Johann Peter Hebel „Die Juden“

Sendschreiben an den Sekretär der Theologischen Gesellschaft zu Lörrach (die wenig bekannt ist)

Wenn du, o Zenoides, es ratsam finden solltest, der Theologischen Gesellschaft diese Epistel vorzulesen, so habe ich außer dem Schatten des seligen Ritters Michaelis nicht nur dich, sondern auch sie um Verzeihung zu bitten, wenn ich diesmal mancherlei durcheinander sagen und hie und da ein Weizenkörnlein unter viel Spreu verbergen werde. Der Verzeihung des seligen Ritters aber bedarf ich, weil ich bei allem Respekt vor seiner seltenen Gelehrsamkeit glauben muß, daß er in derselben und durch dieselbe vor Bäumen den Wald nicht recht gesehen habe, als er der Arabischen Gesellschaft mancherlei Fragen, z. B. über die Gottesanbeterin, als da ist nicht die Priesterin Elisabeth oder die Prophetin Hanna, sondern Mantis religiosa Linnei (Frage 51), ferner über die fliegenden Katzen (Fr. 30) und die zweibeinige Maus (Fr. 42) mitgab und aufband, keineswegs aber ihr den Rat erteilte, den auch die Instruktion Artikel 35 enthält, vorderhand und seinetwegen das liegen zu lassen und vor allen Dingen den Juden und seinen Blutsvetter, den Araber, auf dem heimischen Boden desto näher zu betrachten und das charakteristische Gepräge zu studieren, welches das Klima des Landes, wo die Bibel geschrieben wurde, seinen Kindern aufdrückt; da nicht zu leugnen steht, daß man vor allen Dingen diejenigen, an welche geschrieben ist, baß kennen muß, wenn man das, was geschrieben ist, um einen halben Erdgürtel nördlicher und um ein paar Jahrtausende später ausdeuten und den heiligen freien Geist, der heimisch unter den orientalischen Palmen hauset, unter den nordischen Eichen bannen will.

Ja, es hätte sich der selige Katzen- und Bergmausjäger durch einen solchen Wink an die Gesellschaft, wenn sie geglückt wäre, ein desto größeres Verdienst erwerben können, da so manche Reisende im Orient lieber das Tote als das Lebendige zu beobachten scheinen.

Sie botanisieren euch von Dan bis nach Berseba, besteigen den Libanon und unterscheiden beim ersten Blick die berühmten alten Zedern von den jungen an der Größe, obgleich sie über deren Zahl bis auf diese Stunde nicht einig sind. Sie versäumen nicht, mit eigenen Augen zu sehen, ob das Geradlinigte und Zackigte, was man bisweilen unter dem Wasser des Toten Meeres erblickt, Ruinen von Sodom oder Basalte sind, und wenn je ihr Blick auf das Lebendige fällt, so wollen sie lieber die Natur und Lebensart des Schakals als des Menschen studieren, obgleich der Fuchs dort von dem Fuchs hier in keinem größern Abstande stehen mag als der Mensch dort von dem Menschen hier und die Bibel nicht für Füchse geschrieben ist, kaum für akademische, zum Studium der Exegese. Das führt uns nicht weiter, und ich habe mir daher vorgenommen, bis ich mich zu einer Reise nach Palästina für den Zweck des Menschenstudiums befähigt habe und der König von Dänemark oder die Hamburger Lotterie, in welcher man 250 000 Mark gewinnen kann, die Gelder dazu liefert, einstweilen die abgeraspelten und ausgeschiedenen Späne und Schlacken des Volks Gottes, wie sie mir im 49sten Grad nördlicher Breite durch den Fokus gehen, näher zu beobachten und zugleich die Theologische Gesellschaft bittweise anzugehen, es wolle mir dieselbe mit ihren jetzigen und künftigen Beobachtungen an diesem Volke Gottes, inwiefern sie zur Aufklärung und Entwickelung des logischen und ästhetischen Sinnes der Bibel etwas beitragen können, gefällig zuhanden gehen.

Ich rechtfertige mein Vorhaben und meinen Wunsch mit der Behauptung, daß das jüdische Volk, wie alle asiatischen und alle unterdrückten Völker, sehr anhänglich an sein Altes sei und den physischen, psychologischen und moralischen Charakter seiner Väter in Palästina im wesentlichen noch nicht verändert habe.

Vorleser dieses lasse sich auf eine weitläuftige Herzählung der Belege hiezu, z. B. die Ähnlichkeit der Gesichtszüge und den Bart, nicht bange sein.

Erstere erklärt man richtig daher, daß die Juden selten fremdes Blut durch Heirat in das ihrige gemischt haben, und ich setze nicht unwahrscheinlich hinzu, daß, wenn jemand alle Judengesichter, die jetzt existieren, kennte und imstande wäre, das Gemeinschaftliche und Charakteristische aus allen herauszuheben und vorerst in ein Gesicht zusammenzufassen, dann in diesem die männlichen und weiblichen Züge zu scheiden und in zwei Gesichter zu zerlegen, so würde er mit dieser Operation die Originalporträte des Abraham und der Sara richtig gefunden und dargestellt haben.

Ich will mich dabei nicht aufhalten, sondern nur einige minder bemerkte Spuren des alten Gepräges an unsern Juden in Anregung bringen.

  • Der Jude ißt, trinkt, betet und grüßt seine Landsleute mit bedecktem Haupt. Warum? Der Hut ist sein Turban. Kein Morgenländer zieht den Turban. Er ist wesentlich zur anständigen Erscheinung vor andern. – Der Jude geht gerne, solange er kann, im Cure, und wenn er ihn ablegen muß, besonders am Sabbat, im Schlafrock. Letzterer ist bei ihm sogar ein Artikel des Luxus und der Eitelkeit. Warum? Es ist ein morgenländischer Talar. Man kann lächeln, daß ich das behaupte, und sagen: die Weichlichkeit und Nachlässigkeit des Juden zieht diese Kleidung vor. Zugegeben; — das nämliche ist der Grund, warum sich auch die Morgenländer in lange, weite Kleidungen hüllen. Gerne windet alsdann der Jude das weiße, rotgestreifte Schnupftuch über den Schlafrock um die Hüften. Es ist ein morgenländischer Gürtel zum Talar. Die Pantoffeln, die er den Schuhen vorzieht und wie den Schlafrock zum Gegenstand des Luxus macht, sind seine Sandalen. Zu beiden, nicht aber zur enggeschnittenen europäischen Kleidung, wählt er am liebsten die gelbe Farbe. Sie war und ist eine Lieblingsfarbe der Morgenländer. So setzt er sich, ohne es zu wissen und zu wollen, mitten in Deutschland aus europäischen Kleidungsstücken das Kostüm des Orients nachäffend zusammen und gefällt sich darin, und wenn alsdann am heißesten Sabbat des Jahrs noch an einem Fleck die Sonne scheint, so wird er nicht in den Schatten stehen. Denn er ist ein Orientale.
  • Es steht irgendwo in der griechischen Bibel ein Ypsilon, das mir in diesem Augenblick mehr wert ist als nicht nur der ganze Drache zu Babel, sondern auch das beste Stück in Esther, nämlich in dem Worte Es beweist nichts weniger, als daß der Gesetzgeber der Juden nie Moses, sondern immer Mauses geheißen habe und also das Mauses unserer Juden nicht vernachlässigte Pöbelsprache, sondern reine Haltung des orientalischen Wohlklangs mitten unter allen abendländischen Dissonanzen sei, wie auch das Arabische beweist. Wenn gleichwohl einige Schriftsteller, z. B. Johannes schreiben, so rührt es nur daher, daß sie das Omega der Griechen, als korrespondierend ihrem Chaulem, zum voraus als Au aussprachen. Ich werde noch alle Nomina propria im Hebräischen mit ihrer griechischen Orthographie in der Septuaginta und mit dem Neuen Testament vergleichen, um der alten genuinen Aussprache auf den Grund zu kommen, und man wird sie, wenn es mir gelingt, sie in Regeln zu bringen, mit großem Segen in den hebräischen Lektionen einführen, ja selbst im N.[euen] T.[estament] die hellenistische Aussprache wieder in Gang bringen. wird zu lesen sein: Daudeka maseite.
  • Nichts fällt dem Juden schwerer, als den deutschen Dativ und Akkusativ richtig zu unterscheiden. Er geht in der Schul und steht in die Schule, wie es ihm einfällt. Nehmt es ihm nicht übel. Schon die Septuaginta und die Schriftsteller des Neuen Testamentes verwechseln unaufhörlich und mehr als die andern — wiewohl es uns bisweilen auch nur scheint. Denn wenn der Schacher am Kreuz sagt: «Gedenke meiner, wenn du kommst », so spricht er richtig «in deiner königlichen Würde», und z. B. Luther hat unrichtig übersetzt «in dein Reich». Auch bei andern Griechen ist und bei den Römern regnum ursprünglich nicht das Königreich, sondern das königliche Amt.
  • Und weil hier des einen Schachers Erwähnung geschah, so sei auch der andere nicht vergessen. Wir erblicken nämlich auf Golgatha (es wäre zum Thema einer Karfreitagspredigt gut) dreimal das Höchste und Unerreichbare in der Wirklichkeit. Am mittlern Kreuz das Ideal der höchsten, aufopfernden Gottesergebenheit und Menschenliebe, und auf der einen Seite desselben das höchste Vertrauen dessen, was man nicht sieht. Denn es gehörte viel dazu, in diesem Augenblicke an ein Königtum eines Mitgekreuzigten zu glauben und auf ein Reich Gottes unter seinem Zepter zu warten. Aber das Ideal der tiefsten Verwerflichkeit realisiert auf der andern Seite ein dritter, der mit Nägeln in den eigenen Händen und mit dem Tod auf eigener Zunge der nämlichen Leiden eines Unschuldigen neben sich noch spotten kann und damit einen Charakterzug seiner Nation belegt. Denn betrachtet den Juden, wo ihr wollt: Spottsucht und Schadenfreude hat er mit seinesgleichen unter allen Nationen gemein; aber das hohe Talent, im neckenden Spott über fremde Leiden den Schmerz der eigenen zu kühlen, ist ihm eigen.

Ich könnte hier noch einiges anreihen, wenn es mein Interesse wäre, die blöden Seiten aufzudecken, womit sich dieses Volk zu seinem Ahnherrn bekennt, der den Bruder um Erstgeburt und Erbteil zu beschleichen und den Schwiegervater in Mesopotamia zum armen Manne auszuschälen weiß und nach seiner Heimkunft die unheilbare Feigheit des schlechten Gewissens auf ewige Zeiten dokumentiert. Achtung für eine anderweitige Heiligkeit dieses Volkes decke darüber den Mantel der Schonung. Lieber will ich sein Sachwalter sein und jetzt eine schöne und beneidenswerte Seite desselben ausheben.

  • Der Jude weicht dem Ackerbau und jedem Beruf, der anhaltend und mühsam beschäftigt, aus und nährt sich, sei es auch kümmerlich, von allerlei Handel, treibt Gaukelei, legt Rattengift oder kultiviert irgendeinen Nebenzweig einer nützlichen Kunst im kleinen, z. B. die Operation der Hühneraugen. Man sagt daher, sie seien Tagediebe, und das ist einseitig und ungerecht. Man sollte sagen: Sie sind Morgenländer.

Ich will hier die Frage nur berühren, nicht untersuchen, ob es die Meinung der Natur sein konnte, daß unter allen Lebendigen, die ihr Dasein in Ruhe genießen, der Mensch das einzige Zug- und Lasttier der Erde sein soll, die wenigen eingerechnet, die er dazu gemacht hat. Ich erinnere nur, daß es große Erdstriche gibt, wo die Natur viel gewährt und der Mensch wenig bedarf. Zwischen den Wendekreisen und noch darüber hinaus, wo das Menschengeschlecht zu Hause ist und wie ein ewig junger Blütenkranz den Erdkreis in der Mitte umwinden sollte, ohne weiterhin den Bären und Wölfen Wohnort und Nahrung streitig zu machen, dort leben glückliche Nationen, die von unserer nordischen Arbeitseligkeit keine Begriffe haben. Selbst in Europa der Türke, der Grieche, der Italiener fliehen die Arbeit. Der Spanier steht im ganzen Norden in dem Ruf, daß er träg lebe, da er doch nur klimatisch lebt, wie wir, falls wir klug wären, auch tun würden, wenn wir in einem Lande wohnten, wo der Wirt den Gästen, die noch ihre eigene Speise selber mitbringen, für das geringe Koch- und Schlafgeld den Wein, soviel sie trinken mögen, gratis eingibt, wo man die jungen Esel mit Feigen auffüttert, und wo auf den unfruchtbarsten Äckern noch ein vermaledeites Unkraut wuchert, das ihr zum Staat in Scherben zieht und im Keller überwintert, der Rosmarin und Lavendel.

Selbst in nördlichen Gegenden, wenn wir wenigstens auf das Beispiel der ältesten und meisten Völker sehen, scheint es, der Mensch soll sich durch die Not nicht zum Lasttier herabwürdigen lassen, sondern mit dem wenigen, das die Natur ihm dort geben kann, zufrieden sein oder auswandern; und wenn irgendwo Arbeit von einer Betglocke bis zur andern, falls man leben will, Bedingung ist, so sind daran nur fehlerhafte Staatsverfassungen und Staatsverwaltungen, eine daher rührende verhältnislose Verteilung dessen, was die Natur hinreichend für alle gab, und erkünstelte Bedürfnisse schuld, die die Natur zu befriedigen nicht schuldig ist; und die wunderliche Grille kann nur in den Predigten und Katechismen des kostbaren christlichen Nordens einfließen, daß auch noch in dem ewigen Leben keine Ruhe sei, vielmehr die Kräfte an höheren Gegenständen in weitern Wirkungskreisen fortgeübt werden sollen. Die Paradiese der Morgenländer haben nichts davon, und einer, der besser als wir wissen muß, wie es dort aussieht, setzt die Seligen nicht abermal z. B. an einen Weberstuhl, sondern mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische.

Gerne erleichtern wir uns und beschönigen zwar unsere Arbeitseligkeit mit der Gemeinstelle, daß die Not die wohltätige Weckerin unserer Kräfte sei und Übung durch Arbeit sie zur Vollkommenheit ausbilde. Schön gesagt, wenn’s nicht am Tag läge, was bei diesem nordischen Unfug herauskömmt. Nur wenige von uns erfahren etwas von der Bildung, der Aufklärung und dem Lebensgenusse, der allen gebührt. Die meisten übrigen leben und sterben etwas besser als das Tier, ohne Charakter, ohne Vaterlandsliebe und Mut, ohne Tugend. Auch die wenigen bringen’s nicht weit.

Wir halten uns für die gelehrteste Nation. Wir sind’s auch leider, wenigstens die schreib- und leselustigste, wenn’s damit getan wäre. Aber wo ist der reine, lebendige Sinn, der das Wahre und Schöne überall und unmittelbar aus der Natur und dem Leben saugt? wo das innige, rege Gefühl, mit welchem der wahre Mensch das Wahre und Schöne sich vereigentumt? wo die hohe, göttliche Phantasie, beides aneinander zu verherrlichen und in unsterbliche Ideale zu verschmelzen? wo die Gabe, rein und klar wiederzugeben, was man so empfangen hat, und so warm, als es im eigenen Herzen lag, in ein fremdes zu legen? Verdampft, schon frühe im Schweiß der Schulen und später am harten toten Pult und unter dem Druck der Folianten und Schatzungsmonate, die auf uns liegen. Wir sind nicht mehr imstand, den Homer oder Ossian oder ein einziges Kapitel im Jesaias, z. B. das 60., bis in sein tiefstes Leben zu verstehen und zu fühlen, noch viel weniger selber so etwas zu machen, und wenn Homer unsere Messiade lesen sollte, so möchte er über manches den Kopf schütteln, wovon ich nur zwei Präliminarschwingungen interpretieren will.

Die erste: wie ein Deutscher dazu kam, den angebornen Reim und Jambus zu verlassen und über seine scharfeckige Sprache den wellenlinigen Hexameter des Joniers zu legen, den schon der attische Dialekt selbst im Griechischen nicht mehr verträgt. Die zweite: wie er dazu kam, zum Gegenstand eines epischen Gedichtes den Messias zu wählen, ohne damit sagen zu wollen, was seinerseits ein frommer Mann und Rektor einst urteilte, daß das Leben und die Taten des Messias keiner Verschönerung durch Dichtung bedürfen, die doch nirgendswo etwas verderbt, noch weniger entheiligt. Denn ist nicht Gott selbst der erste und größte Dichter, in beiderlei Sinn des Worts? Die ganze Idee des Weltalls mit allen seinen Teilen und Entwickelungen war in Gott, ehe sie realisiert wurde, ein großes harmoniereiches Gedicht, herausgegeben Anno Mundi I. und bis jetzt noch nicht nachgedruckt, nicht einmal in Reutlingen. Was aber den Jesaias betrifft, so behaupte ich nur so viel, daß, wer ihn vom 40sten Kapitel an lesen kann und nie die Anwandlung des Wunsches fühlte, ein Jude zu sein, sei es auch mit der Einquartierung alles europäischen Ungeziefers, ein Betteljude, der versteht ihn nicht, und solange der Mond noch an einen Israeliten scheint, der diese Kapitel liest, so lange stirbt auch der Glaube an den Messias nicht aus.

Ich kehre von dieser nordischen Abschweifung zu den Ländern zurück, in welchen Milch und Honig fleußt. In einem solchen war einst Abraham im Hirtenzelt unter den Terebinthen des Mamre des stillen Lebens froh; in einem solchen lebte einst der heiligste seiner Nachkommen, und es mag in einem Festprogramm zu seiner Zeit sehr gelehrt untersucht worden sein, ‚unde Christus vitae alimenta, sumpserit?‘ Aber schon die Frage war seltsam und verrät den 50sten Grad n. Br. In einem solchen Lande konnte der Aufruf geschehen: «Sorget nicht für den andern Morgen!» und ist noch bis nach Italien verständlich, wo ein Lazzaroni, der einem Fremden zwei Kisten für acht Soldi wegtragen sollte, eine für vier Soldi wegtrug und die andere stehen ließ, weil das Bedürfnis des heutigen Tages damit gedeckt ward und er für eine andere Kiste des folgenden Tages schon sicher sein konnte. Aus einem solchen Lande kamen die Juden nach Europa, und was wollen wir dazu sagen, daß sie der Weihe ihrer Heimat so getreu blieben und mehr Charakter und Kraft haben als wir? Wollen wir sie verdammen? Das sei ferne. Sie konnten aus ihrer Heimat vertrieben werden, das war Gottes Gewalt. Aber ihre Heimat und die Würde und Freiheit des Volks Gottes an einem Sägbock oder hinter einem Schubkarren verleugnen, das können sie nicht. Sie können hungern, sie können verschmachten, wenn’s sein soll, aber ihr edles Blut, einst in den Adern der Väter an einer bessern Sonne gebraut, in knechtischer Arbeit verdampfen, das können Abrahams Kinder nicht und sind und bleiben zu dem Ausspruch: «Sorget nicht für den andern Morgen» die lebendige Exegese. Nicht weil der es sagte, der es sagte, sondern weil sie dort daheim sind, wo er’s sagte. Sie säen nicht und ernten nicht, sammeln nicht in die Scheuren, und ihr himmlischer Vater nähret sie doch, selbst in Deutschland, was viel heißt. Sie nähen nicht und spinnen nicht, und er kleidet sie doch und sorgt noch für das Schutzgeld. Unsere Exegese, die gerne jeden Spruch, ehe sie ihn erklärt, unter das Zenit schraubt, unter dem sie selbst steht, und nicht so fast aus dem Griechischen ins Deutsche als vielmehr aus dem 32sten Grad in den 50sten übersetzt, erklärt es so: «Ihr sollt nicht ängstlich sorgen!» Und hie und da ein Kompendium der christlichen Moral oder eine dergleichen Predigt bekennt sich stillschweigend zu einem Grundsatz, den ich zum erstenmal laut und keck aussprechen will, der so heißt: «Wenn du eine Pflicht nicht erkennen kannst, wie sie zu verstehen ist, so verstehe sie, wie du sie erfüllen kannst», oder: «Wenn ein Gesetz sich zu deutlich ausspricht und du zu ungeschickt bist, die Klarheit seines Sinnes zu verwirren, so stelle dir vor, der Meister habe es nur zu seinen Jüngern gesagt (und du seist keiner, scilicet). Wenn er aber seinen Jüngern für Pflichten, die du nicht übst, und für eine Treue, die du nicht kennst, die Seligkeit seines Reiches verheißt, so stelle dir vor, du seiest einer, und freue dich einstweilen darauf (setze ich hinzu), bis sie kommt, so wird deine Freude, wie die Freude der Gerechten im Himmel, ebenfalls ohne Ende sein.»

Zum Anhang dieser Nummer und Eintrag ins Ganze gehört übrigens noch die Bemerkung, daß der Jude ein einziges Metier der Europäer con amore treibt, das Fleischerhandwerk. Weil er koscher essen müsse, meint man. Allein da ließe sich helfen und läßt sich, wo er nicht schlachten kann. Nein, sondern bis ihm sein Gott wieder einen Altar und einen Tempel baut, treibt er die freie Kunst des Schlachtens, die ihm von dorther angestammt ist, an der Fleischbank fort. Blut muß fließen, am Altar oder in der Metzig!

  • Endlich, und damit ich das halbe Dutzend ausfülle, sei noch bemerkt, daß der Jude von keinem europäischen Laster so frei ist als von der Trunkenheit.

Man hält’s für Sparsamkeit. Aber doch nascht er gern etwas Gutes, wenn er’s haben kann, sei es auch teuer. Wahrscheinlicher könnte man sagen, der europäische Wein sei ihm zu schlecht. Ehe er sein heißes Blut im 1774er Krenzacher kühlt, geht er an die Quelle, die ihm den Dienst wohlfeil und ganz leistet. Aber ich will’s aus dem Fundament erklären. Es ist national. In der großen Musterkarte jüdischer Laster, die uns die Bibel aufbewahrt, nimmt Trunkenheit noch immer das kleinste Feld ein. Saufen ist nur im Norden endemisch. Branntwein sauft der Nordmensch. Wir pokulieren Wein. Wein mit Wasser trank der Grieche. Palmenwein genießt der Südländer, und der Araber läßt sich’s von seinem Propheten ganz verbieten. Hätte der unsrige es uns verboten, so würden es pokallustige Exegeten und Leser so ausdeuten: Ihr sollt nicht ängstlich trinken.

Soll ich fortfahren? Nein, ich will deine Geduld, o Zenoides, und die Geduld und Session der Theologischen Gesellschaft nicht auseinandersprengen. Grüße mir den Thumringer Juden und, wenn er noch lebt, den Scheitele in Lörrach und den Nausel!