umher ist nicht im mindesten schön, aber von dem dortigen Garten werden Sie wahrscheinlich schon gehört haben, denn er ist sehr bekannt. Es war schon Abend, wir bestellten nun ein Abendbrot und gingen sogleich nach dem Garten; Sanspareil ist vier Meilen von Erlangen. — Es ist wirklich eine sehr merkwürdige Erscheinung, daß hier in einem Walde eine Menge sehr großer Felsmassen ganz isoliert stehen, die von Natur Hütten und Grotten bilden. Die Steine ragen kühn und wild verzerrt aus der Erde hervor und stehen unter Bäumen in einer Gegend, wo man sonst weiter gar nichts von Felsen sieht. Ich habe noch wenig gesehen, was einen so abenteuerlichen Eindruck macht. — Nachher habe ich bemerkt, daß die ganze Gegend hier herum einen solchen Charakter hat; bis Streitberg (3 Meilen) findet man solche Felsen; sie werden aber nach und nach immer kleiner und verschwinden endlich unter den gewöhnlichen Feldgesteinen. Nach Bayreuth zu ist es gerade ebenso, ebenso noch die Gegend von Kulmbach. — Man fand diese Erscheinung hier bei Zwernitz auf einer Jagd und hatte nun aus diesem Walde einen Garten gemacht, der äußerst feenhaft ist. Die großen Felspartien im Walde, das Große und Wilde, das dadurch in der Phantasie hervorgebracht wird, ein gewisser Tunnel, sind äußerst schön. Aber dadurch hat der Garten auch viel Einseitiges, es ist kalt drin, man findet nichts als Wald und Felsen; um eine Aussicht zu haben, muß man sehr hoch steigen, — und in jedem Garten ohne Ausnahme geht doch immer die hohe, heilige Empfindung verloren, die die Natur in uns hervorbringt. In Wörlitz habe ich das so oft empfunden und hier war es wieder derselbe Fall — das Rauschen eines Waldes, ein Bach, der vom Felsen fließt, eine Klippe, die im Tale aufspringt, — es kann mich in einen Taumel versetzen, der fast an Wahnsinn grenzt. In Sanspareil ist gewiß so wenig Kunst als möglich, aber ich dachte doch beständig daran, daß ich in einem Garten sei; von jedem Gange wußte ich, er führt mich zu einem andern Felsen. Fände ich von ohngefähr alle diese Partien in einem Walde, o dann würden sie mich unendlich mehr entzücken — ich suchte sie dann — aber in einem Garten läuft mir die Natur gewissermaßen immer mit allen ihren Plätzen nach. Ist die Natur dann so auffallend sonderbar wie hier, grenzt sie so sehr ans Bizarre, dann findet bei mir wirklich kein eigentlicher Genuß der Schönheit statt. —

Eine Partie, die mich doch ganz besonders bezauberte, war die Vulkanshöhle (alle Namen sind aus dem Telemach genommen); es ist ein ordentliches kleines Tal, rundum von Felsenmassen eingeschlossen. — Ein kleines Theater ist im Garten auch im Freien angelegt, auf dem sonst gespielt wird; es ist ganz im Geschmack des Gartens, die Kulissen sind Steine, die mit vielen kleinen Steinen bunt gemacht sind. Das Parterre besteht aus einer großen natürlichen Felsenhöhle, die fast fürchterlich gewölbt ist, und unter der man gebückt hinaufgehen muß. — Für die Nacht und den Mondschein gibt es vielleicht nichts Schöneres als diesen Garten; illuminiert müßte er völlig zum Bezaubern sein. — Als wir heraustraten, schwebte noch so eben der letzte rote Duft der untergegangenen Sonne um die Wälder. Mit vielen verdorbenen Empfindungen ging ich zum Wirtshause zurück. Das Essen war schlecht; ermüdet schlief ich desto besser.

Sonnabend, zweiter Tag

Das Menschchen ist ein veränderlich Ding, das ist schon eine sehr alte Sage. Noch vor einigen Jahren, wie könnt“ ich da den Tag nicht erwarten, wenn eine Reise ausgemacht war, wie könnt“ ich mehrere Nächte nicht schlafen, wie horcht“ ich, wenn der Wagen herbeirollte, mein Herz klopfte mir, als müßte mich die ganze Stadt beneiden — und jetzt bin ich gegen diese sonst meine größte Freude so kalt. Ich erwarte ganz gelassen die Stunde der Abreise, ganz trocken überlasse ich mich der Zeit, wie sie mich von einem Orte zum anderen bringen will. So sehr entzückt mich keine Gegend mehr als in meiner Kindheit, die schönsten Blüten der Phantasie sind bei mir schon lange abgefallen.

Am Morgen besahen wir mit dem Kastellan von Sanspareil noch einmal den Garten. Es war trübes Wetter; er führte uns auch in den Gebäuden herum, die sehr wenig sagen wollen. — Es kommt jetzt hier in Erlangen bei Walther eine Beschreibung mit Kupferstichen von Sanspareil heraus; vielleicht können Sie sie in Berlin zu sehn bekommen. — Wir hatten uns etwas zu lange aufgehalten, und als wir zurückkamen, war unser Begleiter Meyer schon nach Kulmbach, seiner Vaterstadt, abgereist.

Wir ritten nun auch weiter. Die Gegend um Sanspareil ist sehr unangenehm, sie hat etwas sehr Wüstes. Allendorf [Alladorf], ein Dorf, liegt sehr niedlich; wir ritten recht steil hinunter. Wackenroders Pferd hatte ein Eisen verloren und mußte hier neu beschlagen werden. Ein ziemlich breiter, aber nicht tiefer Bach floß durch das Dorf und gab ihm ein sehr romantisches Ansehn.

Nachher war die Gegend wieder ziemlich uninteressant. Wir ritten über mehrere Kalkberge, hatten bald Aussichten, bald gar keine; so kamen wir endlich auf die Chaussee nach Bayreuth. Am letzten Dorfe vor Bayreuth ist ein Garten, der Phantasie heißt. — Dies Dorf liegt äußerst schön, wie ein Amphitheater eine Anhöhe hinangebaut, unten eine sehr große Kluft gerissen und am jenseitigen Ufer wieder einzelne Häuser. In dieser großen Kluft eben ist der Garten angelegt; es war ein prächtiger Anblick. Hinter diesem Dorfe steht eine Linde, die wirklich merkwürdig ist. Ihr Stamm, glaub‘ ich, hat über 20 Klafter im Umfange. — Etwas weiterhin geht die Chaussee ziemlich bergab. Wackenroders Pferd war müde und stürzte stark. Wackenroder, der kein recht starker Reiter ist und dem dies eine ungewohnte Erscheinung war, fing laut an zu schreien; ich mußte noch lauter lachen.

Wir kamen nun in Bayreuth an. Die Straße ist mit einer Art von Kalksteinen gepflastert. Ich ritt stark und mein Pferd stürzte noch stärker, da vom Fahren mehr Stellen so glatt wie poliert sind. Wir kehrten im Goldenen Anker ein. Es wurde gerade gegessen, ich setzte mich also sogleich zu Tische. Die Gesellschaft bestand aus lauter Offizieren und Schauspielern, die gerade dort spielten und einem französischen Grafen, der schon lange in Deutschland wohnte und den ich am ersten Tage auch immer für einen Schauspieler ansah. Die Offiziere waren so armselige Geschöpfe, als man nur armselig sein kann. Ihre Unterhaltung war ohngefähr die, wie man sie bei den Hallischen Studenten, die recht dicke Freunde sind, antrifft, wenn sie besoffen sind. Nun werden Sie gewiß die beste Idee davon haben können: schimpfen, schlagen, dummen Witz machen; keinen Funken von Verstand oder Laune, die allergemeinste Lustigkeit des Pöbels, mit einem Phlegma des Geistes und einer Faulheit des Körpers, die ordentlich ekelhaft. Sie waren im höchsten Grade preußisch; denn so rohe Offiziere trifft man gewiß unter keiner andern Armee an. Die Schauspieler waren etwas mehr genießbar.

Nach Tische ließen wir uns frisieren und zogen uns an; dann besahen wir uns die Stadt. Sie ist etwas größer als Erlangen; fast alle Häuser sind

sehr gut gebaut, wenigstens alle aus Steinen. Die Stadt hat sehr angenehme Spaziergänge, besonders eine doppelte Allee, die um einen See herumführt. Auch die Gegend um die Stadt ist vorzüglich. — Ich erkundigte mich dann nach den Pferden und der Stallknecht versicherte mir mit der ernsthaftesten und treuherzigsten Miene von der Welt: „Die Pferde sollten gewiß mit Vergnügen an Bayreuth denken.“

Am Abend gingen wir ins Schauspiel, Hieronismus Knicker von Dittersdorf ward gerade gegeben. Die Poesie des Stückes ist so, daß man auf diese Art unendliche (sogenannte) Intrigen aneinanderreihen könnte, und ein Stück so ununterbrochen ein paar Jahre in eins fortspielen könnte. Die meisten Schauspieler spielten elend. — Am Abend war ich wieder in der fatalen Gesellschaft der Offiziere, von denen einige bald mit mir bekannter wurden; denn es ist mein Grundsatz, keine Gesellschaft ohne Ausnahme zu vermeiden oder zu fliehen, wenn ich gerade nichts besseres zu tun habe, oder nicht in einer besonders ernsthaften oder poetischen Stimmung bin. Wenn man Menschen will kennen lernen, muß man sie auch sehen und hören; vom elendesten läßt sich immer noch etwas lernen, und sie ertragen zu können, gehört ja mit zu der edelsten und einzig wahren Toleranz. Wackenroder hatte viel dagegen einzuwenden.

Sonntag, dritter Tag

Am Morgen ging Wackenroder zum Regierungsrat Spieß; es ist nicht der fruchtbare Schriftsteller, sondern dieser ist Theaterdichter in Prag. Er hatte Briefe von Berlin aus an ihn mitgehabt und sie ihm von Erlangen geschickt. Wir waren beide auf den Abend eingeladen. —

Nun gingen wir zusammen zu einem anderen Regierungsrat, dessen Namen ich nie habe behalten können [Hofkammerrat Schiupper]. Wir waren schon gestern dagewesen, um einen Brief vom hiesigen Professor Mehmel abzugeben; er war nicht zu Hause gewesen und wir hatten bloß seine Töchter besuchen können. Heut war er da; er ließ sich gerade frisieren und sprach mit einem Kammersekretär. Er hatte unsern Brief schon gelesen und wir setzten uns aufs Sofa. Er sprach kein Wort mit uns, sondern redete fast eine Viertelstunde ununterbrochen mit seinem Kammersekretär fort. — Endlich fuhr er uns mit einemmale an: Was Teufel, wie kommen Sie denn nach Erlangen? — Er wußte nämlich, daß wir Berliner waren. — Wir entschuldigen uns so gut als möglich, da es ihm nicht recht zu sein schien, daß wir dort studierten. Er fing wieder an, die unterbrochene Materie mit seinem Kammersekretär fortzusetzen. Er war mit Frisieren fertig und stand auf und ging an einen Schrank. Er holte eine Flasche heraus und schenkte ein Glas Likör ein; in der andern Hand hielt er einen guten Nürnberger Pfefferkuchen, er reichte beides. Ich entschuldigte mich, daß mir der Likör zu stark sein würde. „A was, sagte er, „ein Student muß alles fressen und saufen können!“ — Ich trank und aß also munter und fing nun an ebenso mit ihm zu reden wie er mit mir, so genierten wir uns beide nicht. Nun wurden wir recht gut miteinander bekannt und wir sprachen sehr viel vernünftiges und dummes Zeug miteinander; denn er schien von beidem ein gleich großer Liebhaber. Der Mann war äußerst gutmütig, er war schon sehr alt und vom Podagra und einer Menge Krankheiten geplagt. Er saß auch zu viel und mochte in seiner Jugend wohl sehr lustig gewesen sein; er klagte über seine Schmerzen und machte in demselben Augenblick wieder einen Spaß. Er fragte uns, ob wir nicht die Eremitage sehen wollten. Wir sagten ihm, wir hätten den Nachmittag dazu bestimmt; er und der Kammersekretär boten sich zu unsern Begleitern an, wir sollten sie nur nachmittags abholen. Recht vertraut gingen wir voneinander.

Wir hatten auch Briefe an den Hofkammerrat Turnesi abzugeben; er wohnt auf dem Brandenburger oder Sankt Georgen am See, eine Vorstadt, die etwas über eine Viertelstunde von Bayreuth liegt. Er ist der Oberste über den Bergbau im Bayreuthschen und zugleich Direktor des Gast- und Irrenhauses, das auch sich auf dem Brandenburger befindet. Er war nicht zu Hause und wir gaben unsere Briefe ab und traten den Rückweg an. Von Bayreuth führt nach dem Brandenburger eine schöne Allee; gleich vor dem Bayreuthschen Tor ist ein Basrelief auf einer Säule, auf welcher sich ein Mensch befindet, der mit dem Pferde stürzt. In einer angesetzten Unterschrift liest man, daß dies ein, ich weiß nicht welches Markgrafen Kammerzwerg sei, der hier mit dem Pferde gestürzt und gestorben sei. Wir lachten lange über den Ausdruck gewesener Kammerzwerg; gleichsam als wenn es nur auf den Zwerg angekommen wäre, auch Heiducke, oder Läufer, oder Flügelmann zu sein.

Nun gingen wir noch zu einem jungen Professor Boje, an den wir auch von Mehmel einen Brief hatten. Er führte uns noch in der Stadt herum, zeigte uns die öffentlichen Spaziergänge, auch in ein paar Kirchen gingen wir hinein. Hinter dem Schloß ist ein großer unangenehmer Garten. — Ich habe mich schon oft über den seltsamen Patriotismus der Leute gewundert, daß sie sich alle Mühe geben, einem den Ort, wo sie wohnen, recht reizend zu machen, geflissentlich versuchen sie alles Unangenehme zu verbergen, und zeigen einem alles, von dem sie nur irgend glauben, daß es Vergnügen gewähren könne. Selbst Studenten machen es so, die doch nun nicht einmal an dem Ort, den sie bewohnen, einheimisch sind. Jeder Tadel der Stadt, glauben diese Leute, fällt auf sie zurück, — und doch haben sie sie nicht gebaut. Allen Fremden, die ich je in Berlin herumgeführt habe, habe ich mir Mühe gegeben, Berlin recht abscheulich zu machen. Was geht mich der Ort an, wo ich geboren bin?

Bayreuth hat ein wirklich großes und prächtiges Opernhaus. — Das Wetter war nicht so recht; in Bayreuth ist es auch schon merklich kälter als in Erlangen, wegen der nahen Berge. Recht hungrig ging ich zu Tische, mußte aber, weil es gerade erster Pfingsttag war, noch ziemlich lange warten. Die Gesellschaft war wie gewöhnlich, die Offiziere hier sind selbst so dumm, daß sie nicht einmal vom Kriege und von den Franzosen dumm sprechen können, was doch jetzt gewiß die meisten Offiziere und Fähnrichs in der Welt tun.

Nach Tische gingen wir zu dem alten Regierungsrat und eine hübsche Chaise erwartete uns schon; er und der Kammersekretär setzten sich ein und so fuhren wir sehr schnell nach der Eremitage, die anderthalb Stunden von der Stadt entfernt ist. Als wir da waren, regnete es und wir gingen ins Wirtshaus und tranken Kaffee. Noch in keinem einzigen Wirtshause habe ich so vortrefflichen Kaffee getrunken, ja bei Reichardts ausgenommen, nirgends in der ganzen weiten Welt als hier. Diese Wirtin hatte das große Arkanum aufgefunden, die feine Delikatesse, mit der der Kaffee behandelt werden muß. Als es ausgeregnet hatte, gingen wir mit dem Kammersekretär in den Garten; der alte Mann mußte seiner schwachen Beine wegen Zurückbleiben.

Die Eremitage ist auf einigen sanften Hügeln angelegt, und das macht besonders in den Tälern einige sehr schöne Partien; auch einige Aussichten sind recht artig, einige sehr große Alleen sind besonders schön. Das Gewächshaus ist sehr groß und hat sehr viel fremde Pflanzen. Die Wasserwerke sind wirklich prächtig; sie gingen nur gerade nicht. An einigen Stellen springt das Wasser in unendlich vielen Bogen, die ein ordentliches Gewölbe bilden, unter welchem man in der Hitze sehr angenehm spazieren gehen kann. Eine Rotunde ist ganz und gar von Bayreuthischem Marmor erbaut, der weit feiner als der schlesische ist und auch eine weit schönere Politur annimmt. Die Eremitage gefiel mir, ungeachtet der vielen Künsteleien, mehr als Sanspareil; Wackenroder war der entgegengesetzten Meinung.

Als wir ins Wirtshaus zurückkamen, erwartete uns schon ein vortrefflicher Burgunder, den besonders ich sehr zu schätzen wußte. Der gastfreie Regierungsrat lud uns dann zum Soupe in seinem Hause ein und bedauerte es sehr, als er hörte, daß wir schon bei Spieß engagiert wären.

Wir fuhren sehr schnell zur Stadt zurück und gingen dann zu Spieß. Wir hatten eine große, brillante Gesellschaft befürchtet, aber wir hatten uns geirrt. Die Leute in Bayreuth wissen besser zu genießen; es war ein kleiner Familienzirkel, seine Frau, seine Töchter, sein Sohn, ein Offizier und ein Fräulein; er selbst saß und spielte ihnen auf dem Klavier etwas vor.

Ich hatte ihn schon vor 2 Jahr in Berlin bei Reichardt kennen gelernt und wir erneuerten jetzt unsere Bekanntschaft. Er war sehr höflich, doch ohne sich und uns zu genieren; er spielte weiter und dann wurde getanzt. — Sein Sohn machte sich indes mit mir bekannt; er war einfältig, aber sehr gutmütig und er wurde sehr zutraulich. Ich habe überhaupt gefunden, daß viele junge und alte Leute sich leicht an mich attachieren, weil es jetzt immer mein einziges Studium ist, so natürlich als möglich zu sein, nicht grob aber auch nicht blöde, keine Art von Prätentation, keinen Charakter anzunehmen, das Gespräch auf nichts hinzureißen, worüber ich etwas sagen könnte, und keiner Materie auszuweichen, ich will bloßer Mensch sein.

Wackenroder hat sehr etwas Verschlossenes, keiner wagt sich an ihn so leicht und bei aller seiner Bescheidenheit hat er ein sehr imponierendes Ansehen, sehr etwas Altes, weil er von je an wenig mit jungen Leuten umgegangen ist. Schlimm ist es, daß seine Solidität nicht aus Erfahrungen entstanden ist; er ist kalt und gesetzt, ohne daß dieser Charakter aus einer inneren Notwendigkeit entstanden wäre. Er ist die Ideen nicht durchgegangen, die notwendig sind, um einen reellen soliden Charakter hervorzubringen, der unerschütterlich ist. Man zeige ihm das, was er jetzt verachtet, von einer reizenden, von einer poetisch schönen Seite, und er wird schwächer sein als die, die er itzt verachtet. Er hat von je an allen Umgang vermieden, der ihn hätte belehren können, er hat daher wirklich sehr wenig Menschenkenntnis, er haßt und verachtet, ohne sich in die Seele dessen, den seine Verachtung trifft, hineindenken zu können. Sie werden wissen, wie schädlich eine solche Erhebung über die Menschheit ist, wie sie zur schrecklichen Intoleranz führt, zum Menschenhaß. — Sagen Sie ihm aber nichts von dieser meiner Offenherzigkeit; ich habe selbst mit ihm oft davon gesprochen, er scheint mich aber immer nicht recht zu verstehen, am wenigsten meine Behauptung: das höchste Streben müsse dahin gehen, bloßer Mensch zu sein, sich selbst keine Rolle vorzuspielen; diese Idee bewahrt wenigstens vor der fürchterlichen Einseitigkeit, mit der so viele Menschen andere Menschen unbarmherzig beurteilen. So versteh ich jetzt den Ausdruck der Stoiker: der Natur gemäß leben, und die Lehre Christi: seid fröhlich mit den Fröhlichen und traurig mit den Traurigen. Seid human, ein Wort, was sehr schön alles das in sich faßt. — Doch verzeihen Sie, aber Sie werden mich gewiß verstanden haben.

Der Offizier begleitete das Fräulein nach Hause, und wir setzten uns zu Tische. Schon während dem Essen kamen eine Menge junger sehr hübscher Mädchen, die neugierig waren, uns zu sehen. Sie setzten sich um uns her, ohne mitzuessen. Nach Tische wurde wieder gespielt und gesungen und Spieß und seine Frau verließen uns, um uns nicht im mindesten zu genieren. Erst wurde getanzt, gesprochen, gelacht; noch ein junger Mann (Commissair, Sekretär, Kriegsrat, weiß der liebe Gott, was er war, genug, er war sehr dumm) hatte sich zu uns gesellt. Das Pfeifchenspiel ward vorgeschlagen. Ich und Wackenroder waren neugierig, das Spiel kennen zu lernen. Wenn Sie es nicht kennen, so will ich es Ihnen doch beschreiben; denn es ist wirklich sehr witzig und Sie können vielleicht eine Gesellschaft dadurch amüsieren. Man brachte eine kleine Pfeife, an die ein seidenes Band gebunden war. Eine Dame verband mir die Augen, indes das Pfeifchen herumgegeben ward, und nun wurde ausgemacht, es sollte jemand pfeifen. Entdeckte ich, wer es gewesen wäre, so käme er dann an meine Stelle. Man nahm mir die Binde von den Augen, die Damen hatten einen sehr engen Kreis um mich geschlossen. Plötzlich hörte ich hinter mir pfeifen, ich kehre mich um, kann aber nicht entdecken, wer es gewesen ist. Indem ich mich noch umsehen will, pfeift man schon wieder hinter mir, man lacht, ich kehre mich um, lasse mir von dem einen Mädchen die Hände weisen, finde aber nichts. Wieder wird hinter mir gepfiffen! Und so ging es mehrmals fort, so daß ich die Schnelligkeit gar nicht begreifen kann, mit der die Pfeife vom einen Ende des Kreises bis zum andern läuft. — Endlich entdecke ich die Pfeife, und zwar auf meinem Rücken an einen meiner Rockknöpfe gebunden, so daß immer ein anderer, indem ich mich umkehre, pfeifen konnte. Alle lachten und man erzählte mir, daß man Leute, die etwas dumm wären, wohl über eine Stunde damit hinhalten könnte, ehe sie den Spaß merken. Der oben erwähnte Herr trat sehr treuherzig hinzu und versicherte äußerst naiv, mit ihm hätte es über zwei Stunden gedauert, ehe er es inne geworden wäre.

Ein Offizier war auch hinzugekommen und nun ward ein Spiel mit einem Plumpsack gespielt, wobei man immer laufen mußte und wobei ich einigemal vom Offizier tüchtige Schläge bekam.

Wir waren nun alle untereinander sehr vertraut, als hätten wir uns schon einige Jahre gekannt; mir war ganz so zumute, wie sonst in Berlin im Reichardtschen Hause. Sehr spät kam der Herr Spieß im Schlafrock wieder zurück; es ward noch einmal gespielt und getanzt, und dann nahmen wir unsern Abschied.

Es war ein prächtiger und sehr empfindsamer Mondschein; ich begleitete noch einige von den Damen nach Hause. Dann gingen wir ins Wirtshaus zurück, wo wir alles erst aufwecken mußten, um einschlafen zu können, denn es war schon sehr spät.

Mondtag, vierter Tag

Ich weiß nicht, ob meine Schwester Ihnen einen Brief von mir gezeigt hat, worin ich ihr ganz kurz meine Reise von Berlin hieher erzählte; ich hatte es ihr im Briefe wenigstens aufgetragen. — Schon am vorigen Tage hatte uns Turnesi am heutigen Vormittag zu sich einladen lassen; wir gingen hin und lachten von neuem, als wir an das Denkmal des gewesenen Kammerzwerges kamen. Wir kamen noch zu früh an; Turnesi war noch nicht angezogen, und er wollte uns nicht so empfangen. — Indes besahen wir mit dem Faktor die schöne Sammlung von Marmorsachen, welche alle die Bewohner des Zuchthauses polieren müssen. Dann gingen wir auch in das Irrenhaus. Wackenroder äußerte gar keine Lust, auch ich fürchtete mich; denn ich weiß, was ein solcher Anblick auf schwache Nerven wirken kann. Ich erinnerte mich auch, was ähnliche Schauspiele sonst bei mir gewirkt hatten. Aber es ist mein Grundsatz, keiner meiner Schwächen nachzugeben, bloß der Vernunft zu gehorchen und man muß wirklich die Menschheit bis dahin verfolgen, wo sie unkenntlich wird; in keinem Gewände muß man den Bruder verschmähen. Freilich ist ein armer Verrückter kein

Kunstwerk, wo ich einen angenehmen Genuß meines Kunstgefühls hoffen kann, aber kein Mensch muß eine solche Einseitigkeit an sich tolerieren, sonst käme man am Ende dahin, daß man keinem Elenden helfen kann, weil man vom Anblick seines Elends vor lauter Empfindsamkeit in Ohnmacht fallen würde: man geht ihm daher meilenweit aus dem Wege und klagt und seufzt dafür. Diese Schwäche gehört gewiß zur fatalsten Korruption unseres Zeitalters. Man mag sagen, was man will, die Vernunft kann alles über den Menschen, und unsere Vernunft weiß uns keine andere Bestimmung zu geben, als das Glück anderer und dann das unsere zu fördern. — Meine Furcht war aber auch ganz unnütz gewesen, die Leute waren ganz leidlich, kein Rasender, Toller oder Wahnsinniger selbst war da. Sie waren alle bloß verrückt und zwar so wenig, daß man weit bessere in den glänzendsten Zirkeln findet; denn von allen diesen Leuten ist es doch noch keinem einzigen eingefallen, zu behaupten, das große angrenzende Haus wäre das ihrige, weil sie gerade im Irrenhause wohnten, ohne daß man eine Republik dadurch garantieren könne, indem man sie zum Teil einer unumschränkten Monarchie mache.

Wir gingen zurück und Turnesi empfing uns. Er ist ein sehr feiner und gebildeter Mann; er behandelte uns mit der größten Artigkeit. Er hat sehr viel Ähnlichkeit mit Reinhold in Jena. Er hörte, daß wir benachbarte Bergwerke besuchen wollten, und er verspracht uns, Briefe an Bergmeister mitzugeben. Mit Wackenroder sprach er auch viel von Mineralien und dem Bergbau, und ich tat auch immer, als verstände ich alles. (Ich habe aber auf dieser Reise vieles von diesen Geschichten gelernt.) Das wichtigste aber war, daß er uns ganz vortrefflichen Malaga vorsetzte, der so öligt und dabei so stark war, wie ich ihn noch nie getrunken habe. Wir blieben bis gegen Mittag bei ihm und es war Zeit, daß wir gingen; ich hatte viel getrunken und der Wein war mir in den Kopf gestiegen, daß ich im Begriff stand, lauter dummes Zeug zu sprechen und in dem Zimmer wie ein toller Mensch herumzuspringen. — Als wir aus dem Hause waren, ließ ich meinem Gelüste völlige Freiheit, ich prügelte Wackenroder, ich sprang herum und lachte am Tor lauter als je über den gewesenen Kammerzwerg. Bei Tische in der amüsanten Gesellschaft trank ich noch Franzwein darauf, um mich recht lustig zu machen.

Wir hatten es mit Boje und dem jungen Spieß ausgemacht, nachmittags nach der Phantasie zu reiten. Wir sprengten durch die Stadt hindurch und mein Pferd stürzte mehrmals. Aber wenn ich etwas viel Wein getrunken habe, habe ich immer doppelte Courage, und besonders an diesem Tage; ich hätte die steilsten Berge hinuntergaloppiert. — Vor dem Tore ritt ich nicht anders als den stärksten Carriere. Wackenroder war einigemale in großer Angst, — so kamen wir in einigen Minuten in Phantasie an. — Wir besahen sogleich den Garten, der einige sehr angenehme Partien hat. Wenn man unten in der Kluft ist, macht besonders das amphitheatralisch gebaute Dorf einen äußerst angenehmen Prospekt. Dann tranken wir Kaffee und sahen im Wirtshause tanzen. Dann ward nach der Stadt zurückgeritten.

Wir nahmen bei Spieß und dem alten Rat Abschied; denn auf morgen war unsere Abreise festgesetzt, und gingen dann in die Komödie, wo Clara von Hoheneichen gespielt ward. Äußerst armselig. Nach der Komödie war ich wieder in einer amüsanten Tischgesellschaft; heute machte sich zu guter Letzt noch der französische Graf an mich. Wir kamen bald auf die Revolution und den Krieg zu sprechen; es war sehr witzig. Bei seiner Schilderung der Fürsten (er kannte einige persönlich) mußte man ununterbrochen lachen. Wir wurden immer vertrauter miteinander. Seine Grundsätze neigten sich nach und nach immer mehr zur Freiheit und Gleichheit, und am Ende fand ich, daß er selbst ziemlich jakobinische Ideen hatte. — Wackenroder war sehr müde und so gingen wir endlich auf unser Zimmer. Ich blieb noch auf, um einzupacken.

Dienstag, fünfter Tag

O, was müssen Sie in Berlin unglücklich sein, d. h. wie sehr würde ich dort unglücklich sein! Nichts als Land, unfruchtbare Ebene, wo einen der Sonnenschein im Tiergarten schon in Entzücken setzen muß; man mag wollen oder nicht, denn das ist das Schönste, was man sehen kann. Doch ich will Ihnen Ihr Berlin nicht noch mehr ver – – (Hier fehlen im Brief die Seiten 29 bis 36.)

NAILA

Ich ging nun wieder spazieren und zwar nach der entgegengesetzt liegenden kleinen Vorstadt, wo man Hörner blies. Es war göttlich! —O wie simpel, wie vor uns liegend sind die herrlichsten Genüsse und wir suchen sie auf großen mühevollen Umwegen, und können endlich der Mühseligkeit wegen den Genuß gar nicht empfinden. — Wie kann mich der Klang eines Waldhorns durch die stille monderhellte Nacht bezaubern! Dann ist mir, als könnte ich die Geister sehen, die der wunderbare Ton aus den Wolken zieht und die über der Ferne schweben; die Vergangenheit und Zukunft steht oft vor mir; ich werde aus mir selbst hinausgezaubert. Und wie kalt, wie Eichen unempfindlich bin ich in unseren gekünstelten Konzerts! — Ich setzte mich auf einen einsamen Stein und hörte mit der größten Andacht zu, bis die Musik in der nächtlichen Stille abstarb; dann ging ich wieder zu meiner Marmorbrücke. — Manche von den Betrunkenen, die mir entgegen kamen, mußten mich im wunderbaren Mondschein für ein Gespenst oder so etwas ansehen; denn sie standen oft sehr bedenklich still. Ich ging mit bloßem Kopf in meinem kurzen, fremdartigen Überrock mit ineinandergeschlagenen Armen sehr langsam und meine Sporen warfen zuweilen einen sehr sonderbaren Schein. Man sah mir dann immer sehr lange nach und ich gab mir auch bei einigen gar keine Mühe, sie aus ihrem Irrtum zu ziehen. So ging ich sehr lange hin und her, besuchte dann das Wirtshaus und wieder die Brücke, bis es nach ein Uhr war; dann legte ich mich schlafen. Kaum aber war ich eingeschlafen, so fing erst die Musik unter mir recht eigentlich an. Man hatte nun erst große Pauken und Becken geholt, und so oft diese sich hören ließen, zitterte das ganze Haus. So konnte ich in der ganzen Nacht kaum einige Minuten schlafen; es war ein schrecklicher Lärm, der mir aber gar nicht unangenehm war. Mitunter wollte man sich wieder prügeln, man zankte sich wenigstens sehr und schlug laut auf den Tisch; die arme Bürgerwehr mag dabei ihre Not gehabt haben. — Gegen Morgen, als wir aufstanden, war es etwas ruhiger geworden.

Mittwoch, sechster Tag

Soeben sehe ich meinen Brief noch einmal durch und erschrecke selbst über die Menge von nichts, das ich Ihnen mit der möglichen größten Weitschweifigkeit erzähle; ich bin so von ungefähr hineingekommen, ohne selbst zu wissen, wie. Verzeihen Sie also und erinnern Sie sich daran, daß Sie einmal von mir forderten, Ihnen auch selbst Kleinigkeiten zu schreiben, damit Sie nur recht lange Briefe von mir erhielten. Wenn Sie übrigens die .Spezialkarte von Bayreuth nehmen und mir dann immer genau folgen, so kann Ihnen unsere Reise doch vielleicht einiges Vergnügen machen.

Der Bergmeister kam ziemlich früh, und wir ritten durch dieselbe Vorstadt hindurch, wo ich gestern die schönen Hörner gehört hatte. Jetzt war alles still und ruhig. Das Wetter war sehr trübe und es regnete sogar etwas. Wie verschieden erschienen mir nun die Häuser vom gestrigen Abend. Durch meine Märsche war ich mit Naila und seinen Straßen und fast allen Häusern ganz außerordentlich bekannt geworden.

Wir kamen in eine ziemlich uninteressante Gegend. Das Wetter ward immer unangenehmer; ein kalter, schneidender kleiner Regen trieb uns entgegen; ein feuchter Nebel stieg aus den Bergen und Wäldern auf. Die Wege waren sehr häßlich, enge, unbequeme Steinstraßen, wo es oft mit einem Wagen zu fahren gar nicht möglich gewesen wäre.

Wir ritten über Klingensporn und Issigen (Issigau); hinter dem letzteren Ort fror ich, wie man nur im Winter frieren kann. Das Wetter ward immer schrecklicher; die Wolken hingen so dicht über die Erde, daß wir oft mitten hindurchschritten und kaum einige Schritte um uns sehen konnten. — Ich habe an diesem Tage kaum bemerkt, daß die Wolken, die sich von den Bergen und aus den Wäldern aufheben, zuweilen die Gestalt des Waldes oder Berges bekommen; bei stillem Wetter könnten sie dann als Wolken diese Form behalten, und so könnte ich es mir dann erklären, wie ich oft in der Gegend von Bergen Wolken gesehen habe gerade in der Gestalt wie die naheliegenden Berge. — Wir konnten nur langsam reiten, und ich fror umso mehr; eine Chaise, die ich bei diesem Wetter einen Berg hinauffahren sah, machte auf mich einen sehr abenteuerlichen Eindruck.

Wir kamen dicht an die sächsische Grenze. Man konnte sogar in Sachsen hineinsehen (die Saale trennt hier Sachsen und Bayreuth). Endlich ritten wir durch Kemlas, und hinter diesem Dorfe liegt das Bergwerk Gottesgab, das wir besehen wollten. Wir stiegen in der Hütte des Steigers ab und wärmten uns an dem Ofen einige Zeit; denn ich war steif gefroren, so daß ich meine Hände und Füße nicht brauchen konnte. Indes waren Bergmannskleider herbeigeschafft und wir zogen uns an. Wackenroder und ich sahen gar possierlich aus mit dem Schurzfelle, der Bergmannsjacke und dem Schachthute. Der Steiger nahm Lichter und ein brennendes Stück Kien und so gings zum Bergwerk hin. Uns ward jedem ein Licht gegeben, das wir auf den Hut steckten, und nun fingen wir an hinunterzusteigen. Ich fand mich sehr bald in diesem Klettern. Die Leitern gingen ganz senkrecht, zuweilen gar etwas überhängend, und es war höchst sonderbar, unter mir das Licht von den Kletternden und über mir das vom hinabsteigenden Bergmeister zu sehen. Zuweilen war die Sprosse der Leiter dicht an dem Berg, so daß man nur so eben mit der Spitze des Fußes darauf treten und sich dann nur mit den Fingerspitzen wieder halten konnte. Was aber manche Leute, Sie werden gewiß auch schon so etwas gelesen haben, von dem Schauderhaften, von dem Zittern und Zagen beim Einfahren in den Schacht schreiben, davon hab ich auch nicht das mindeste empfunden. Es war gefährlich, das ist wahr, wenn man die Hand fahren ließ. Aber auch als wir unten waren, war ich ganz kaltblütig. Ich mag das gar nicht einmal Mut nennen; denn der gehört nicht dazu; ich glaube, nur Leute mit einer kleinen Phantasie können hier schaudern und zittern, die hier mit einem Male durch die Wirklichkeit ihre fürchterlichsten Vorstellungen noch übertroffen finden. Ich aber bin mit meiner Einbildungskraft an weit schrecklicheren Orten einheimisch, so daß ich noch nirgends eine Erreichung meiner Vorstellungen gefunden habe, und das macht es wohl, daß ich an den meisten sogenannten gefährlichen und fürchterlichen Orten so kalt bin. Erst einmal habe ich in meinem Leben geschwindelt, als ich nämlich auf den äußersten Klippen der Roßtrappe herunterkletterte, wo wahrscheinlich vor mir noch wenig Menschen gegangen.

(hier fehlen 2 Steiten)

Fortsetzung: Grenzübertritt in Asch.

. . . suchte, daß er sich aus hundert Kleinigkeiten etwas Verdächtiges zusammensuchte. Sogar ein kleiner Stock, den ich hatte, trug für ihn dazu bei; auch daß Wackenroder schon reiste, da er erst auf Ostern in Erlangen angekommen war, mißfiel ihm. Zu seinen Zeiten sei es nicht so gewesen. Ich gab dagegen zu verstehen, er möchte wohl auf einer sehr lumpigen Universität studiert haben. So schieden wir in völligem Bruch, ich mit dem festen Entschluß zurückzureisen.

Wir ritten nach dem Posthause, um dort zu essen. Der alte Mann wollte uns nicht verlassen; er meinte, er müsse uns erst wieder über die Grenze bringen, er könnte sich nicht eher zufrieden geben. Er blieb also auch da und aß mit uns. Ich ließ aus Spaß ungarischen Wein bringen, der hier sehr wohlfeil ist; er hatte denn doch etwas den Geschmack davon, ob es gleich freilich nicht ganz richtiger Tokayer war. Der alte Mann hatte mit uns so geheimnisvoll gegen die Leute getan, als wenn wir ausgemachte Spitzbuben wären; sie sahen uns daher immer wieder von der Seite an, bis ich ihnen die ganze Geschichte erzählte.

Das Wetter war immer noch sehr schlecht. Man schlug uns vor, daß wir sehr bequem einen Laufpaß bis Karlsbad erhalten könnten, und so ungestört reisen. Der alte Mann war äußerst dienstfertig, ihn uns zu verschaffen, da er mit uns gegessen hatte. Aber wir sahen das Wetter an, überlegten den ziemlich weiten Weg und dann den noch weiteren Rückweg, kurz, wir entschlossen uns, noch heut nach Wunsiedel zu reiten, welches nur zwei Stunden von Asch ist und wohin wir auch Briefe hatten. Der alte Mann mußte uns also aus einem andern Tor über die Grenze bringen und wir mußten ihm für seine Mühe noch Geld obendrein geben.

Kaum waren wir wieder auf deutschem Boden, so wurde auch sogleich das Wetter etwas besser; es hörte nach und nach auf zu regnen, mitunter fing die Sonne sogar etwas zu scheinen an. Auf der Grenze hatten wir unsere Matrikeln endlich wieder erhalten.

Wir kamen durch den Flecken Selb. Er ist so abscheulich gepflastert, daß wir fast mitten im Ort mit den Pferden den Hals gebrochen hätten. Ich habe bis itzt noch kein Pflaster in der ganzen Welt gesehen, welches seine Bestimmung so wenig erfüllte. Der eine Stein stand gerade in die Höhe, dicht daneben ein tiefes Loch; dann wieder die Steine übereinander gepackt, kurz, ein solch Pflaster läßt sich besser fühlen als beschreiben, wie so manches in der Welt. Nur weiß ich, daß die Wege hier in der Stadt schlechter und gefährlicher waren, als wir sie noch bis itzt auf der ganzen Reise gefunden hatten.

Hinter Selb ward das Wetter und die Gegend viel angenehmer. Wir kamen endlich durch einen sehr angenehmen kleinen einsamen Wald, in welchem der Weg über mehrere Hügel führte. Am Ende des Waldes hatten wir eine sehr angenehme Aussicht, zugleich aber auch zwei Wege, die ganz gleiche Physiognomie hatten und von denen wir nicht wußten, welchen wir nehmen sollten. Zum Glück begegnete uns ein Mann mit einigen Ochsen. Wir mußten über Höchstädt reiten. Ich ging also auf ihn zu und fragte ihn, indem ich auf den Weg links zeigte: Geht hier der Weg nach Höchstädt? — I Gott bewahre! — Nun, wo ist der Weg? — Ja, der ist weit anders. — Ist es etwa der hier rechts? — Ja, der Weg geht auch nach Höchstädt. — Ist denn noch ein anderer Weg? — Ne! — Solche sonderbare Menschen haben wir unterwegs mehrere gefunden.

Wir ritten jetzt über eine schöne Ebene, ringsum von Bergen und Wäldern eingeschlossen. Vor uns lag eine alte Burg mit ihren Ruinen sehr ehrwürdig und romantisch auf einem Berge. Wir kamen bald in Thierstein, einem

Dorfe an. Schon in Bayreuth waren wir von Turnesi auf dieses Dorf aufmerksam gemacht; denn hier ist vielleicht in Deutschland die einzige Stelle, wo es Gliederbasalt gibt. Die großen Wälder von Basaltsäulen in Schottland werden Sie wohl kennen. Noch mehr vergrößerte unsre Lust abzusteigen eine prächtige alte Burg, die auf dem Rücken des Basaltberges lag. Wir gingen vom Wirtshaus gleich dahin. Oben auf dem Berge hat man eine schöne Aussicht über viele Wiesen und ins Dorf hinab. Die Basaltsäulen hier sind sehr merkwürdig, manche sind ziemlich große, vollkommen ausgebildete Steinkristalle. Die alte Feste ist sehr groß und majestätisch.

Wir ritten sehr bald weiter. Das Wetter war nun vollkommen gut und hell. Am Abend kamen wir in Wunsiedel an. Die Stadt ist klein. Ein Teil der Häuser liegt auf einer Anhöhe. Sie hat innen ein etwas sonderbares Aussehen. — Wir gaben unseren Brief aus Erlangen (von Prof. Mahmal) beim Bürgermeister Schmidt ab, ein korpulenter, langweiliger Mann. Dann gaben wir Turnesis Brief beim Bergmeister ab; er war nicht zu Hause, bat uns am folgenden Tag zu sich zu Tische und machte eine kleine Reise nach Arzberg und den umliegenden Gegenden richtig.

Freitag, achter Tag

Sie werden sich gewiß der Stelle im Werther erinnern, wo von der Sucht des Menschen zur Beschränktheit und von seiner Neigung zum Herumschweifen die Rede ist. Wie wahr ist diese Stelle und alles übrige im Werther! Auch in Goethes Faust finden sich darüber vortreffliche Gedanken; vielleicht haben wenig Menschen darüber so auffallende Erfahrungen an sich gemacht als ich. Wie reizend ist die Idee, in einem kleinen schönen Tal, der Welt und ihren Armseligkeiten abgestorben, zu leben, mit einem Freund am Herzen, der Ruhe im Busen, mit jeder Staude, mit jedem Hügel vertraut zu werden, in einer glücklichen Beschränktheit die Wünsche und Gedanken sich in einem kleinen Zirkel um einen Mittelpunkt drehen zu lassen, — und dann wieder sich in die Welt, ihre Freuden und Leiden hineinzustürzen! Allen möglichen Genuß zu durchlaufen, die Erde und ihre Schätze zu Umschweifen! — — Als ich erwachte, fand ich mein Ge- müte in einer sehr faulen Stimmung. Ich hatte nicht im mindesten Lust, die Reise (nach Arzberg) mitzumachen. Ich ließ also Wackenroder fortgehen und schlief noch. Nach und nach stand ich auf und ging ein wenig spazieren. Die Gegend um Wunsiedel ist gar nicht besonders schön, etwas öde. Nur werden Sie glauben, daß ich meinen Maßstab von einer schönen Gegend sehr geändert habe. Für Berlin und 10 Meilen in die Runde wäre sie gewiß ein Paradies.

Am Nachmittag ging ich wieder spazieren. Die Gegend um Wunsiedel ist sehr kalt. Die Bäume blühen hier erst, manche hatten kaum erst junges Laub bekommen. Wackenroder war mit dem Bergmeister nach Arzberg und den umliegenden Gegenden geritten. Auch ich ritt spazieren, nur eine Viertelstunde weit nach einem Brunnen bei Wunsiedel (Alexandersbad), wo für Brunnengäste sehr gute und bequeme Wohnungen gebaut sind: jetzt aber waren keine Gäste da. Ich ritt bald wieder zurück und spazierte zu Fuß. Auf einem Berg bei Wunsiedel liegt eine Kapelle, oder was es gewesen sein mag; von dort hat man eine sehr schöne, weite Aussicht. Hinter Wunsiedel ist eine Gegend, die einige Ähnlichkeit mit der Hölle bei Naila hat (Luisenburg); ebenso liegen dort große Felsstücke verwirrt durcheinander einen Berg hinauf. Es gibt der Gegend dort ein sehr wildes, trauriges Ansehen. Gegen Abend ging ich zurück; mir war am Tage über die Zeit etwas lang geworden. Es gereute mich itzt, daß ich das Arz- berger Bergwerk nicht mit besucht hatte. Wackenroder kam zurück; wir aßen und schliefen.

Sonnabend, neunter Tag

Auf einer Reise gehört es mit zu den interessantesten Gegenständen, zu sehen, wie ein Ding, das wir erwarten, unserer Erwartung entspricht, oder sie übertrifft, oder tief unter ihr bleibt. Nichts ist so, wie wir es uns vorgestellt haben. Worauf wir oft mit zitternder Sehnsucht gehofft haben, bestehen wir kalt und ohne Rührung; der blendende Sonnenschein, das entzückende Wunderbare fehlt, womit unsere Phantasie uns lockte. Ebenso ist die Erinnerung einer schönen Gegend meistens ein weit reinerer Genuß als der Augenblick des Genusses selbst. In dieser Hinsicht ist der Mensch ein unglückliches Wesen; er hofft, er hascht nach Genuß, im Genießen fühlt er sich getäuscht, die Fibern seines Gefühls sind erschlafft, die frischen Farben in der Natur fehlen, er hofft im Genuß einen Genuß und erinnert sich seiner Freuden mit einer verschönernden Täuschung, die ihn in eine trübe Stimmung versetzt.

Der Bürgermeister in Wunsiedel hatte uns einen Boten empfohlen, der sich auf dem Fichtelgebirge sehr gut zurecht zu finden wußte; denn Wunsiedel liegt nahe beim Fichtelberg, und dieses Gebirge zu sehen, war eigentlich die Hauptabsicht unserer Reise gewesen. Dieser Bote holte uns schon sehr früh ab. Es war anfangs neblich und ziemlich kalt, nur an einzelnen Stellen brachen die Sonnenenstrahlen durch und malten helle Streifen sdhön und romantisch in die finstre Landschaft.

Wir kamen in Leupoldsdorf an. Hier wollten wir einen Hammer besehen und trafen einen Mann an, der uns sogleich selbst mit einer trockenen Höflichkeit herumführte. Nachher führte er uns auch auf seine Stube und nun erfuhren wir, daß er Kommerzienrat und Besitzer des Hammerwerkes sei. Wir hörten seinen Namen und erfuhren auch, er sei ein Vetter von einem andern Kommerzienrat in Bischofsgrün, an den wir von Tur- nesi einen Brief hatten. Er war sehr höflich, und war es gleich anfangs, ehe er uns kannte, wie denn überhaupt der Charakter der Leute in der hiesigen Gegend vortrefflich ist. Man geht hier noch recht patriarchalisch miteinander um. Er traktierte uns mit einem vortrefflichen Schnaps, der uns in der Kälte sehr gut bekam. Als wir wegritten, gab er uns auch ein Fernrohr mit, um uns auf der Spitze des Gebirges recht umsehen zu können.

Wir ritten nun weiter und eine Anhöhe hinan. Wenn man von dort zurücksieht, hat man eine außerordentlich schöne Aussicht. Das Wetter war nun hell und warm geworden; man sah über eine große, grüne Fläche hinweg, mit Bergen und Wäldern besetzt, im Tal unten zwei hellglänzende Seen, an dem einen äußerst malerisch Leupoldsdorf, mit krausen Büschen umzäunt. Dabei hatte die Gegend etwas Einsames, düster Melancholisches; die so nahe liegenden Fichtelberge gaben der Gegend ein ernsthaftes, selbst majestätisches Ansehen.

Der Fichtelberg fing nun mit einem schönen Buchenwald an, die Sonne schien morgendlich hinein, jedes Blatt funkelte, die Vögel sangen, die Wiesen dufteten — dabei die Empfindung der abenteuerlichen Gegend, das Einsame — es war ein göttlicher Morgen! So wie wir höher kamen, sahen wir zuweilen durch die Bäume die Schönheiten einer fast unermeßlichen Landschaft, die dann im Augenblick wieder unseren Augen entzogen wurden. Wir merkten bald, daß unser Bote nicht ganz so gut Bescheid wußte, als man von ihm gerühmt hatte; denn er versuchte bald diesen, bald jenen Weg, aber keiner war ganz nach seinem Geschmack. Wir bekamen zwar dabei sehr interessante Waldpartien zu sehen, allein da wir bedachten, daß man in einem so großen Walde leicht einen Tag herumreiten kann, ohne herauszufinden, war es uns doch unangenehm. Einigemale kamen wir auf Wege, die wirklich gefährlich waren; es waren eigentlich Steintreppen, die wir mit den Pferden hinaufstiegen. Bald ritten wir rechts, bald links, bald bergunter, bald wieder bergauf. Endlich gerieten wir gar auf einen Weg, der sumpfig war; die Pferde fielen zuweilen recht tief hinein. Es ward noch ärger; der Weg war vordem ein Knüppeldamm gewesen, einzelne Stämme steckten in dem Morast, darauf traten die Pferde zuweilen, und stolperten dann gewaltig wieder in den Sumpf vorwärts hinüber, besonders mein großer Rappe. Es war im eigentlichen Verstände halsbrechend; oft sanken die Pferde bis an die Brust in den Kot. Ich wurde auf den Wegweiser sehr böse; denn in einem Sumpf den Hals zu brechen, ist zu einem solchen Spaß gerade der unangenehmste Ort von allen. Endlich konnten die Pferde wieder festen Fuß fassen. Wir standen in einem kleinen Tal, von Felsenstücken und dichtem Walde ringsum eingeschlossen, der Weg ging nicht weiter. Der Wegweiser, wir und die Pferde sahen sich verdrießlich um. Ich sagte unserm Boten: Lieber Freund, weist er allen Leuten so den Weg? — Oh ne! — Wir sind ganz verirrt. — Ja wohl, das ist das erste Mal in meinem Leben. — In dem verfluchten Wege muß man ja den Hals brechen. — Ja freilich. — Was werden wir denn nun anfangen? — Das weiß Gott. — Wir müssen wieder zurück. — Ja wohl.

Und alles das mit der größten philosophischen Kälte. So böse ich war, mußte ich doch über den sonderbaren Menschen lachen. Da wir aber beide nicht Lust hatten, unsern Hals beim Rückwege noch einmal zu wagen, so stiegen wir ab, und gaben dem Boten die Pferde zu führen. So konnten sie sich besser auf den Beinen erhalten, und stürzten sie ja, so stürzten wir doch nicht mit, ein Egoismus, der ganz natürlich und vernünftig ist. — Wir kamen durch den Weg weiter zurück, wo ich einigemale auf einem Seitenfußsteige bis an die Knie in den Sumpf sank. Auf einer kleinen, waldumschlossenen Ebene machten wir wieder Halt und hielten großen Kriegsrat. Der Bote bat uns förmlich um Verzeihung und ging in den Wald, um einen Ausweg zu suchen. Unsere Situation war äußerst abenteuerlich; ich saß auf einem Stein, die Pferde graseten nach ihrer Strapaze, Wackenroder saß neben mir, ein toter, stiller Wald war um uns her, die ganze Natur wie ausgestorben, kein Laut, so weit unser Ohr reichte, — und das alles ziemlich tief in den unbewohnten, menschenleeren Fichtel- bergen. Ich schlug ganz leise mit meinem Stock auf einen Stein, und es dröhnte tief in das Tal und den Wald hinab und gab ein lautes Echo. Ich hätte viele Stunden mit Vergnügen so dasitzen können; einzelne zerstreute Felsenstücke um mich her machten das Ganze noch wilder und abenteuerlicher. Der Bote hatte einen Weg entdeckt, wir stiegen zu Pferde und ritten ihn so gut wir konnten; denn höchstwahrscheinlich hat da noch kein Mensch geritten, höchstwahrscheinlich ist da noch kein Pferd geritten worden und zu wünschen ist, daß hier in der Folgezeit niemand unser Beispiel nachahmen möge.

Wir ritten immer bergan, besonders merkwürdig war mir eine ganz steile Treppe von lauter abgebrochenen Klippen, wo wahrscheinlich sich irgend einmal ein Waldstrom in voller Wut herabgeworfen hatte. Hier ward es den Pferden sehr sauer, und ich machte mich in jedem Augenblick gefaßt, meinen teuern Hals zu brechen. Auch über diese Gefährlichkeit hat uns der Herr geholfen, welches auch nicht mehr als seine Schuldigkeit war, da er ja auch die infame Treppe gemacht hatte. Wir ritten noch lange Zeit und kamen an eine verschüttete Zinngrube, fast auf dem Gipfel eines Berges an eine kleine einsame Hütte (Seehaus), in welcher die Leute wohnten, die ehedem in dieser kleinen Zinngrube gearbeitet hatten. Hier ist ein treffliches Zinn gewonnen worden, fast so gut wie das englische. Da aber der Bergbau hier im Bayreuthischen nicht genug gefördert wird, so ist sie leider ganz eingegangen. Ich habe es schon oft in sehr alten Büchern gelesen, es ist auch schon eine alte Volkstradition, daß der, der sich darauf verstehe, in den Fichteibergen viele Arten von Edelsteinen finden könne. Dies soll, wie ich wieder in Bayreuth für ganz gewiß hörte, nichts weniger als ein Märchen sein. Fast alle Jahre sollen Italiener, die mit Hecheln, Mäusefallen usw. herumgehen, sich in den Fichteibergen herumtreiben, sich Schächte in die Erde machen, und mit vielen Steinen bepackt zurückgehen. In dieser Hütte stiegen wir ab, weil wir hier einen anderen Boten bekommen sollten, uns in den Bergen selbst herumzuführen. Unser jetziger aber sollte die Pferde nach Bischofsgrün bringen. Mich hungerte ganz außerordentlich; ich bat die Leute daher um Brot und Butter, beides erhielt ich sehr gut. Wir setzten uns damit ins Gras an einen kleinen Teich, die Pferde graseten um uns her, der Bote aß mit uns. Dabei hatten wir vor und hinter uns eine weite Aussicht, aber nichts als Berge mit Fichtenwäldern bedeckt, unter denen der Schneeberg und der sogenannte Ochsenkopf wie Riesen standen. Es war außerordentlich einsam und romantisch; die kleine Hütte besonders machte in der großen, wilden Landschaft einen wunderbar melancholischen Effekt.

Als wir eben zu essen aufhören wollten, kamen an der andern Seite eine Menge Leute den Berg herauf. In der Einsamkeit hier hatte ich nichts weniger vermutet. Sie hatten einige Forsten ausgemessen und betrachteten uns, als wenn wir wahre Wundertiere wären, ohne eben doch dabei unhöflich zu sein. Der eine von diesen Leuten war vorzüglich neugierig und fragte uns sehr viel. Wir sagten ihm, soviel ihm deutlich sein konnte.

Als ich den Leuten etwas Geld geben wollte für ihre Butter, wollten sie gar nichts annehmen; so arm sie auch waren, ich mußte sie fast dazu zwingen.

Aus der Gesellschaft hatte sich ein Bauer als ein der Gegend kundiger Mann zu uns gesellt. Diesen nahmen wir mit, um uns herumzuführen. Die Pferde blieben in der Gesellschaft unseres ersten Boten, der ihnen die Wege nach Bischofsgrün wies. Die Gesellschaft stritt lange, ob der Schneeberg oder der Ochsenkopf höher wären; einige rieten uns diesen, andere den Berg zu ersteigen. Ich schloß daraus, daß sie wenigstens gleich hoch sein müßten, und so wählten wir den Ochsenkopf, weil wir auf dem Wege dahin noch andere Merkwürdigkeiten fanden.

Der Bauer, mit dem wir nun gingen, war ein sehr sonderbarer Kerl, äußerst phlegmatisch und dumm, dabei sehr gutmütig. Wir kamen an den Fichtelsee, eine sehr merkwürdige Gegend. Es ist eigentlich ein ziemlich großes Tal, ringsum von Bergen eingeschlossen. Der Regen und der Schnee können also hier nicht ablaufen und haben daher seit undenklichen Zeiten hier einen See gebildet. Der See hat nun schon seit langem einen Sumpf gebildet, der mit kleinen Fichtenbüschen bewachsen ist, die nie größer werden können des Morastes wegen, in dem sie stehen. Über diese Sümpfe sind Stangen gelegt, so daß man meistenteils mit einiger Mühe hinübergehen kann, ausgenommen dann, wenn der Schnee geschmolzen ist oder wenn es lange geregnet hat. Der Bauer hieb mit seiner Axt zwei kleine Bäume um und gab sie uns, um uns daran festzuhalten, mit der Entschuldigung, er könnte sie in der Eile nicht schöner machen. Soviel ich habe bemerken können, hat das südliche Deutschland wirklich mehr Gefühl für Kunst als das nördliche, nur daß dies Gefühl auf bizarre, barocke Gegenstände durch Zufälligkeit gelenkt ist. Die Leute wollen hier alles ausschmücken und schön machen, was sie besitzen; die Häuser werden angemalt, die Körbe zierlich geflochten, ihre Ochsen sind mit buntem Leder geschmückt. Auch die hiesigen Gefäße sind recht geschmackvoll; die Körbe, die auf dem Rücken getragen werden, haben die Form der Urnen; Milchkannen und Wasserbehälter sehen fast ganz aus wie die etruskischen Gefäße.

Als wir über den See gekommen waren, fingen wir sogleich an, den Berg zu besteigen. Auf einer ziemlich hohen Anhöhe fanden wir wieder eine einsame Hüne, die ein vormaliger Bergmann bewohnte. Es schien ein Mensch von Verstände zu sein; er machte eben über einem Feuer Experimente mit Metallen, und behauptete, man könnte in den Fichteibergen ein sehr ergiebiges Goldbergwerk anlegen.

Wir sahen auch die Quelle des Mains, auch die Naab entspringt dort. Wir fanden nachher einen kleinen Fluß, und fragten unsern Führer nach seinem Namen. Er sagte sehr ernsthaft: er „schreibt“ sich halt auch der Weiße Main. In der dortigen Gegend gibt es Kinder, die wenn sie noch nicht gehen können, sich schon Karl oder Fritz „schreiben“; wenigstens antworten die Eltern immer so, wenn man nach ihrem Namen fragt.

Je höher wir kamen, je wilder ward die Gegend; alte Bäume waren schon ganz verwest, alles außerordentlich finster und melancholisch. Nach und nach fanden wir mitten im Walde große Felsenwände stehen, die immer größer wurden je höher wir kamen, weit schöner als die in Sanspareil. Manche davon hatten fast ein fürchterliches Ansehen. Endlich kamen wir auf den Gipfel des Ochsenkopfes. Wir hatten schon unterwegs vielen Schnee gefunden, oben lag noch sehr viel. Auf dem Gipfel war nichts als wild durcheinandergeworfene Klippen, die dem Berge oben ein sehr sonderbares Ansehen gaben. Es war oben ziemlich kalt. Man sähe ganz außerordentlich weit, nach Böhmen, in die Pfalz hinein — nur, was ich auf hohen Bergen schon so oft empfunden habe — die Gegend machte fast keinen Eindruck auf mich; denn das, was ich von eigentlicher Gegend sähe, war so beschaffen, wie ich es unendlich oft gesehen habe; das übrige waren Streifen und Schattenbilder, die mit der Luft Zusammenflossen. Ich wurde es auch sehr bald überdrüssig. Unser Wegweiser suchte emsig indes umher; denn er wollte uns gern das Portrait des Ochsenkopfes zeigen, wie er es nannte, welches die Natur auf einer der höchsten Spitzen hier anfängermäßig hergezeichnet hat und von dem der ganze Berg den Namen hat.

Wir gingen nun auf einem sehr sonderbaren Weg nach Bischofsgrün hinunter. Kein Weg beim Hinauf- und Hinuntersteigen war so gefährlich, als der sumpfige Weg gewesen war, so daß wir ordentlich bequem hätten hinaufreiten können. Es war schon über drei Uhr, als wir in Bischofsgrün ankamen. Wir aßen und unser erster Wegweiser bot sich an, uns und unsre Pferde zu bedienen; er bat auch noch einmal um Verzeihung. Der Wirt hatte zwei sehr hübsche kleine Jungen, die sehr dreist immer bei uns blieben und viel dummes Zeug machten.

Nachmittag gingen wir zu einem gewissen Kommerzienrat (er ist schon bei Leupoldsdorf erwähnt), an den wir von Turnesi einen Brief hatten. — Das Dorf liegt wirklich schön, nur zu einsam und melancholisch am Fuß des Fichtelberges. Sehr kalt ist es hier, etwas, das mir allein schon die schönste Gegend verleiten könnte. — Der Kommerzenrat war sehr freundlich; er bot uns ein Lager auf die Nacht an, und wir machten gar nicht viel Umstände, weil das Wirtshaus im Dorf äußerst schlecht war. — Sein Faktor war zu unserer großen Freude gerade der Mensch, der unter der großen Gesellschaft, die uns bei der Bergmannshütte fand, uns am neugierigsten ausgefragt hatte. Dieser führte uns herum; er zeigte uns einen Drahthammer und eine Knopfmanufaktur, in welcher kleine gläserne Hemdsknöpfe von allen Farben gearbeitet werden. Sie sind hier äußerst wohlfeil und manche davon werden dann um vieles teurer von anderen Kaufleuten als bernsteinerne verkauft, weil sie gerade so aussehen.

Wir fanden ein sehr gutes Abendessen und hatten vorher schon sehr guten Wertheimer getrunken. Der Mann war sehr vernünftig, nur etwas roh und sehr natürlich erstreckte sich seine Vernunft nicht weit über die Grenzen seines Guts; die Franzosen haßte er ganz ungemein.

Man wies uns nachher in ein sehr gutes Zimmer, wo wir ganz außerordentlich schöne Betten fanden. Wir sahen noch lange aus dem Fenster. Es war eine prächtige Nacht; die finstere, einsame Gegend lag sehr romantisch vor uns. Sehr ernst sähe der Mond auf sie herab, majestätisch blickte der Fichtelberg über die ganze Gegend hin. Der Anblick goß eine unbeschreibliche Ruhe in die Seele. Wir schliefen nachher sehr gut.

Sonntag, zehnter Tag

Wir standen später auf, als wir es uns vorgenommen hatten. Wir frühstückten und gingen dann in unser Wirtshaus zurück, wo wir ganz außerordentlich viel bezahlen mußten; denn der hiesige Wirt ist seiner Unverschämtheit wegen in der ganzen Umgegend bekannt.

Wir hatten beschlossen, noch Kulmbach zu sehen und machten uns nun dahin auf den Weg. Unterwegs begegneten uns sehr viele Leute, ganze Dörfer in der größten Andacht, die zur Kirche gingen. — Wir ritten einen Berg hinauf, und als wir oben waren, hatten wir eine bezaubernde Aussicht. Berneck (bei dem wir schon einmal gewesen waren) lag tief unter uns mit seinen Gärten und Hecken; man sähe in alle Straßen hinein, gegenüber auf den Bergen die alten Ruinen, rechts und links die schönsten, romantischsten Täler.

Wir stiegen ab und erstiegen nun die Ruinen. Sie gehören zu den größten und sonderbarsten, die ich noch bis itzt gesehen habe; es sind zwei Schlösser und eine Kapelle. Das eine Schloß hatte einen Turm, wie ihn fast alle Schlösser hatten, der gerade in die Höhe steigt, ganz rund und senkrecht bebaut ist, ohne Tür und Fenster, ohne Dach; man stieg in solche Türme mit angesetzten Leitern hinein und verteidigte sich dann. Unten waren Steine ausgebrochen und ich kroch hinein. — Es ist eine seltsame Empfindung, so eng zwischen Mauern zu stehen, über sich den blauen Himmel und die vorüberziehenden Wolken. In der Länge wird es äußerst ängstlich. Nachher bestiegen wir die gegenüberliegenden Ruinen; sie sind noch weit schöner und man hat links und rechts göttliche Täler. — Diese Gegend hier ist die schönste, die ich auf der ganzen Reise gefunden habe.

Wir mußten ziemlich lange auf einen Boten warten; denn der nähere Weg nach Kulmbach war schwer zu finden; er ging über die Wiesen und sollte des Wassers wegen, durch das man reiten mußte, sogar etwas gefährlich sein. Endlich erschien er.

Der Weg hinter Berneck blieb fast immer gleich romantisch, nur wird die Gegend immer sanfter; ihr Charakter wird immer mehr reizend, je mehr man sich von Berneck entfernt. Die Größe, die man dort findet, verliert sich sehr bald.

Wir kamen nach Himmelskron; man kann die Gegend hier herum göttlich nennen. Ich habe noch wenig so Süßes gesehen als die Lage dieses Dorfes, dabei eine sehr weite Aussicht. Hier ist eine sehr alte, merkwürdige Kirche im Dorfe. Ich sähe hier das Grabmal der Gräfin, die aus Liebe zu Albrecht dem Schönen ihre beiden Kinder umbrachte. In der Kirche stehen auch Statuen von Rittern, die sehr alt zu sein scheinen und für das genauere Studium des Mittelzeitalters gewiß sehr wichtig sind. — Hier war sonst die größte und schönste Allee von Deutschland; aber seit einem Jahr ist sie umgehauen.

Hinter Himmelskron wird die Gegend noch schöner; der Bote verließ uns hier. Wir kamen einen ziemlich steilen Berg hinan, aber hielten nie still und sahen nicht einmal zurück. Von dort aus ist die Gegend wirklich unbeschreiblich schön; eine Menge sanfter Anhöhen umher mit den schönsten Bäumen bewachsen, im Tale kleine Wasser, mit Gebüschen umkränzt, ganz in der Ferne die Fichtelberge.

Vor Kulmbach kamen wir durch einen prächtigen Wald; die Festung sieht man schon lange vorher. Die Kirche liegt außerhalb den Toren der Stadt und wir kamen gerade an, als die Leute aus der Kirche kamen; ich wußte sehr lange nicht, was das Gedränge zu bedeuten hatte. — Wir stiegen in einem ziemlich guten Wirtshause ab.

Wir ließen uns bald frisieren und zogen uns an, um die Stadt besehen zu können. Ich sähe mehrere französische Offiziere; denn diese wohnen in der Stadt, die Soldaten aber auf der Festung. Alle sahen sehr gut aus, schöne, wohlgewachsene Menschen, meistens mit einem feinen Ansehn. Ich ging auf ein Kaffeehaus, auf welchem sie sich immer aufhalten sollten; indessen heute waren sie gerade nicht dort, sie hatten sich mit den preußischen Offizieren erzürnt, die auch dorthin kamen.

Kulmbach ist eine sehr niedliche, kleine Stadt; sie ist weit kleiner als Erlangen, aber regelmäßig gebaut. Fast allenthalben sieht man die schönen Berge vor der Stadt; in der Hauptstraße kann man fast durch beide Tore sehen. Wir gingen spazieren. Die Gegend um Kulmbach ist göttlich, nach Berneck auf unserer ganzen Reise die schönste. Es liegt in einem Tal, links von einem Amphitheater von Bergen eingeschlossen, rechts von einer großen Ebene mit Hängeweiden und schönen Bergen begrenzt.

Am Abend suchten wir den Meyer auf, der uns bis Sanspareil begleitet hatte; er wohnt hier in Kulmbach und versprach uns am folgenden Morgen auf die Festung zu führen; die die Plassenburg heißt. — Die Franzosen betragen sich sehr gut und werden fast allgemein geliebt. Ein Major und ehemaliger Graf hilft oft freiwillig Wasser tragen und die Straße rein machen. Ich kann es gerade nicht groß finden, aber es ist doch sehr vernünftig und beweist, wie tief bei den Franzosen die Idee der Gleichheit schon in der Seele liegt. — Wir trieben uns nachher noch etwas herum, aßen mit einigen einfältigen preußischen Offizieren und gingen dann schlafen.

Mondtag, elfter Tag

Meyer holte uns am Morgen ab. Wir stiegen auf die Festung hinauf, die ziemlich hoch liegt. Die Gegend von dort aus ist außerordentlich schön. Wir gingen dann in einen Hain, der auf dem Berge nicht weit von der Festung liegt. Ich habe noch fast nichts so Schönes gesehen, ein kleiner Wald mit Gängen, die alle äußerst romantisch sind, und alle Augenblicke hat man dann eine göttliche Aussicht durch die Bäume. Besonders schön war es, als wir herumgingen und uns auf die Spitze eines Berges stellten, der die ganze Gegend übersieht. Hier und bei Berneck und der Roßtrappe sind die schönsten Gegenden, die ich bis itzt kenne. — Nachher gingen wir zur Festung zurück und besuchten den Hof, auf welchem die gefangenen Franzosen wohnen. Es waren fast alle sehr schöne Menschen, groß und stark; viele ehemalige Edelleute waren darunter. Fast alle waren sehr lustig und aufgeräumt. Ich sprach mit einigen; es waren sehr vernünftige Leute. Sie leben hier im ganzen sehr angenehm. Wir stiegen dann auf unsere Pferde. In Thurnau hielten wir; denn hier ist ein gräflicher Garten, den man besehen darf. Er hat einige sehr angenehme Gänge, sehr viel Besonderes ist nicht daran.

Dann kamen wir wieder in Zwernitz oder Sanspareil an. Wir durchliefen noch einmal den Garten und aßen dann.

Nachmittag reisten wir weiter. Die Gegend einesteils schlecht, teils schön. Die Sonne ging gerade unter, als wir oben auf dem Berge über Streitberg hielten; es war ein göttlicher Anblick über die großen schönen Täler hin. — Wir legten uns bald schlafen; denn wir waren sehr müde.

Dienstag, zwölfter und letzter Tag

Sie werden gemerkt haben, daß mein Geschwätz etwas weniger weitläufig geworden ist, und ich glaube, Sie werden es mir danken. Wir gingen bald am Morgen auf einem sehr schönen Wege nach Müggendorf, wo in der Nähe sich die merkwürdigen Höhlen finden. Rosenmüller hat dazu eine ganz neue entdeckt, voll von merkwürdigen Tropfsteinfiguren. Wir sahen diese und noch drei andere, wo wir zuweilen tief und unbequem kriechen mußten. Dann ritten wir nach dem Mittagessen ganz langsam nach Erlangen zurück.

Wir fanden wieder wie beim Ausreisen vortreffliche Gegenden; aber gegen die anderen, die wir gesehen hatten, kamen sie uns doch oft sehr gemein vor. Es war schon finster, als wir noch eine halbe Meile von Erlangen entfernt waren. Die Lichter aus dem Dorfe Rathsberg herunter machten einen äußerst romantischen Effekt. Müde kamen wir in Erlangen spät an, tranken Schokolade und legten uns schlafen. —

Hier haben Sie also weitläufig die Beschreibung unsrer Reise. Sehen Sie den langen Brief als eine einzige Entschuldigung an, daß ich Ihnen nicht eher geschrieben habe. Leben Sie recht wohl und schreiben Sie mir bald wieder, bleiben Sie gesund und mein Freund.

Und noch ein einziges Wort mit meiner Schwester:

Liebe Schwester, verzeihe auch Du mir, daß ich Dir in so langer Zeit nicht eher geschrieben habe. Ich habe dafür beständig an Dich gedacht, das wirst Du mir glauben. Ich gebe auch nicht die Hoffnung auf, Dich bald einmal wieder zu sehen. O könnt‘ ich, statt zu schreiben, Dich und meinen lieben Bernhardi in meine Arme drücken!

Nächstens schreib ich Dir gewiß recht viel. Du kannst ja auch diesen Brief als eine recht lange Epistel an Dich ansehen, nur sei nicht traurig, such Dir doch irgend eine Bekanntschaft, die gut ist, geh öfter aus, kurz, bleibe mir gesund. Sei überzeugt, daß ich Dich liebe und ewig lieben werde. — Daß wir einst gewiß nur zusammen leben, darum bleibe gesund. — Könnt‘ ich Dich doch bald sehen.

Dein Dich beständig liebender Bruder T i e c k

Wilhelm Heinrich Wackenroder berichtet über die Pfingstreise mit Ludwig Tieck in einem Brief an seiner Eltern

Erlangen, 2. Juni 1793

 

Theuerste Eltern!

hier haben Sie eine kleine Beschreibung der Reise, die ich mit Tieck in den Pfingstferien ins Bayreuthische vorgenommen habe, und die uns so viel Vergnügen gemacht hat. Unser Hauptzweck war, die Merkwürdigkeiten der Natur, die wir von Erlangen so nahe haben, kennen zu lernen, und diese Absicht haben wir auch in vollem Maße erreicht, so daß wir das Bay- reuther Land so ziemlich kennen. Dabei haben wir das Glück gehabt, überall so gastfreundlich von Leuten, denen wir gänzlich unbekannt waren, auf genommen zu werden, daß Sie es mir kaum glauben werden. Wenn ich Ihnen erzählen werde, wie wir über und unter der Erde herumgeklettert sind; denn ich konnte meiner Neugierde nicht widerstehen, die Gipfel des Fichtelbergs und ein paar kleine Bergwerke zu besuchen, so glauben Sie mir nur auf mein Wort, daß wir nie in Gefahr waren, immer von Männern, zu denen wir Zutrauen haben konnten, angeführt wurden, und alle möglichen Vorsichtsregeln gebrauchten.

Fast das einzige Buch, das man außer den Geographien vor einer Reise nach dem Bayreuthischen nachlesen kann und das ich mir auch ein wenig exzerpierte, ist: „Unser Tagebuch auf einer Reise durch einen großen Teil des Fränkischen Kreises“ von Füssel, Erlangen 1787. Es wird Ihnen Vergnügen machen, wenn Sie es lesen wollen, obgleich es freilich mangelhaft ist. Um von Bergwerken einige Idee zu bekommen, sah ich den ersten Teil von Gatterers „Anleitung den Harz und andere Bergwerke zu bereisen“ durch. Auf der Reise nahm ich die Homannische Spezialkarte vom Bayreuthischen Oberlande mit; denn die neuere Güsselfeldische konnte ich nicht bekommen. Auf dieser können Sie meine Reise verfolgen. Die Reise währte etwas über eine Woche.

Über die Frankenalb

Früh am Morgen fuhren wir mit einem Mietsfuhrmann ab. Das Wetter war herrlich. Den ersten Vormittag fuhren wir 4 Meilen bis Streitberg, einem Dorf, das in einem kleinen Bezirk liegt, welcher bayreuthisch ist. Dagegen kommt man auf dem ganzen Wege, die erste Stadt Baiersdorf ausgenommen, durch lauter bambergische Dörfer und durch das bamber- gische Städtchen Ebermannstadt. Am Wege findet man weiße vergoldete Christusbilder an hohen, roten Kruzifixen, und kleinen Kapellen. Von Erlangen bis Baiersdorf geht ein breiter, tiefer Sandweg. Zur Seite hat man die Aussicht auf frische Wiesen und auf die Rednitz, die sie durch Schöpfräder bewässert. Dies sind große, breite Räder, die durch angehängte Kästen das Wasser aus dem Flusse schöpfen und auf die Wiesen ausgießen. Sie drehen sich am Tag und Nacht langsam und mit einförmigern Geräusch herum, bringen aber in die Gegend doch Bewegung und Leben. Von Baiersdorf bis Streitberg wird die Gegend immer reizender. Die Berge werden immer etwas höher, behalten aber die sanfteste, reizendste Schönheit. Dörfer, mit Gebüschen und frisch grünenden Bäumen durchwachsen, leuchten von dem Rücken der Anhöhen her oder ruhen an ihrem Fuße oder ziehen sich den Abhang hinauf. Der Weg geht oft quer über kleine Bähe oder gar eine Strecke lang in den Bähen fort, was in bergigen Gegenden nihts Neues ist.

Wir haben uns auf der ganzen Reise nie eigentlih verirrt, sondern uns immer sehr gut durchgefragt. Die Leute zeigen mit der größten Höflichkeit den Weg, sehen einem wohl gar nah, ob man reht fährt. In ganz Franken wird man, wenn man nah dem Wege fragt, gewöhnlih mit einem breiten, vollen Munde zureht gewiesen: „Do gehts immer kerzengrod (so grade wie ein Licht) nunter, nit rehts und nit links.“ Das Flickwort „halt“ hört man jeden Augenblick.

Leider werde ih immer mehr überzeugt, daß es unmöglih ist, durh Worte in einem andern die getreue Darstellung einer Gegend mitzuteilen, wie man sie beim eigenen Anblick und zum Teil auh noh nahher hat. Wenn ih auh genau aufzähle, was die Shönheit einer Aussicht ausmahte, Bäume und Felsen, oder Wasser und Wiesen, wenn ih auh die Beschaffenheit, die Lage und die Entfernung aller dieser einzelnen Gegenstände bestimme, so kann ih doch nie die Idee von der individuellen Gegend lebhaft erwecken, die ih dem andern vor die Augen bringen will. Ih kann durchaus niht die Höhe jenes Berges, die Breite dieses Wassers, die mannigfaltig gestalteten und gefärbten Baumpartien in Ihre Einbildung übertragen. Maß und Zahl geben Begriffe, niht sinnlihe Vorstellungen und vieles kann ih auh niht einmal durh Maß und Zahl ausdrücken. Das Charakteristishe, das Kolorit der Gegend errät der andere nie; er kann nihts, als sih aus denselben Ingredienzien eine neue Gegend zusammensetzen, die dem Wirklihen, wovon sie ein Bild sein soll, oft sehr unähnlich sein mag. Die sinnlichen Shönheiten fürs Auge können nur durhs Auge im Original der Natur oder in Nahahmungen des Pinsels vollkommen empfunden werden.

Um Streitberg ist eine der schönsten Gegenden, die wir auf der ganzen Reise gesehen haben. Das Dorf liegt am Eingang eines Tales, das sich in mäßiger Breite zwishen bewaldeten Felsen, aus denen aber viele nackte Blöcke und Pfeiler hervorragen, in manhen Krümmungen durhwindet. Durch das Tal schlängelt sih die Wiesent, von kleinen Büshen eingefaßt und von frischen Wiesen umgeben. Der kleine Fluß ist merkwürdig, weil er die größesten und wohlschmeckendsten Forellen gibt, die man hier beständig haben kann.

An dem äußersten Ende eines bewaldeten Berges, der ins Tal vorspringt, wo es eine Ecke bildet, türmen sih auf einer Grundlage von nackten Felsen die großen Ruinen der Burg Neideck mit einem hohen Turme pyramidalisch in die Höhe. Wir drängten uns durch die Felsenstücke und die dichte Waldung, die die Abhänge des Berges einnimmt, hinauf und bewunderten die großen Trümmer. Ich habe nicht größere und schönere Ruinen gesehen. Der Burggraben war verwachsen, einige Wände standen noch auf wenigen Steinen. Von oben erblickt man unter sich Streitberg und auf der anderen Seite Müggendorf, das zwischen den Bergen wie eingeklemmt liegt und wegen der benachbarten Höhlen merkwürdig ist. Diese Aussichten sieht man, wenn man zwischen dem Gemäuer der Burg steht, durch die noch erhaltenen Fenster nach allen Seiten zu, wo sie wie Gemälde in einen Rahmen gefaßt erscheinen. Der Burg Neideck gegenüber hängt die Burg Streitberg an kahlen Felsenklippen. Sie ist nur ein kleines weißes Haus.

Wir kamen auch durch das bambergische Städtchen Hollfeld. Vorher hatten wir eine interessante Begegnung. Eine Menge von Männern und Frauen hatten sich am Wege gelagert und sangen oder beteten vielmehr Lieder ganz unverständlich her. Es war eine Wallfahrt, mir eine ganz neue Erscheinung.

1’4 Meile vor Sanspareil liegt Wonsees, ein schlechter offener Flecken, wo wir die Stube sahen, wo der gelehrte Philolog und Spaßmacher Taubmann geboren ist. Die Inschrift am Hause sagt, er sei hier 1565 geboren und 1613 als Professor zu Wittenberg gestorben; sein Vater sei Schuhmacher und zugleich Burgemeister gewesen.

Sanspareil (eigentlich heißt das Dorf Zwernitz) ist einer der drei berühmten Lustgärten des Bayreuthischen Hofes. Friedrichs II. Schwester, Markgräfin von Bayreuth, hat ihn angelegt. Man macht sich eine falsche Vorstellung davon, wenn man es für einen künstlichen Garten mit einem prächtigen Lustschlosse hält. Es ist, kurz gesagt, ein ganz offener Wald mit natürlichen Felsenstücken. Die Bäume sind die herrlichsten Rotbuchen, die ich je gesehen habe, fast alle gleich gerade, stark und hoch. Die jetzige Jahreszeit, die für das Grün des Laubes die günstigste ist, gab diesem Hain vorzügliche Schönheiten. Wie aber die Natur diesen kleinen Platz durch die interessantesten Felsengruppen zum Lustort gebildet hat, kann kaum jemand glauben, der nicht diese Art von Felsen selbst gesehen hat. Es erheben sich nicht nur große, bemooste Felsenmassen aus der Erde zwischen den Bäumen, so daß sie durch Kunst ausgehauen und aufeinander gestellt scheinen, sondern sie bilden auch mehrere große und kleine Nischen, Grotten und Höhlen, indem der Felsen oben weit herüberhängt und inwendig wie mit einem Meißel glatt und hohl ausgearbeitet ist. Audi lehnen sich an einigen Stellen zwei große Felsenstücke oben aneinander und lassen eine breite Spalte oder Kluft zum Durchgehen zwischen sich. Hinten auf einem Platz voll kleinen Gebüsches findet man einen ganz isolierten pyramida- lischen Felsen, worauf ein Lusthäuschen steht, und einen andern rötlichen Felsen, der einen flachen aber breiten Schwibbogen bildet. Hinter dem Schwibbogen ist sehr artig ein kleines Theater.

Die Einbildung hat den romantischen Hain zum Aufenthalt des Telemach, zur Insel der Kalypso umgeschaffen. Daher findet man hier die Grotte der Kalypso, der Sibylle, des Vulkans, des Amors, den Tempel des Äolus. Diese Allegorie ließ ich mir gern gefallen; denn ich ward beim Anblick dieser sonderbaren Felsenbildungen in eine ganz fremde Welt gezaubert. Allein der schönen Insel fehlt das Wasser. Man hat indes den Vorteil, daß man im Gebüsch keine Insekten im Sommer zu fürchten braucht In den heißesten Sommertagen ist dieser Ort erst recht zu schätzen; denn die Felsenhöhlen und dichten Schatten der Bäume machen ihn zu anderen Zeiten fast immer kühl. Die Grotte des Vulkans ist die größeste Aushöhlung im Felsen. Sie ist ein kleiner offener Saal. Die Sitze darin sind in Stein gehauen.

In Sanspareil führte uns ein Kastellan herum. Im Garten liegen mehrere kleine Häuserchen und vorn 4 größere Gebäude, auswendig mit bunten Steinen sehr artig grottiert. Im Dorf bestiegen wir einen alten runden Turm auf einer Anhöhe, den man weit sieht und von dem man eine gute Aussicht hat.

BAYREUTH

Am Morgen nahmen wir Abschied und fuhren nach Bayreuth. Der Weg ist größtenteils sehr steinig. Die Aussichten stellen nur einsame, öde, flache Anhöhen dar. Am Ende kommt man durch einen schönen Weg und auf eine sehr gute Chaussee. 1/2 Meile vor der Stadt kommt man am Lustschloß Fantaisie vorbei. Dabei steht am Wege eine Linde, die 19 Ellen im Umfang hat [Alte Donndorfer Linde].

Bayreuth ist größer als Erlangen und hat meistenteils sehr gute Häuser und breite Straßen. Das Pflaster ist sehr eben von glatten Steinen, so daß die Pferde leicht fallen. Die Stadt liegt am Roten Main. Die Vorstädte sind groß und zum Teil selbst mit berlinischen Häusern und Säulenfassaden geziert.

Eine Strecke von der Stadt liegt der Brandenburger oder St. Georg am See (der See ist ausgetrocknet), eine kleine Vor- oder Nebenstadt, die zu Bayreuth gehört. Dahin führen zwei prächtige Alleen von großen, gleichgewachsenen, schattigen Bäumen. In dem sogenannten Brandenburger liegt ein sehr gut eingerichtetes Irrenhaus und ein Zuchthaus, worin Herr Hofkammerrat Turnesi wohnt, der darüber die Aufsicht hat. Die Züchtlinge und andere Künstler verarbeiten den Bayreuthischen Marmor sehr gut. In der ansehnlichen Niederlage sahen wir viele sehr schöne Tische, Blätter, Apothekerschalen, Tabakdosen, Vasen usw., alles herrlich poliert. Man zeigte uns audi eine Musterkarte von 33 Hauptarten und 27 Spielarten des Bayreuthischen Marmors, in kleinen Platten auf Schiefer befestigt. Hätte ich dies Stück nur gleich in unser Kabinett schaffen können; es würde Ihnen sehr gefallen haben. Ich sah weißen, schwarzen, gelben, bläuliehen, rötlichen und grauen Marmor, fast so schön wie italienischer, manchen auch mit Versteinerungen. Der gelbe kommt von Streitberg; der weiße wird in großer Menge in den sogenannten Sechsämtern, worin Wun- siedel die Hauptstadt ist, gefunden. Er ist schneeweiß, nur leider etwas zu weich, daher er splittert und verwittert. Bei Naila sind auch große Marmorbrüche, und überhaupt sind sehr ergiebige durchs ganze Land in Menge verstreut. Sie werden sich wundern, wenn ich Ihnen sage, daß im Bayreu- thischen kleine und große Marmorstücke uns in manchen Gegenden alle Augenblicke im Wege lagen.

Vor der Stadt in einer Wiese liegt die Kaserne, die in Gestalt und Farbe viel Ähnlichkeit mit dem berlinischen Belle Vue hat. Viele Häuser sind ganz von Sandsteinen. Die Stadt hat ein Altes und ein Neues Schloß (Letzteres ist nicht übel gebaut und steht an einem Platze, wo eine Fontaine oder gemauertes Bassin oder Brunnen steht, wie man es in diesen Gegenden häufig findet, mit einem vergoldeten Reiter); eine antike große Stadtkirche mit vielen Figuren auswendig; ein Waisenhaus; ein Gymnasium; eine Münze; eine Porzellanfabrik, worin aber itzt nicht mehr Porzellan, sondern englisches Steingut gemacht wird; ein Reithaus, worin itzt auf einem recht guten Theater die Webersche Truppe agierte; ein Opernhaus, das von außen mit einem sehr großen ungeschickten Balkon versehen, inwendig sehr reich und prächtig, aber ebenso altmodisch und geschmacklos mit Gold verziert, übrigens aber wohl fast so groß als das Berliner Opernhaus und als eines der größten und prächtigsten Opernhäuser in der Welt berufen ist. Ein paar Kirchen, die wir inwendig sahen, sind heiter und nett. In einer ist die Gruft der Regenten, von schwarzem und weißem bayreuthischem Marmor. Als Gouverneur des Landes wohnt ein Bruder des regierenden Herzogs von Württemberg in dem Neuen Schlosse.

Die Gegend um Bayreuth ist schön. Es ist in einem weiten Zirkel von Bergen umschlossen. Von dem nahen Sophienberge hätten wir gern die Aussicht genossen, wenn es uns die Zeit erlaubt hätte.

Wir logierten sehr gut im Anker, und speisten dort an der table d‘ höte mit preußischen Offizieren. Die Garnison ist von Wesel hieher gekommen. Der Hofgarten, so heißt hier jeder Schloßgarten, in der Stadt hat ein Bassin und artige Bogengänge und Hecken. Der Hofgärtner Rosengarten, den Herr Reichenow kennt, lebt noch; ich hatte aber nicht Zeit, ihn zu besuchen.

Fantasie ist fast ganz eine Anlage der Natur; vorn ist ein Schloß. Das Dorf, worin es liegt, heißt eigentlich Dondorf (so steht es auch auf der Karte). Der Garten ist offen, an einer Stelle hat er künstliche Bogengänge; sonst aber ist es ein Wald mit Wiesen, krummen Gängen und kleinen hervorstehenden Felsen. Ich bin ihn nicht ganz durchgangen.

Die Eremitage, 1/2 Meile von Bayreuth, (es führt eine vortreffliche Chaussee dahin) ist auch ein offener Garten. Zum Teil hat er künstliche

Grotten von Feldsteinen, Basins, Springbrunnen, Einsiedeleien, ein sehr langes, schönes Berceau, ein paar kleine Gebäude mit Säulen.

Dergleichen auch, mit lauter bunten Sternchen belegt, einen runden Pavillon, der Sonnentempel genannt, der inwendig ganz und gar mit bay- reuthischem Marmor von allerhand Farben ausgeschmückt ist; die Pilaster haben vergoldete Füße und Kapitäle. Von den Wasserkünsten wird, was verfallen ist, wieder hergestellt. Eine Kaskade ist eingegangen. An dem größten Bassin sind längs demselben in einiger Entfernung eine Reihe von Nischen angebracht. Wenn aus diesen oben eine Menge von Wasserstrahlen in einem Bogen ins Bassin springt, so geht man zwischen diesem und den Nischen unter einem Berceau von Wasserstrahlen. Der größte Teil des Gartens ist aber ein ganz kunstloser Wald mit geraden Gängen, durch welche man überall schöne und weite Aussichten auf Anhöhen und Täler, Häuser, Dörfer, Wiesen und Felder hat. In dem Küchengarten sind große Glashäuser.

Aber genug von diesen Sachen! Ich kann mich nicht länger enthalten, Ihnen die vortreffliche, unerwartete Aufnahme zu rühmen, die wir hier in Bayreuth genossen. Ein paar Tage vor meiner Abreise in Erlangen hatte ich den Herrn Professor Mahmal, mit dem ich von selbst ein wenig bekannt geworden bin und der in Bayreuth bekannt ist, in aller Eil gebeten, mir wenn er könnte, eine kleine Adresse mitzugeben. Er gab mir 3 Briefe mit: an einen gewissen jungen Herrn Boie, der uns in und außer der Stadt herum, auch nach der Fantasie hinführte; an den Herrn Hof kammerrat Schiupper, einen alten, ehrlichen, sehr ungenierten Mann, der mit uns nach der Eremitage hinfuhr und uns zum Abendessen behalten haben würde, wenn wir nicht schon beim Herrn Regierungsrat Spieß versagt gewesen wären; und an den Herrn Hofkammerrat Turnesi, einen äußerst gebildeten, feinen, geschickten, gefälligen und einnehmenden Mann, der uns, nachdem er sich ein paar Stunden mit uns unterhalten und wir ein Frühstück bei ihm genossen hatten, sogleich wieder 3 Empfehlungsbriefe nach Naila, Wunsiedel und Bischofsgrün in unser Wirtshaus zusandte. Herr Regierungsrat Spieß endlich, den ich erst allein besuchte, bat sogleich, da ich nur erwähnte, daß ich einen Reisegefährten hätte, uns beide auf den Abend zu Gaste und tat, als gehörten wir zu seiner Familie. Er ist ganz ohne Komplimente, ein sehr guter Mann. Er hat zwei große Töchter. Nach Tische wurde ein wenig getanzt. Er spielte und sang auch von seiner eigenen Komposition. — Hatten wir nicht Ursach über diese Aufnahme vergnügt zu sein? Wir genossen sie ganz unverdienter Weise.

BERNECK

Dicht vor Berneck wird man durch einen Anblick überrascht, der nebst der Gegend von Streitberg zu den schönsten gehört, die wir gehabt haben. Man fährt zwischen hohen Bergen in ein enges Tal hinein, worin das

Städtchen in einen engen Raum eingeklemmt liegt. Alles ist schwarz und finster. Aus den Bergen ragen schwarze Felsenmassen hervor; über die Stadt erhebt sich der schwarze, spitze Kirchturm. Daneben steigt der kühnere Turm einer alten Burg wohl noch einmal so hoch in die Lüfte empor und scheint über der Stadt zu hängen und hineinstürzen zu wollen, so verwegen streckt er sich zum Himmel hinauf. Der hohe viereckige Turm war die Burg der Grafen von Orlamünde. Dahinter liegen noch die Ruinen der Burg der Grafen von Wallenrode mit kleinen Gewölben und der dazu gehörigen Kapelle. Diese hat neben der gotisch gewölbten Tür noch folgende in den Stein gehauene merkwürdige alte Inschrift mit alten, den lateinischen ähnlichen Buchstaben: da man zalt nach XPI (Christi) gepurt MCCCCLXXX (1480) iar an sant gurgen abent durch veit von wallenrod ist der erst steyn an dise kapelle gelegt. Bei unserer Rückreise über Berneck kaufte ich vom Herrn Postmeister die kleine Schrift zum Andenken: Berneck, ein historischer Versuch. Von J. G. Hentze, Bayreuth 1790. Die Drahtzieherei in Berneck konnten wir nicht sehen, da es Feiertag war. Übrigens werden hier in einem kleinen flachen Bache auch Perlen gefischt, jährlich etwa 100 Stück. Sie sollen an Güte den orientalischen nahe kommen. Außer einigen anderen Orten des Oberlandes ist vornehmlich noch das Städtchen Rebau des Perlenfanges wegen bekannt. Hier und in Berneck wohnt ein eigener Perleninspektor. Man sagt, die Perlenmuscheln wären aus Sachsen, wo sie sich auch finden, einmal ins Bayreuthische gebracht, und hätten sich nun hier fortgepflanzt.

Von Berneck aus auf unserem ganzen Cirkelwege durchs Oberland bis nach Berneck zurück sahen wir ein Land von einer ganz eigenen Beschaffenheit. Der Boden ist durchaus sehr hoch, die Luft immer etwas rauh und kühl, die Anhöhen mehrenteils nicht steil und hoch, die Gegenden oft felsig, wüst und einsam, die Dörfer lange nicht so häufig als im Bamber- gischen und südlichen Franken. Alle Früchte und das Getreide kommen hier später zur Reife. Die Hauptnahrungszweige sind Bergbau (der fast lauter Eisen betrifft, da die Goldbergwerke in Goldkronach itzt ruhen), Viehzucht, Flachsbau und audi Getreidebau. Die Wiesen sind vortrefflich. Ochsen findet man in gewaltiger Menge; aber man sieht auch fast nichts als Ochsen. Sie spannt der Bauer vor Wagen und Pflug. Kühe sind seltener, Pferde wird man fast gar nicht gewahr, aber dagegen sehr gute Schafe und Ziegen. Jene beschäftigen viele gute Wollwebereien. Die Ziegen haben viel weißeres, schöneres Fell in diesem Berglande als bei uns. Die Einwohner sind ein höfliches, gutmütiges und treues Volk. Wegen der großen Viehzucht findet man hier viele Schlächter. Die Weiber tragen große runde Filzhüte, welches sie nicht übel kleidet. Die Dörfer haben hier überall ein sonderbares Aussehen. Sie bestehen aus einzeln stehenden sehr simplen Häuschen, die alle mit Schindeln gedeckt, auch wohl ganz hölzern sind, und nie in bloßer Erde, sondern immer auf grünbekleidetem Boden zwischen Anhöhen oder am Abhange wie graue Kartenhäuschen aufgesetzt stehen. Kleine Bäche und steinige Wege sind häufig. Alles dies gilt vom ganzen Oberlande nordöstlich von Bayreuth und Berneck.

ln den Frankenwald

Hinter Berneck fährt man noch etwas die Chaussee in einem schönen, tiefen Hohlwege weiter. Dann verläßt man sie und kommt durch etwas öde Gegenden nach Stammbach und Helmbrechts, wo in den Schenken der Feiertag mit lauten Späßen und Betrunkenheit gefeiert ward. Ich möchte beinahe den Rat geben, an Feiertagen sich nicht viel auf Dörfern aufzuhalten. Von Helmbrechts geht es über zwei kleine schlechte, dorfähnliche Flecken, Schauenstein und Selbitz nach Naila. Der Weg geht fast beständig auf nackten Felsen fort und ist so eben wie eine Chaussee. An einer Stelle kommt man an sehr schwarzen Felsen vorbei [Weidesgrün].

Naila, ein kleines, schlechtes Städtchen, liegt an der Selbitz, über die hier eine marmorne Brücke geht. Auch die meisten Häuser in der Stadt sind von Marmor. Dies klingt zwar in Berlin sehr prächtig, wo es gewiß schon sehr bewundert wird, wenn man von Häusern in sächsischen Dörfern hört, die ganz von Sandstein gebaut sind. Allein wenn man bedenkt, daß der Marmor, der doch auch nur ein edlerer Kalkstein ist, daß man bei weitem wohlfeiler damit baut, als mit Holz oder Backsteinen, so begreift man es schon. Der Marmor in Gebäuden sieht übrigens, wenn man ihn nur obenhin ansieht, um nichts besser aus als Kalk- oder Sandstein. — In Naila trafen wir gerade den Markt. Auf dem Markte, (wo wir im Roten Roß logierten) war alles gedrängt voll, so daß es uns gar sonderbar dünkte, da wir ihn am andern Tag ganz von Menschen entblößt sahen.

Über einen halben Tag wandte der Herr Vizebergmeister Ullmann, an den wir vom Herrn Hofkammerrat Turnesi rekommandiert waren, an uns, und ließt sich, zu meiner Verwunderung nicht verdrießen, uns nach Kem- bles [Kemlas], (über eine Meile nördlich von Naila, ganz dicht an der sächsischen Grenze) hinzuführen, und hier mit uns in ein Bergwerk einzufahren, eine Gefälligkeit, die wahrlich nur ein Bergmann selber haben kann. Die Gegend nördlich von Naila hat Anhöhen, finstre, schwarze Waldungen und einen kalten, trockenen Anstrich. Die Selbitz treibt eine außerordentliche Menge Eisenhämmer und Mühlen, auch eine Marmorschneidemühle für die Marmorfabrik Bayreuth. Das Geräusch von Eisenhämmern hört man überall. Um Naila herum sind 33 Gruben, die fast lauter Eisen, doch auch zum Teil Kupfer enthalten. Einige sind freilich klein. Bei dem Städtchen Lichtenberg brechen die schönsten Kupfer Allas- erze, die man sehen kann. Das Eisen findet sich in lauter Gängen, und zwar in allen möglichen Gestalten und in den herrlichsten Stufen: als gelbe Eisenerde, gelber oder brauner derber Eisenstein, Eisenblüte, Blutstein, Glaskopf, kugligter oder traubigter Eisenstein (wie der traubigte isländische Chalzedon gestaltet), Tropfstein und säulenförmiger Eisenstein usw. Der Steiger bot mir schöne Gesteinsproben an; allein der Transport macht gar zu viel Beschwerde. Hätte ich alles nur Ihnen gleich nach Berlin schicken können! In des Steigers Wohnung legten wir uns Grubenkittel, Schurzfell und Schachthut an, auf den ein Licht gesteckt ward. Die

Grube, die wir befuhren, heißt „Gabe Gottes“. Sie ist eine der tiefsten und ergiebigsten in dieser Gegend. Ihre Tiefe beträgt 26 Lachter = 173 Fuß 4 Zoll. Wir fuhren in einen Schacht auf den Fahrten (Leitern) ein. Über dem Schacht ist eine Kaue (hölzernes Häuschen) gebaut. Uber der Öffnung des Schachtes steht eine Kreuzhaspel, womit das Erz heraufgewunden wird. Der Schacht ist inwendig ganz mit Holz verzimmert, woran die Leitern sehr sicher befestigt sind, und geht ganz senkrecht hinunter. An den Leitern kann man sich sehr gut festhalten. Sdiwindlich kann man von der Tiefe nidit werden, weil man nichts als schwache Dämmerung um sich sieht. Wir waren glücklich unten angelangt, und einer ging gebückt dem andern nach, jeder sein Licht in der Hand; denn die Stollen und Gänge welche größtenteils mit Holzwerk verzimmert sind, sind ganz schmal und so niedrig, daß man kaum aufrecht darin gehen kann. Mir wars, als sollte ich in irgend eine geheime Gesellschaft aufgenommen, oder vor ein heimliches Gericht geführt werden. Ich erinnerte mich, in meinen Kinderjahren im Traume zuweilen solche lange, enge, finstere Gänge gesehen zu haben, und am Ende einen Arbeiter, der wie ein verwiesener Missetäter bei Licht die verborgenen Schätze der Natur aus Steinen herausschlägt. Es macht wirklich einen sonderbaren Eindruck, wenn man in der Ferne einen Arbeiter ganz dumpf hämmern hört, dann immer näher tritt, ihn in seiner fremden bergmännischen Sprache „Glück auf!“ grüßen hört und betrachtet, wie er mit sichtbarer Anstrengung das spitze Eisen mit dem Schlägel ins harte Gestein hineintreibt. In den Gängen bewunderten wir den reichen Eisenstein, der neben und über uns zwischen schwarzem Schiefer herabhing. An einigen Orten sahen wir schöne Eisenstufen, noch in der Werkstätte der Natur, grünen Malachit, auch Vitriolkies, und endlich ganz reinen, grünen Vitriol, wie er an den Wänden hing, denn diese Grube liefert vorzüglich auch die Materialien zu dem Vitriolwerk in Hölle, das wir am Nachmittag besahen. An manchen Orten waren die Gänge unten und an den Wänden etwas naß; auch sahen wir ein paar Pumpen, das Wasser heraufzuschaffen, und eine große Art von Schacht, Radstube genannt, für eine neue Maschine zu dieser Absicht. Als wir so ziemlich alle Winkel durchkrochen hatten, suchten wir wieder die freie Luft; und ich habe nicht leicht eine angenehmere Empfindung gefühlt, als da ich von der letzten Stufe der Leiter ins Freie hinaussprang. Die grünen Bäume, der blaue Himmel, die frische Luft, alles drang mit neuem, stärkeren Eindruck auf meine Sinne ein, zumal da, als wir hinunterstiegen, ein kalter Morgennebel die ganze Gegend bedeckt hatte. — Zu Mittag aßen wir in dem Dorf Issigau, wo wir uns von Herrn Ullmann traktieren lassen mußten Wir aßen unter anderem einen zarten, karpfenähnlichen Fisch, Barbe genannt. Nach Tische besahen wir das Vitriolwerk und den Eisenhammer auf der sogenannten Hölle. Dort sahen wir, wie der Vitriol immer feiner gesotten wird, und endlich in schönen grünen Kristallen anschießt. Hier sahen wir, wie das Eisen im Feuer glühend gemacht, und dann unterm Hammer zu einer glatten Stange geschmiedet ward. Blasebälge und Hammer werden von Wellen durch Wasserräder getrieben. —

Noch am Abend des Tages, den wir im Bergwerk (bei Lichtenberg) angenehm zugebracht hatten, machten wir anderthalb Meilen bis Hof. Die Gegend ist sehr hoch und gewährt dem Auge wenig Unterhaltung, da die sich wellenförmig hebenden und senkenden Erhöhungen am Ende ermüden. Wir kamen durch etwas Wald und endlich auf eine sehr gute Chaussee. Die Sonne ging prächtig unter; der halbe Himmel stand in goldgelben Flammen.

Hof liegt in einer flachen Niederung, in einer ziemlich von Holz entblößten Gegend. Die Stadt hat fast lauter Giebelhäuser, so glattes Pflaster wie Bayreuth und ein recht heiteres Aussehen. Wir stiegen im Brandenbur- gischen Hause, einem großen Gasthofe, ab. Die Stadt ist ihrer Fabriken wegen berühmt.

Am andern Tag hatten wir Nebel, trüben Himmel und Regen. Der Weg geht wieder sehr hoch und ist ziemlich fest. Rechts im Grunde sahen wir die Saale in lauter Zirkelbogen durch grüne Wiesen fließen, so daß sie mehreremale dem Ort, wo sie war, wieder nahe kommt. Endlich kamen wir bei dem Dorfe Schönbach an die kaiserliche Grenze von Böhmen. Wir waren schon den Schlagbaum passiert, als der Herr Einnehmer und Aufschauer uns „Halt!“ zurief. Wir mußten unsere Sachen visitieren lassen und nun forderte er uns unsere Pässe ab zur Legitimation unserer Aussage, daß wir Studenten wären. Wir reichten ihm unsere Matrikeln hin, denn diese hatten wir allein mitgenommen, weil sie sonst immer bei Studenten statt der Pässe gelten. Der Herr Einnehmer sah die Matrikeln lange starr an und verstand sie darum doch ebensowenig. Er mochte glauben, sie könnten ebensowohl französische Komödienzettel oder wer weiß was sein. Er maß uns mit mißtrauischen Augen von oben bis unten und hielt es endlich fürs beste, uns einen Boten bis zur nächsten böhmischen Stadt Asch mitzugeben, der unsere Matrikeln so lange an sich nahm, um sie dort näher untersuchen zu lassen. Der Herr Gerichtshalter in Asch verstand zwar die Matrikeln, weil er selbst studiert hatte, betrachtete uns aber ebenfalls so scharf, als wollte er uns durch und durch sehen, schwatzte über allerhand Nebendinge, z. B. kam es ihm bedenklich vor, daß ein so junger Student wie ich gleich eine so weite Reise unternehmen wollte. Er fragte nach unseren Geschäften in Karlsbad und das Ende vom Liede war, Matrikeln wären keine Pässe und keine volle Legitimation, um über die Grenze gelassen werden zu können. Was wollten wir tun? Wir hörten im Wirtshause, wo wir uns beim Mittagsbrot erholten, die Befehle wegen der einpassierenden Fremden wären der emigrierten Franzosen halber ganz neulich strenge geschärft; doch könnten wir uns in Asch einen Laufpaß geben lassen, der aber auf jedem Kreisamt bestätigt und unterschrieben werden müßte; denn wer ganz ohne Paß auf irgend eine Art ins Land käme, hätte Verhaftung zu gewärtigen. Teils das schlechte Wetter, teils die Umstände und Schwierigkeiten, denen wir doch immer noch ausgesetzt sein konnten, teils die Entfernung von Karlsbad bewogen uns bald, unsern Weg zu ändern und gleich nach Wunsiedel zu gehen. Von dem Boten, der uns noch nicht verließ, wurden wir förmlich über die Grenze gebracht und nun erst gab er uns unsere Matrikeln zurück. Wir hatten doch wenigstens unseren Fuß in Böhmen gesetzt und setzten itzt nach diesem Abenteuer unsere Reise vergnügt fort.

Die Gegend hier ist wieder besonders einsam und wüste. Oben habe ich vergessen zu sagen, daß auf unserer ganzen Reise durch die abgelegeneren Teile des Oberlandes die Leute uns immer sehr neugierig ansahen und fragten, wer wir wären, weil das Land von Fremden nicht so gar häufig besucht wird. Vielleicht ist dies auch zum Teil der Grund für die gute Aufnahme der Fremden.

Das Städtchen Selb, das wir passierten, ist klein und schlecht und höchst elend gepflastert. Mitten im Walde liegt der Schwarzenhammer, wo ein Eisenhammer, eine Glashütte und ein hoher Ofen betrieben werden. Sehr schade war es, daß wir hiervon nicht vorher wußten, sonst hätten wir die Glashütte und den Schmelzofen sehr gut besehen können. Die übrigen hohen Öfen im Bayreuthischen, denen wir nahe kamen, waren alle nicht im Gange, wie denn überhaupt itzt vieles von den Berg- und Hüttenwerken liegt und diese lange nicht so genutzt werden, als sie genutzt werden könnten. Doch bald wird der junge Herr von Humboldt, der geschickte Mine- ralog, als Aufseher des Bayreuthischen Bergwesens hierher kommen. Bei Herrn Turnesi sah ich einen sehr starken Bericht, den er auf einer Reise durchs Land über den Zustand des Bergbaues aufgesetzt hatte. — Als wir aus dem finsteren Tannen- und Fichtenwald herauskamen, hatten wir den überraschendsten Anblick. Große Ruinen einer alten Burg mit einem hohen runden Turm, auf einem kleinen Berge stehend, sprangen plötzlich hinter den letzten Bäumen hervor. Wir kamen ins Dorf am Fuße der Anhöhe und nun erfuhr ich zu meinem großen Vergnügen ganz unerwartet, daß wir in Thierstein waren. Der Herr Turnesi hatte mir gesagt, daß es hier gegliederten Basalt oder Basaltsäulen gebe, eine Merkwürdigkeit, die man vielleicht in ganz Deutschland nicht wieder findet. Wir machten also halt und beschauten den Ort näher. Der Felsen, der sich mitten im Dorf erhebt, hat auf der einen Seite lauter sechseckige, schwarze Basaltkristalle, wenn ich es so nennen darf, die etwa ein Fuß breit und ein bis zwei Fuß hoch sind und sich treppenförmig übereinander erheben. Einige Stücke sind umgestürzt oder stehen schief hervor. Die Ruinen, die an diesem Flecke stehen, bestehen in sehr hohen, großen Mauern mit Fenstern und einem sehr hohen runden Turm. Man findet vielen Basalt eingemauert. — Auf der anderen Seite des kleinen Felsens aber trifft man mehrere hohe sechseckige Basaltsäulen, die dicht nebeneinander geschichtet und ineinander gefügt, fast senkrecht sich in die Höhe türmen Sie haben bei einer Dicke von etwa einem Fuß wohl eine Höhe von 10 Füßen und gewährten mir einen ganz neuen fremden Anblick.

Als wir weiter fuhren, sahen wir noch das wilde Fichtelgebirge sich erheben und hinter uns entdeckten wir in Gestalt eines blassen, hohen Streifens

am Horizont die böhmischen Gebirge in der Mitte von Böhmen. Die Waldungen haben in diesen Gegenden einen besonderen Charakter. Sie bestehen aus lauter kleinen oder größeren Gruppen und sehen, da sie meist Nadelholz haben, schwarz und finster aus und sind hin und wieder über die Felder verstreut.

Wunsiedel und die Luisenburg

Wunsiedel oder Wonsiedel hat 300 Häuser und 2500 Einwohner und liegt in einer sehr hohen Gegend, doch in einer kleinen Vertiefung, hat ein etwas rauhes Klima aber eine interessante Natur um sich her. Die Straßen gehen bergauf, die Häuser sind ziemlich gut. Die Stadt hat viel Gewerbe und ist recht lebhaft. Wir logierten im „Einhorn“. Um die Stadt herum sind viele Brüche von weißem Marmor, der aber, weil er so gemein ist, häufig zu Kalk gebrannt wird. Die Stadtmauern sind von weißem Marmor, daher der Ort sonst die Stadt mit den marmornen Mauern genannt wurde. Mehrere Häuser sind auf Marmor und von Marmor gebaut, mehrere aber auch von dem rötlichen und weißlichen Granit, der nebst dem Gneus nach dem Fichtelgebirge zu häufig gefunden wird und auch das Skelett von diesem Gebirge ausmacht.

Von Herrn Turnesi waren wir an den Herrn Vizebergmeister Schubert rekommandiert, und dieser überaus gefällige Mann führte uns am Vormittage auf die Luxenburg und nach Sichersreuth, nachmittags nach Arz- berg und lud uns auf den Mittag zu sich ein.

Die Luxenburg ist ein Teil des Fichtelgebirges, dessen einzelne Berge folgende Namen haben: 1. die Luxenburg, Luchsburg oder Losburg. Dieser Berg hatte seinen Namen von den Luchsen, die hier sonst häufig waren (noch vor drei Jahren hat man einen in der benachbarten Pfalz geschossen) und von der alten Burg, die oben stand und wovon man noch die Spuren sieht. Die vier hohen Felsgruppen, die ganz nackt aus der Waldung des Berges hoch herausragen, heißen: der Burgstein, der große und der kleine Haberstein und der Schauberg. 2. die hohe Cössein. 3. der Ewald. 4. der Totenkopf. 5. die Platten. 6. der Silberanger. 7. die hohe Fahrnleiten. 8. der Nußhardt. 9. der Schneeberg. 10. der Schloßberg oder Rudolphstein. Diese zehn Berge machen eine ganze Kette aus. Jenseits des Tales, worin sich der Fichtelsee befindet, liegt 11. der Weißmann. 12. der Ochsenkopf. Die folgenden endlich machen eine eigene Kette nach einer eigenen Richtung aus: 13. der Waldstein. 14. der Langenstein. 15. der Epprechtstein. 16. der Kornberg.

Das Fichtelgebirge ist ganz mit Fichten und Tannen bewachsen, die unten auch mit einigen Buchen vermischt sind; die höchsten Spitzen aber sind kahl. In der Ferne sieht es schwarz, finster und öde aus. Es ist vier bis fünf Meilen lang und wenig bewohnt und besucht. Die einzelnen Berge erheben sich sanft und allmählich in die Höhe; jähe Abgründe findet man gar nicht. Daher sehen die Berge auch nicht so sehr hoch aus; allein man muß bedenken, daß sie in einer sehr hohen Gegend liegen. Es ist noch unentschieden, ob ihre höchsten Spitzen nicht höher über dem Meeresspiegel liegen als der Brocken. Auch ist man noch streitig, ob der Ochsenkopf oder der Schneeberg der höchste Teil des Gebirges ist; doch scheinen die meisten für den letzteren zu entscheiden. Übrigens stecken in diesem Gebirge noch gewiß unendliche Magazine von Erzen verborgen; allein man hat sich noch wenig Mühe gegeben, sie aufzuspüren. Auch ist die alte Sage, daß das Gebirge reich an Edelsteinen sei, sehr wahrscheinlich begründet. Wer hat sie aber je viel gesucht? Soviel ist gewiß, daß oftmals Italiener hierherkommen, in den einsamen Örtern des Gebirges ihr Wesen treiben und, vermutlich mit Edelsteinen bereichert, heimlich und in aller Stille wieder zurückziehen.

Die Luchsenburg ist der nächste Berg bei Wunsiedel. Der Weg dahin ist mit Granit besät. Am Fuße des Berges werden die Granitwacken ungeheuer groß und lehnen sich bald schief aneinander, daß man dazwischen durchkriechen kann; oder ein gewaltiger breiter Klumpen ruht auf mehreren kleineren, die in die Runde herumstehen und bildet auf diese Weise eine natürliche, kühle Grotte. Alle dergleichen Szenen fand ich hier noch weit größer und wunderbarer als in Sanspareil. Auf einem großen, platten Granitstück waren ehemals, einer Stiftung gemäß, jährlich von Gymnasiasten in Wunsiedel Schäferaktus und andere Komödien aufgeführt worden. Die Zuhörer hatten rund herum auf Felsensteinen unter freiem Himmel gesessen. Herr Bürgermeister Schubert hat in seiner Jugend mitgespielt. Nicht weit davon rinnt eine merkwürdige Quelle aus der Spalte eines Granitstückes hervor. Das Volk nennt sie die Quelle, die Moses aus dem Felsen schlug. Noch sahen wir am Fuß des Berges unter diesen wunderbaren Granitgruppen einen ebengemachten Platz, wo die angesehenen Einwohner der Stadt jährlich ein paarmal speisen und unter offenem Himmel einen vergnügten Tag mit ihren Familien zubringen. Auch sahen wir den alten Burgemeister, der ein sehr ehrliches Bürgeransehen hatte, selbst beschäftigt, einigen Arbeitern zu zeigen, wie sie ein paar benachbarte natürliche Grotten und Felsenplätze schöner und bequemer zum Vergnügen einrichten sollten.

Nun stiegen wir einen mäßig in die Höhe gehenden Fußsteig durch dichten Wald hinauf und gelangten auf die Spitze des Burgsteins, der sich wie ein Felsenturm oder ein starker Pfeiler über die höchsten Tannen erhebt. Oben ist eine Galerie gemacht. Von diesem engen Platze von sehr wenigen Quadratfußen übersieht man nun nicht nur das ganze Fichtelgebirge und Wunsiedel, sondern auch auf der einen Seite das Bayreuthische Land, auf der entgegengesetzen die ungeheuren schwarzen Waldungen von der ganz nahen Pfalz und auf der dritten die Gebirge von Böhmen, eine erhabene und viel umfassende, aber rauhe und öde Aussicht.

Von hier aus gingen wir nach dem Alexandersbade oder dem Gesundbrunnen Sichersreuth, der am Fuße der Luchsenburg liegt. Er wird leider nur sparsam und auf kurze Zeit von Bayreuthern besucht, da die nahen böhmischen Wasser von Eger und Karlsbad ihm Schaden tun. Das Wasser schmeckt sehr mineralisch und wird nach Wien, Triest, Venedig usw. versandt. Das Brunnengebäude ist ein noch neuer, großer Palast, von Granit erbaut und liegt sehr angenehm. Es hat die Inschrift: Sanitati publicae aedes hasce aere suo exstrui jussit Alexander etc. Die Zimmer für die Badegäste, auch die Nebengebäude, die angelegten Alleen usw., alles ist sehr nett.

Arzberg und Göpfersgrün

Arzberg, wo wir am Nachmittag hinfuhren, liegt eineinhalb Meilen von Wunsiedel. Um Arzberg sind 33 Gruben, die wie die um Naila lauter Privatleuten gehören. Alles sind Eisengruben. Das Eisen bricht hier nicht wie um Naila in Gängen, sondern findet sich in Stockwerken in unregelmäßigen Klumpen und nicht in so schönen Stufen als dort. Ich fuhr in eine 18 Klafter tiefe Grube, die Silberkammer, durch einen Schacht ein. Sie ist die allerergiebigste. In den Gängen und Örtern, d. i. den Plätzen, wo das Erz herausgehauen wird, sah ich über und neben mir nichts als gelben und braunen Eisenstein in unerschöpflicher Menge. Mein Licht wurde ein paarmal von den Wettern, der schlechten oder geringen Luft, ausgelöscht. Auch sah ich in den Gängen eine sonderbare weiße, weiche, baumwollartige Materie in Mengen hängen, die nichts anderes als ein Ansatz von Dünsten ist. Das meiste sah ich hier so wie in Naila. Um das beschwerliche Heraufsteigen zu ersparen, ließ ich mich auf dem Knebel, einem dicken Holzstück, auf das man sich setzt, an einem Seil von zwei Personen aus der Tiefe herauswinden, nachdem ich mich vorher nach der Sicherheit dieser Art von Fuhrwerk genau erkundigt hatte.

Arzberg ist ein kleines unansehnliches Städtchen. Dabei ist auch ein Alaunwerk. Auf dem freien Felde sahen wir auch das Waschen des Eisenerzes an. Der kleingeschlagene Eisenstein wird in einem kleinen Wiesenbach mit eisernen Schaufeln gegen das Wasser angeschaufelt, so daß der Bach das leichtere, taube Gestein mit wegspült und das Erz auf dem im Bach gemachten Boden liegen läßt.

Bei dem Dorfe Göpfersgrün zwischen Arzberg und Wunsiedel ist eine Grube, wo man Speck- oder Schmerstein findet. Er ist weich und findet sich auch mit Dendriten; der weiße ist der beste. Er wird nach Regensburg und von da vermutlich nach Triest und nach der Türkei gesandt. Man weiß nicht genau, wozu er dort gebraucht wird. Man sagt, es würden die meerschaumenen Pfeifenköpfe daraus gemacht.

Mehrere Bergwerke bei Arzberg sind itzt darum nicht im Gange, weil die bayreuthischen und böhmischen Bauern, die sonst den Eisenstein den Hämmern zufahren, itzt nichts tun, als Getreide für die Armeen am Rhein nach Bayreuth zu bringen.

Über Leupoldsdorf zum Fichtelsee und Ochsenkopf

Ich hatte nach Wunsiedel noch eine Adresse an den Herrn Burgemeister Schmidt vom Hofrat Schreber erhalten. Dieser Mann verschaffte uns einen Führer, der uns am folgenden Tage über den Fichtelberg [Ochsenkopf] nach Bischofsgrün geleiten sollte, weil man sich auf diesem einsamen Waldgebirge leicht verirren kann. — Hinter Wunsiedel kamen wir über Schönbrunn und Leupoldsdorf, wo ein Eisenhammer und Blechhammer ist. Der Herr von beiden Werken, Herr Kommerzienrat Müller, bot uns, als er uns seinen Eisenhammer betrachten sah, ohne uns zu kennen, ein Frühstück an und lieh uns ein Fernrohr. — Die unteren Teile des Gebirges haben unter den Tannen und Fichten auch Buchen. Wir passierten steinige, sumpfige und verwachsene Wege, und Bäche rieselten neben uns oder vor uns vorüber. Endlich gelangten wir zu der sogenannten Zinnseife und dem Zechenhause dabei. Die Zinnseife ist eine große Grube, worin die Zinnerze gewaschen werden. Die Zeit mangelte uns, den Schneeberg zu besteigen, von dem man eine noch freiere Aussicht als vom Ochsenkopf hat. Wir gingen also über den Fichtelsee und über den Weißmann [Weißmainfelsen] zum Gipfel des Ochsenkopfes.

Der Fichtelsee, der grundlose See oder die Seelohe, ein tiefer Sumpf oder ein Moor, ist mit Moos und Binsen, auch mit niedrigem und verkrüppeltem Fichtengesträuch überwachsen und trocknet nie aus, weil er im Tale liegt und ohne Abfluß ist, sondern vielmehr in nassen Jahreszeiten ganz unter Wasser steht. Auch itzt konnten wir an Stellen, wo das Wasser über dem Morast stand, einen Stab drei bis vier Fuß hineindrücken. Man geht über diesen Sumpf auf Stangen, Hölzern und Sträuchern, die in gerader Linie herübergelegt sind.

Nun kamen wir in die rauhe Wildnis des Gebirges, die ich so begierig war zu sehen. Wenig betretene Fußsteige führten uns durch dieses Buschwerk etwas steil hinauf. Über uns türmten sich mitten unter den Baumstämmen allgewaltige Granitmassen auf, die halb nackt, halb bemoost wie riesenmäßige Denkmäler, wer weiß wie lange schon, der Zeit trotzten. Wir sahen ein paar alte, verfallene Stollen, mit Wasser angefüllt, und sprachen mit einem Bergmann, der in dieser Einöde eine Hütte hat und uns mit geheimnisvoller Miene entdeckte, daß gewiß noch große Schätze von Gold und anderem Erze in diesem noch wenig durchforschten Gebirge versteckt lägen, was nicht unwahrscheinlich ist. Sehr merkwürdig war es mir, mitten in der Waldung hier einen der größten Flüsse Deutschlands in seiner Wiege zu finden. Wir sahen die Quelle des Weißen Mains, der aus einer ummauerten Höhlung eine kleine Spanne breit im Grase herabrinnt. Ich setzte mich an der Quelle, trank etwas daraus, stellte mich wie der Ko- lossus über den jugendlichen Strom und versuchte seinen ganzen Reichtum von Wasser mit der Hand aufzuhalten.

Nun wird der Weg immer wilder. Wir traten unsicher auf Sumpf oder auf Schnee, der in zerrissenen Partien herumlag oder in hohes Heidekraut, worunter oft Baumzweige oder Felsenstücke verborgen lagen. Endlich hatten wir die Spitze erreicht, wo auf einem kleinen Fledce keine Bäume stehen, sondern nur Felsstücke herumliegen. Wir sahen, es ist wahr, an manchen Orten vielleicht 20 Meilen weit, aber was? In der Nähe düstere Waldungen, mehrere Örter, in der Ferne blasse Landstreifen am Horizonte. Die Aussicht ist zu weit, um in so kurzer Zeit genossen werden zu können. Unser Fernrohr war nicht sonderlich; unser Führer konnte uns die Örter und Gegenden nicht genau nennen und der Himmel war am Horizonte nicht ganz heiter, obgleich die Sonne schien. Dem ohngeachtet hat eine so weite Aussicht, wenn man die einzelnen Gegenstände nicht genau unterscheidet, immer viel Erhabenes. Auf unserem Heruntergange auf der anderen Seite des Berges nach Bischofsgrün begegneten wir einigen Meilern im Walde — dies sind runde, große, backofenähnliche Haufen von Holzstüdken aufeinandergepackt, die zu Kohlen schwelen sollen — und sahen die Wege, die das Holz, das auf dem Gebirge in sehr großer Menge geschlagen wird, im Winter von oben herunter nimmt, wenn man es in Schlitten gelegt auf einer festgeschlagenen Bahn über den Schnee heruntergleiten läßt.

Von Bischofsgrün nach Kulmbach

Bischofsgrün ist ein Dorf dicht am Fuße des Fichtelgebirges. Hier trafen wir mit unserem Fuhrwerk, das den Fahrweg dahin hatte nehmen müssen, wieder zusammen. Die hiesige Glashütte war nicht im Gange; das Wirtshaus ist hier schlecht und der Wirt betrügt. Es war uns daher sehr angenehm, daß uns der Herr Kommerzienrat Müller in Fröbershammer dicht bei Bischofsgrün so gastfrei aufnahm. Wir waren von Herrn Turnesi an ihn rekommandiert und er ließ uns nicht nur mit sich speisen, sondern gab uns auch ein vortreffliches Nachtquartier in seinem großen Hause, wo er schon viele Fremde zu ihrem Vergnügen beherbergt hat. Auch besahen wir seinen Eisenhammer, seinen Zainhammer, wo Zaineisen oder dünne Stangen zu Nägeln geschmiedet werden, und seine Knopfhütte, wo Hemdenknöpfe und dergleichen aus gelb, blau und braun gefärbtem Glas gemacht werden.

Jetzt entschlossen wir uns, ganz schnell auf einem Umweg über Kulmbach zurückzureiten und dieser Entschluß hat uns besonders der herrlichen Gegend wegen nichts weniger als gereut. Von Bischofsgrün dahin hatten wir etwa 3 1/2 Meilen. Anfangs kamen wir über Berge und durch Wälder und hatten weite Aussichten (Wülfersreuth — Bärnreuth). Dann kamen wir wieder von einer anderen Seite durch Berneck. Dann kommt man über Wiesen und durch sehr schöne, romantische, arkadische Täler, deren Anblick unser Auge nach den rauhen Gegenden vom Fichtelgebirge her und von Berneck bei einer so schnellen Veränderung sehr angenehm erquickte. Ein Dorf am Abhange eines Berges, mit Bäumen durchmischt, an einem einsamen grünen Tale liegend [Gössenreuth]), nahm sich besonders reizend aus.

In dem Dorfe Himmelkron besahen wir in der alten Kirche die alten Grabmäler der Gräfin von Orlamünde, des Grafen Meran usw. Sie sind sehr alt. Die Figuren der Verstorbenen sind in Stein gehauen mit fast ganz unleserlichen altdeutschen Inschriften versehen und wegen des Kostüms merkwürdig.

In dem beachbarten Lanzendorf ist die Glanzleinwandfabrik eingegangen; statt ihrer ist jetzt eine Kattunfabrik dort. Vor Kulmbach kommt man durch einen prächtigen Buchenwald, dessen helles, frisches Grün in dieser Jahreszeit besonders reizend war. Endlich kamen wir in ein sehr schönes Tal, schmal und von ziemlich hohen Bergen eingeschlossen, worauf Wälder und Gärten grünen. Grad zu, am Ende des Tales liegt Kulmbad}. Die Stadt ist sehr klein; man sieht von ihr nichts als die große, hochliegende, ehrwürdige Kirche, deren alter schwarzer Turm die Grenzsäule des Tales ist. Rechts über der Stadt hängt oben am Rande des Berges die Bergfestung Plassenburg mit ihren rötlichen Mauern und Türmen. Dieses Tal bildet ein sehr schön vollendetes und geschlossenes Landschaftsgemälde und verdient den Gegenden bei Streitberg und Berneck wohl an die Seite gestellt zu werden.

Kulmbadi ist ganz gut gebaut. Die Vorstädte sind im Verhältnis gegen die Stadt nicht klein. In der Stadt ist der Klosterhof merkwürdig, wo eine kleine Kolonie des Klosters Langheim von drei bis vier Brüdern wohnt. Hinter der Stadt breitet sich das enge, lange Tal, die Wolfskehle genannt, in eine sehr große, herrliche Wiese (die Aue) aus, die vom Weißen Main durchschlängelt und in einem weiten Umkreise von Bergen umschlossen wird.

Sie werden wohl wissen, daß seit dem vorigen Jahr in Kulmbadi 20 gefangene Offiziere und 700 Gemeine von der französischen Armee gefangen liegen. Jene wohnen in der Stadt in Privathäusern, können in, aber nicht außer der Stadt, ohne Begleitung herumgehen, und haben itzt ihr eigenes Kaffeehaus, wo sie spielen, Zeitung lesen und sich in ihrer Eingeschränktheit vergnügt machen. Die Gemeinen sind alle auf der Plassenburg, welche wir mit dem Herrn Meyer, den wir aufgesucht hatten, besahen. Der Weg zur Festung ist eine breite, schattige Allee, die sich gekrümmt den Berg hinaufwindet. Die Festung scheint ziemlich stark. Die Franzosen machen sich oben so vergnügt als sie irgend können. Auf einem großen Hofe spielten sie Trou Madam und hatten ein kleines Marionettentheater errichtet. In einem Bogengänge fochten einige; in einem großen Saale lehrten einige die anderen tanzen. Alle waren sehr höflich und keiner bettelte. Sie halten sich reinlich und ordentlich, sind beliebt, und werden wieder gut begegnet. In die Stadt darf keiner ohne Begleitung gehen. Einige waren gut gekleidet und schienen gebildet und von nicht geringem Stande zu sein.

Der Herr Meyer führte uns noch nach einem Platze auf den Bergen neben der Wolfskehle hin, von wo die Aussicht, die wir unten im Tale selbst, auf unserem Weg genossen hatten, sich uns noch verschönerter darstellte. Wir sahen noch über die Stadt hinaus und übersahen das reizende Tal mehr mit einem Blick.

Über Sanspareil, Streitberg und Müggendorf
zurück nach Erlangen

Von Kulmbach nahmen wir unsern Weg über Sanspareil und Streitberg nach Erlangen zurück. Bis Sanspareil hatten wir 2 1/2 Meile. Wir kamen am Schloß Steinenhausen vorbei, hinter welchem sich der Rote und der Weiße Main vereinigen, und dann durch das Gebiet des Grafen Giech, in dessen Hauptstadt Thurnau wir etwas ausstiegen, um den Hofgarten zu besehen. Er hatte eine sehr große schattige Allee, Hecken, Gebüsche, französische Anlagen und Küchenpartien. Vor Sanspareil kommt man noch an ein paar Sandsteinbrüchen vorbei. Sanspareil und Streitberg kennen Sie schon; ich habe also Ihnen nur noch die Müggendorf er Höhlen zu beschreiben, die wir am Vormittag besahen, um den Abend in Erlangen zu sein.

Müggendorf liegt tief im Felsentale, über 1/4 Meile von Streitberg. Der Elöhleninspektor Wunder, der sich mit Aufsuchen und Verkaufen von Versteinerungen und botanischen Kräutern beschäftigt, führte uns in vier Höhlen hinein. Die Gailenreuther Höhle, wo die vielen Versteinerungen herkommen und eine andre Höhle, die reich an Zoolithen ist, besuchten wir nicht; sie liegen beide ziemlich entfernt. Die Rosenmüllersche Höhle — der Magister Rosenmüller in Erlangen hat sie im vorigen Jahre zuerst bestiegen — ist in Ansehung der Gestalten des Tropfsteins die schönste. Ihr Eingang ist eine schmale Spalte zwischen den Felsenpfeilern oben am Gipfel des Berges, und man steigt auf einer schrägstehenden Leiter mit einem Licht hinunter. Unten findet man sich in einem sehr hohen, finsteren Gewölbe, in das durch jene lange Spalte ein blasses, zauberhaftes Tageslicht hineinfällt. Die Höhle ist nicht groß. Man geht auf rundlichen, feuchten, etwas schlüpfrigen Hügeln von Tropfstein in die Höhe. Abgründe oder tiefe Wasser oder andre gefährliche Stellen sind aber weder in dieser noch in den anderen Höhlen. In den engen Winkeln, wo sich die Decke wieder dem Boden nähert, hängen von dieser eine Menge Tropfsteinzapfen herunter, an deren Spitze immer ein Wassertropfen hängt. Einige herunterfallende Tropfen machen in diesen öden Schlupfwinkeln ein sonderbares Geräusch. Die Tropfsteinzapfen und Säulen, die zuweilen bis an die Decke gehen, sind hier wie in keiner der andern Höhlen von der schönsten gelbrötlichen Farbe, ohngefähr wie Krebsscheren, und glänzen beim Schein der Lichter sehr schön.

Die drei andern Höhlen liegen in dem Felsen auf der anderen Seite des Tales, nicht ganz so hoch an der Spitze hinauf. Einsame Fußsteige durch dichtes Gebüsch führen zu den Eingängen. In allen dreien geht man gerade hinein auf ziemlich ebenem Boden. Der hohle Berg, der heidnische Tempel oder die Oswaldshöhle übertrifft die schönste künstliche Grotte. Sie geht durch den Felsen grade durch, so daß man zum einen Ende hinein, zum andern herausgeht, und ist nicht so lang, daß man ein Licht darin brauchte. Sie ist ein wunderbares Felsengewölbe mit starken Pfeilern von grauem Kalkstein. Der Tropfstein findet sich in dieser und den zwei folgenden Höhlen grau, grünlich oder schwarz und weiß in der Gestalt von herunterfließenden Kaskaden. Der Boden dieser Höhle ist ganz eben. Es soll hier der Einsiedler Oswald gewohnt haben und auch heidnischer Götzendienst gehalten worden sein.

Die Wundershöhle hat von dem Inspektor Wunder, der sie entdeckt hat, den Namen. Gleich anfangs kriecht man hier durch ein Loch im Felsen, doch noch ziemlich bequem, durch.

Das Wizeloch ist die allergrößte Höhle, allein der größte Teil ist wegen der engen Schlupflöcher sehr schwer zugänglich. In dieser Höhle hielten die Slawen ihrem Todesgott Wize den Gottesdienst. Ein großer breiter Stein war ihr Altar. Auf einer Art von steinernen Bänken sollen sie eine Art von heimlichen Gericht gehalten haben. Auf einem Felsenstücke fand man hier das Bild des Gottes, das leider weggenommen und in das Ans- bachische Lustschloß Triesdorf gekommen ist. Hier findet man auch noch schwarze heidnische Urnen. Ich habe ein Stückchen davon nebst einer versteinerten Terebratel und ein paar rötlichen Tropfsteinen von dem Höhleninspektor mitgenommen. Auch findet man hier noch Überbleibsel von dem Miste des Rindviehs, das im Dreißigjährigen Kriege in dieser Höhle versteckt ward.

Die drei letzten Höhlen sind sich im ganzen ziemlich ähnlich. Nachrichten von diesen Höhlen finden sich in Hentze, Versuch über die ältere Geschichte des fränkischen Kreises, und Esper, Beschreibung der in den Mug- gendorfer Höhlen gefundenen großen versteinerten Knochen. Die letzte Schrift, von der ich den Titel nicht genau kenne, ist ein Folio mit Kupfern. Verzeihen Sie meiner Ausführlichkeit. Manches hätte ich doch für mich aufgeschrieben, und da erzähl“ ich Ihnen lieber gleich alles.

Dem Herrn Turnesi habe ich itzt noch schriftlich für seine Güte gedankt. Ich werde wohl erst einen Brief von Ihnen erwarten, ehe ich wieder schreibe. W. H. Wackenroder

Wilhelm Heinrich Wackenroder