Gestern hörte ich erstmals von der Möglichkeit des Selbstmordes als „snobistischer Geste“ in Form des Harakiri. Bei einem Selbstmörder in Deutschland oder Europa oder selbst im Nahen Osten denkt man, denke ich immer an etwas Funktionales. Der Selbstmord wird begangen, um dadurch in den Genuss von etwas zu bekommen. Er ist ein Geste gegenüber seinen Mitmenschen. Sie werden dadurch gezwungen, einen anzuerkennen, wie sie es sonst nicht tun würden. Auch ein Mensch, über den man sonst ein Leben lang hinweg sieht, gewinnt durch Selbstmord eine finstere Würde. Es wird unmöglich, ihn lächerlich zu finden.
Ich verspüre nicht das Bedürfnis, mich umzubringen, da die Dosen Anerkennung, die ich in meinem Leben erfahre, ausreichen, um dasselbe sinnvoll erscheinen zu lassen. Aber wenn mich auf einmal wie in einer „Geschichten aus der Schattenwelt“-Episode niemand mehr beachten würde? Würde ich dann versuchen, mich umzubringen? Kaum, wenn ich das Gefühl hätte, dadurch keine Spuren zu hinterlassen.
Inwiefern unterscheidet sich Harakiri von Selbstmord? Harakiri wird nicht nicht begangen, spekuliere ich, um Anerkennung zu erringen, sondern indem Anerkennung droht, verloren zu gehen. Die Harakiris, von denen ich etwas mitbekam, wirkten auf mich nicht wie die Taten eines verzweifelten, sondern eines stolzen Menschen oder, besser, von jemand, der seine Ehre verloren hat. Ist Ehre nicht ein anderes Wort für Anerkennung? Jemand mit Ehre weiß sich geachtet – betrachtet. Genießt dadurch einen gewissen Status. Diesen kann er verlieren, danach nur wiederherstellen durch Selbstmord. Er kann aber nicht – durch Selbstmord – erstmals in den Besitz einer Anerkennung gelangen, die er vorher nie hatte.
Zur Anerkennung gelangen kann man in einer Harakiri-Gesellschaft – nur durch Tüchtigkeit?
Ich bin mir nicht sicher. Es könnte auch und mehr noch mit Glück zu tun haben, mit etwas, das einem zukommt, bestenfalls gehegt werden kann. Und dass einen wieder verlassen kann. Ist der davon Betroffene dann schuld und muss deswegen sein Leben geben? Soviel Macht scheint die Harakiri-Gesellschaft gar nicht bei dem einzelnen zu wähnen: dass er durch eine spontane Geste wie den Selbstmord etwas erringen könnte. Vielmehr kann er dadurch eine Aufgehobenheit bewahren, die ihm immer schon zukam.