Warum Ideologie (notwendig falsches Bewußtsein) der Anschauung von Raum und Zeit entspringt

Gottfried Wilhem Leibnitz: „Nicht nur geschieht nichts in der Welt, das absolut irregulär wäre, sondern man könnte sich etwas derartiges gar nicht vortäuschen. Denn nehmen wir an, zum Beispiel, dass jemand ganz zufällig eine Menge Punkte aufs Papier aufbringt, wie sie es tun, die die lächerliche Kunst der Geomantrik praktizieren, so sage ich, dass es möglich ist, eine geometrische Linie zu finden, deren Begriff nach einer gewissen Regel konstant und uniform wäre, so dass diese Linie durch alle Punkte hindurch ginge, und zwar in der gleichen Reihenfolge wie die Hand sie gesetzt hatte. Und wenn jemand mit einem Zuge eine Linie zöge, die mal gerade, mal kreisförmig, mal etwas ganz anderes wäre, dann ist es möglich, einen Begriff oder eine Regel oder eine Gleichung zu finden, die allen Punkten dieser Linie gemeinsam wäre, kraft welcher diese selben Änderungen geschehen mussten.“ (Leibnitz, Gerhardt, Bd. IV, 431; vergl. VI, 262, 629; IV, 569)

Leibnitz sagt hier nichts anderes, als dass sich mit Mathematik alles rechtfertigen lässt, indem sie den Dingen Gediegenheit unterstellt in Form von Raum und Zeit. Aus deren Beschreibung aber folgt nichts, was es nicht bereits gäbe, bestenfalls wird es durch sie geadelt. Genau das ist das Wesen von Ideologie. Und deswegen haben die Wissenschaften nichts zum Problem der Freiheit zu sagen. Denn diese wird von anderen Notwendigkeiten informiert.

Freiheit ist nach dem deutschen Idealismus die Einsicht in die Notwendigkeit, aber nicht der bestehenden Verhältnisse, sondern dessen, was Not tut. Nach Hegel ist die Freiheit eine Frucht der Vernunft, welche wiederum der Einsicht entspringt des Widerspruchs am Grund des Seins.

Der Widerspruch ist mithin elementarer als Raum und Zeit, welche demzufolge die Urform und Quelle jeglicher Ideologie sind.

Worauf Hegel hinaus will, ist, denke ich, dass die Dinge und Menschen nicht durch ihre Anordnung im Raum bestimmt sind, sondern durch das, was sie nicht sind. Ein Baum ist ein Baum dadurch, dass er kein Busch oder kein Großrechner oder keine Pyramide ist. Ein gesunder Mensch ist gesund dadurch, dass er nicht krank ist – eine Frau eine Frau dadurch, dass sie kein Mann ist usf. Und dass das, was etwas oder jemand nicht ist, zutiefst seine Bestimmung ausmacht, die durch „ideologische“ Überstülpung von Raum und Zeit zerstört wird. Freiheit besteht dagegen im Nachvollzug und „Aufheben“ des notwendigen Widerspruchs zwischen dem, was man ist und dadurch nicht ist. Untergraben wird sie durch Raum und Zeit als Gespinsten der Gediegenheit des abstrakten Denkens, das sich an ihrer fruchtlosen Aufteilung ergötzt.

Wir leben im Moment in einer Diktatur der Mathematiker. Aus diesem Grund fühlen wir uns immer unfreier.