Spurloses Leben

Manchmal blicke ich mit Leuten meines Alters auf die Jahre, die wir schon zurückgelegt haben, und wir gratulieren uns spontan für den herrlichen Abschnitt, der uns auf Erden beschert war, für den Frieden, den Überfluss, die Weltreisen und das Internet. Haben je Menschen wie wir in glücklicheren Umständen gelebt? Erst in letzter Zeit wird mir klarer, dass wir eher in einer Art Rausch existier(t)en, den es nie vorher gab und auch nie wieder geben wird in der Geschichte der Menschheit.

Unsere Droge war, ist: Öl. Sobald es verschwunden sein wird, nicht in unserem Leben, aber bald schon danach, steht nichts mehr zur Verfügung, was seine hammermäßige Unterstützung liefern könnte. Je mehr ich mich in den letzten Monaten in das Thema gelesen habe, desto klarer wurde mir das Fantastische an jenem Glauben, der mich lebenslang gefangen nahm: dass die Zukunft aussehen wird wie „2001 – Odysee im Weltraum“ oder „Bladerunner“. Aber 2001 ist lange vorbei, und die interstellare Raumfahrt gibt es nicht. Kann es gar nicht geben.

Ich erinnere mich an das Jahr 1973, als infolge Energieknappheit an bestimmten Tagen keine PKWs fahren durften. An Wochenenden waren die Autobahnen leer. Als Antwort auf diese vollkommen realistische Vorschau auf das, was uns auf jeden Fall ins Haus steht, wurde seitens des Westens eine Außen- und Gewaltpolitik begonnen, die auf Biegen und Brechen für billiges Öl sorgte. Die Früchte hat meine Generation dann ihr Hauptleben lang genossen und somit in etwas geschwelgt, dessen Arabesken, da drogeninduziert, sich spurlos verflüchtigen dürften.

Gibt es irgendein Können oder Wissen, das in den letzten 40 Jahren auftauchte, von Nutzen für die folgenden Generationen? Etwas Wertvolles, das nicht von den Drogen abhinge, deren Auffinden die Menschheit in einen Rausch stürzte, der sich nie wiederholen lässt bis ans Ende von Sein und Zeit?

Ich hatte ursprünglich „Klimawandel“ recherchiert, war so aber auf die zivilisationsverursachende Rolle des in fossilen Brennstoffen gespeicherten Sonnenlichts schlechthin gestossen. Sein andauerndes Abfackeln wärmt(e), wie ich inzwischen merke, in uns allen die Fantasie, wir könnten solcherart fortschreiten. Irgendetwas wird bestimmt entdeckt werden, eine neue, unerhörte Form von Energie, welche den Rausch noch weiter (über die Geschwindigkeit des Lichtes hinaus . . .) treibt! Wenn ich in Gesprächen anklingen lasse, dass die Party demnächst vorüber sein, unsere Nachfahren wieder Papier und Rechenschieber gebrauchen könnten, handelt mir das Unglauben, bestenfalls erloschene Blicke ein. Die Überzeugung, dass wir uns auf dem Höhepunkt, nicht auf einer Seitenstraße menschlicher Entwicklung befinden, dass unsere Nachfahren noch fortgeschrittener sein werden als wir selbt, sitzt tief. Sie ist aber, wird mir immer klarer, grundlos.

Wie wird man auf unsere Zeit in 500 Jahren zurückblicken? Als Quelle der Inspiration, wie wir heute das antike Athen oder die Renaissance studieren, oder als Kabinett von Kuriositäten?