Warum in Deutschland kein Game of Thrones entstehen kann

Alberto Moravia beschreibt im Hinblick auf Russland die Unfruchtbarkeit des Leidens: „Man vergißt freilich gern, daß Dostojewskij, Kierkegaard und die anderen zu einer Zeit über das Leiden schrieben, da es verhältnismäßig wenig Leiden gab . . . Ein gewisses Maß an Leiden inspiriert; allzuviel davon aber ruft eine Art vergifteter Benommenheit hervor, die nicht nur alles andere als inspirierend wirkt, sondern geradezu jede natürliche Reaktion auf die verschiedenartigsten Ereignisse verhindert . . .
soviel ich weiß, hat noch nie jemand auf das Motiv des Leidens hingewiesen oder vielmehr auf die Apathie, die das Leiden im Übermaß hervorruft. «Wir haben Dutzende von Stalin-Preisen verteilt, aber wir besitzen keinen einzigen wirklichen Roman», hat Malenkow einmal, noch zu Lebzeiten Stalins, in aller Öffentlichkeit erklärt. Diese Unfruchtbarkeit der Sowjetliteratur ist die Unfruchtbarkeit jenes großen Leidens, das für die kleineren und kleinen Leiden unempfindlich macht, wie sie das menschliche Leben und damit auch die Dichtung durchziehen. Denken wir wieder an Dostojewskij, der in Schuld und Sühne das Leiden und Elend seines Helden und so vieler anderer Gestalten schildert. Es scheint fraglich, ob er heute, nach der Million Verhungerter und Erfrorener von Leningrad, seinen Roman noch geschrieben hätte. Die Leiden Raskolnikows, Sonjas, der Familie Marmeladow wären ihm geringfügig erschienen, verglichen mit dem soviel schaurigeren Leiden einer ganzen von den Hitler-Armeen belagerten Stadt.“

Zweifellos hatte Russland im II. Weltkrieg mehr gelitten als Deutschland, ist daher gelähmter in dem von Moravia beschriebenen Sinn. Aber Deutschland ist nicht ohne innere Schrammen davon gekommen. Dem Volk fehlt nach wie vor die Unbekümmertheit hinsichtlich saftig-gewaltsamer Themen, die den Kern von Game of Thrones zum Glühen bringen. Nicht wenig der darin ausgekosteten Gewalt haben die Großeltern der heutigen Deutschen leibhaftig erlebt, und die Abneigung gegen den Kitzel lebt, wenn auch verblassend, in den folgenden Generationen weiter.