DIE PUSZTA Kapitel 3 – Die Welt der Puszta. Das Verhältnis des Gesindes zum Privateigentum. Die zusammenhaltenden Kräfte. Zwei aufstrebende Familien

Zitat 1: In gewissem Sinne, wenn auch in einer andern Art, glich meine Großmutter mütterlicherseits der anderen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß in beiden Linien meiner Familie die starken Hände zweier Frauen regierten. Denn in dieser gedrängten atavistischen Welt, die noch das warme Zusammengehörigkeitsgefühl der Sippen in sich trägt, herrscht zu Hause am Herd noch die Frau — die Mutter. Sie regierte nicht durch Unterdrückung der Männer, die wochenlang in der Gegend herumstreiften und selbst im Winter nicht zu Hause schliefen — in diesem dunklen Loch, wo in jeder Ecke einer lag —, sondern in den Stallungen übernachteten, um die Tiere selbst in der Nacht im Auge zu behalten.
Die täglichen Sorgen und Klagen, das Geschrei, die Geburten und die fast ebenso häufigen Todesfälle bei den Kindern hielten sie vielleicht auch vom häuslichem Herd fern. Außerdem betrachteten sie mehr oder weniger alles, was sich im Haus selbst abspielte, als Frauenarbeit. Die Frauen übernahmen die Arbeit mit ungestümer Entschlossenheit. Im Vergleich zu den Frauen lebte der Mann das Leben eines freien Vogels. Von der Frau hing hier alles ab. Gedieh die Familie, so war es ein Zeichen ihrer Stärke; kam sie herunter, ein Versagen der Frau.
Meine Großmutter mütterlicherseits war ein Genie.
Da ich über den Sinn des Wortes im klaren bin, kann ich diese Behauptung auch verantworten. Die Mutter meines Vaters baute gegen die Fährnisse des Lebens Schutzwälle aus Guldenstücken und war bereit, für einen Groschen ihre eigene und die Gesundheit der Nächststehenden aufs Spiel zu setzen, während die Großmutter mütterlicherseits allein auf die Überlegenheit der geistigen Waffen vertraute. Sie war gebildet und verfügte über erstaunliche Kenntnisse. Ihre Belesenheit war einzigartig, nicht nur auf der Puszta, sondern im ganzen Bezirk, ja vielleicht auch im ganzen Komitat. Sie diente von ihrem neunten Lebensjahre ab als Dienstmädchen bei Metzgern, Wirten, Beamten und jüdischen Händlern, die letzten vier Jahre als Kammerzofe einer Brauereidirektorsgattin. Hier lernte sie, daß es auch ein anderes Leben gibt, als das draußen auf dem Lande. Und hier verliebte sie sich sofort sterblich für das ganze Leben in meinen Großvater, in sein höfliches Wesen, sein gutes Aussehen und, wie ich persönlich glaube — in seine kindliche Unbeholfenheit. Großvater hatte man eben vom Militärdienst entlassen, und er blieb, statt nach Hause in das Heimatdorf zu gehen, in der Stadt, um in der Brauerei, bei deren Direktor Großmutter diente, zu arbeiten. Mein Großvater war Wagner von Beruf.
Ihre Ehe wurde durch die treue Freundschaft meines Großvaters zu einem Schmiedegesellen ermöglicht, der ihm zur Gründung des Hausstandes leihweise zehn Gulden und ein Bett zur Verfügung stellte. Dieser Schmied heiratete, gewissermaßen aus Freundschaft und Anhänglichkeit an meinen Großvater, am gleichen Tag, und selbst die Kinder aus den beiden Ehen kamen fast zur gleichen Zeit zur Welt. Der Unterschied war nur, daß der Schmied nach Hause in eine Stellung heiratete, denn er nahm die Tochter des Racegreser Schmiedemeisters zur Frau. Nach zwei Monaten trafen auch die Großeltern auf der Puszta ein. Der alte Wagner wurde nämlich durch Einmischung des Schicksals vom Blitz getroffen und aus dem Weg geräumt. Großvater nahm sodann die freigewordene Stellung ein.

Zitat 2: Typhus überfiel die Familie, Großvater, Großmutter und sämtliche Kinder lagen darnieder. Endlich erschien der Arzt aus dem nächsten Dorf, nicht der neue mit den Pillen, sondern der berühmte Alte, auf dessen Heilmethoden das ganze Komitat schwor. Der Alte, der bei jeder Krankheit Wein verordnete, bei Husten einen Szekszarder Rotwein, bei Magenstörungen einen leichten Weißwein, bei Herzkrankheiten Schillerwein, und bei Geschlechtskrankheiten Wein mit Wasser gemischt in großen Mengen. Bemerkenswert ist, daß er gute Heilresultate erzielte und daß die Sterblichkeitsziffer seiner Kranken niedriger war als bei den anderen Ärzten. Bei Bauchtyphus verordnete er pro Kopf drei Seidel von dem schweren Szekszarder Rotwein, von dem der halbe Liter schon einige Kreuzer kostete, kurzum unbezahlbar war. Glücklicherweise lagen von dem Wein mehrere Fässer im Herrschaftskeller. Abends, nachdem der Arzt mit wankenden Schritten das Haus verlassen hatte und die Familie sich den Kopf zerbrach, wie die teure Medizin zu verschaffen wäre, klopfte der Beschließer an und verschwand wortlos mit dem Wassereimer. Und — meine Großmutter erzählt es heute noch mit Tränen in den Augen — treu und brav erschien er drei Wochen lang jeden Abend, den Eimer gefüllt mit dem allein Heilung bringenden Wein.
Die Schweineseuche, wogegen es kein so gutes Mittel gab, brach aus, und die zwei Ferkel der Familie gehörten auch zu den Opfern. Man war eben dabei, die zwei Schweinchen zu verscharren, als der Schweinehirt erschien, um eins von den toten Tieren im Schutz der Dunkelheit zu den herrschaftlichen Ställen hinzutragen. Am nächsten Tag quiekte wieder frisch und gesund ein Schweinchen im verlassenen Stall. Die Göttin der Gerechtigkeit aber war unerbittlich und vernichtete auch das Tauschferkelchen. Der Schweinehirt, erbost über diese Einmischung, nahm einen neuerlichen Tausch vom Toten zum Lebendigen vor. Der Kampf wurde drei bis vier Runden weitergeführt, bis die Göttin kapitulierte. In der Herde der Herrschaft verblieben noch vierhundert Schweine.