DIE PUSZTA Kapitel 9 – Pusztabewohner unter sich. Ihr Umgangssprache. Streitigkeiten. Geschenke. Gelegentliche Vergnügungen

Zitat 1: Die Mütter überhäuften ihre Kinder mit Liebkosungen, um sie dann plötzlich ohne jeden Übergang mit dem ersten besten Gegenstand, der ihnen in die Hände kam, zu schlagen, daß man meinte, das Kind müsse an Ort und Stelle liegen bleiben. Dann aber nahm die Frau das Kind heulend in die Arme, lief verzweifelt umher und, wenn es nötig war, auch zum Arzt im nächsten Dorf. Die Kinder kannten die schnelle Hand der Eltern, und bei der ersten wahrnehmbaren Handbewegung suchten sie, so schnell sie nur konnten, das Weite. Der aufgestachelte Zorn aber forderte Befriedigung, genau wie die Liebe. Für die Pusztabewohner war es deshalb ein alltägliches erheiterndes Bild, eine Mutter mit haßverzerrtem Gesicht und trojanische Flüche ausstoßend ihren flink flüchtenden Sprößling verfolgen zu sehen, der nach Hektors Vorbild zurückblickend den Flüchen in keiner Weise etwas schuldig blieb. Die mit ihrer eigenen Brut sonst nicht nachsichtigeren Nachbarn nahmen bei solcher Gelegenheit stets die Partei der Verfolgten. »Beruhige dich, Rozi, laß das Kind!« hielten sie die wild Schnaufende zurück, die ihre Fäuste schüttelnd dem Entsprungenen nachrief: »Wart nur, der Hunger bringt dich schon zurück!« Die Prophezeiung stimmte meist, doch bis es zurückkam, war auch die Wut und damit die Gefahr verflogen. Mit ruhiger Überlegung und aus rein »pädagogiscnen Gründen« schlug keine Mutter ihr Kind. Im Gegenteil, sie verteidigten es blind und unter allen Umständen.
Die Männer schlugen ihre Frauen, denen der Anstand verbot, sich zu wehren, gewöhnlich mit einem Lederriemen; später, nach dem Beispiel eines aus dem Somogyer Komitat zu uns gezogenen Kutschers und gewissermaßen aus Mode, mit dem Stiefelrohr. Es tat weh, klatschte tüchtig und brach keine Knochen.
Die männlichen Mitglieder des Gesindes schlugen sich nur, wenn sie unter sich waren, aber niemals vor den Augen der Herren.
Die Ursachen dieser Schlägereien waren meist Nichtigkeiten, wie es eben bei Menschen mit überspannten Nerven der Fall ist. Die von oben herunterprasselnden Beleidigungen, gegen die sie sich mit keinem Wort, nicht einmal mit einem Blick wehren konnten, ließen die Luft wie mit Leuchtgas geladen sein, und es genügte ein Funke, um die sofortige Explosion herbeizuführen. Während manchmal die unerhörtesten Beleidigungen lächelnd eingesteckt wurden, genügte ein andermal eine harmlose Anspielung, daß eine Ohrfeige den Hut weit wegfliegen ließ, daß Messer blitzten und zittrige Greise in die Remisen rannten, um mit einem Jocheisen in der Hand wiederzukommen. Die Schlägerei griff um sich wie ein Strohfeuer, und vielleicht hörte sie darum auch ebenso schnell wieder auf. Bei den Schweineställen »spuckte ein Schweinehirt den roten Saft aus«, im nächsten Augenblick entspann sich ein Kampf in den Ochsenstallungen, wildes Frauengeschrei ertönte aus den Wohnungen, und ein paar Kutscher, die bis dahin auf dem Feld friedlich nebeneinander gingen, versetzten sich schnell einige Schläge. Wenn aber die Inspektoren auf den Lärm hin herbeieilten, fanden sie alles wieder in Ordnung bis auf die am Boden liegenden Verletzten, bei denen niemals festgestellt werden konnte, wer eigentlich der Urheber ihrer blutigen Wunden war. Die Solidarität war, stärker als je, wieder hergestellt.
Die Raufereien der Frauen wurden von den Männern nicht ernst genommen, sondern nur belächelt. Selten mischte sich ein Mann ein, und wenn, dann nur aus disziplinarischen Gründen handgreiflich oder mit Worten, wie die Situation es eben gebot. Schutz gewährten sie ihnen jedoch nie.
Die Frauen dagegen verteidigten ihre Männer wie Löwinnen und warfen sich mutig ins Getümmel. Schlagen durften sie nicht, statt dessen fingen sie mit ihren Körpern die ihren Männern zugedachten Schläge auf. Wenn ein Mädchen dies tat, so war es ein offenes Eingeständnis, daß es mit dem Kämpfenden ein Verhältnis hatte.
Beim Blitzen der Messerklingen klärten sich manchmal die kompliziertesten Probleme. Die junge Frau des Karikas wurde von einem Ochsentreiber von der benachbarten Puszta verführt, der sie auch heiraten wollte. Der Ehegatte willigte ein und bewirtete den Verführer sogar, als er kam, um die Frau abzuholen. Sie aßen zu dritt und tranken zum Abschied von dem Wein, den der Gast spendierte. Die Frau war schon reisefertig, als die zwei Männer, vielleicht gar nicht ihretwegen, ins Handgemenge gerieten. Die bäuerliche Helena kam mit wilder Entschlossenheit ihrem Gatten zu Hilfe, sie hielt unter den Schlägen aus und hing sich an die Arme ihres Liebhabers, so daß es dem Ehemann gelang, den Rivalen tüchtig zu verprügeln. Der halb bewußtlose Liebhaber wurde dann mit vereinten Kräften hinausgeworfen. »Da wurde mir klar, wen ich wirklich liebe«, gestand die junge Frau später ihren Freundinnen.

Zitat 2: Das Gesinde beschenkte seine Herren mit der gleichen Freigebigkeit und Freude wie dies die Armen überall tun. Vor ihresgleichen hüteten und verteidigten sie eifersüchtig Gegenstände, die für den eigenen Bedarf eigentlich unbrauchbar waren. Ihren Vorgesetzten dagegen schenkten sie freudig die teuersten Familienreliquien. Jahrelang bettelte ich beim Bruder meines Großvaters um ein wunderbares selbstgeschnitztes, mit Bleiverzierungen eingelegtes Kistchen, das meine Mineraliensammlung aufnehmen sollte. Er gab es nicht her. Dem Güterdirektor schenkte er es bei dessen erster Anspielung. Er säuberte es, brachte es in Ordnung und trug es selber ins Schloß. Mit Tränen in den Augen kam er zurück, denn es hatte ihn gekränkt, daß der Güterdirektor darauf drängte, sich mit einer Gegenleistung zu revanchieren, und eine solche kam für den Onkel natürlich nicht in Frage. Er schenkte einfach, wie jeder Dienstbote und wie jeder Arme dem Reichen, weil es ihm Freude bereitete. Eine eventuelle zukünftige Gegenleistung, etwa eine Festigung seiner Stellung oder sonstige Vorteile, kamen nicht in Frage, denn der Güterdirektor lebte nicht auf der Puszta, sondern befand sich auf der Durchreise. Die Armen schenkten uneigennützig und taten es um so freudiger, je höher die Stellung des Beschenkten war. Beim Schlachtfest wanderten die feinsten Bissen ins Schloß, und der Geber verschwand verschämt, um dem Dank auszuweichen. War es vielleicht ein seelisches Bedürfnis, ein den Göttern dargebrachtes Opfer? Oder war es die geheime Auflehnung des Selbstbewußtseins gegen das Schicksal? Wollten sie durch ihre Handlung unter Beweis stellen, daß sie ebenso gut waren wie die Herren? Ein Schweinehirt verfertigte in dreijähriger Bastelarbeit aus weißem und schwarzem Roßhaar eine kunstvolle Uhrkette, um sie dem König zum Geschenk anzubieten. Bis es soweit war und das Begleitschreiben geschrieben, beliefen sich seine Kosten auf fünf Gulden.
Sie bereiteten sich aber auch untereinander, allerdings unbewußt, Freuden. Das Schöne und Menschliche, vereinzelt sogar Rührende der gegenseitigen Beziehungen äußerte sich fast ausnahmslos unter dem Zwang alter, überlieferter Gebräuche. Von woher stammten diese Überlieferungen? Aus den Bruchstücken konnte man auf ein versunkenes, glückliches, paradiesisches Zeitalter schließen, in dem die Menschen in liebevoller Gemeinschaft zusammen lebten. Die mit Tüchern zugedeckten Gabenteller wanderten nicht nur nach dem Schweineschlachten hin und her. Es geziemte sich auch, Frauen im Wochenbett Gaben zu senden. Selbst verfeindete Familien beschenkten sich bei solcher Gelegenheit.