CLAUDIO: Ich hoff‘ zu leben – und bin gefasst doch auf den Tod.

HERZOG.
Unbedingt auf den Tod! Er selber wie das Leben werden
Dadurch süßer. Widersprich dem Leben – so:
Verlier‘ ich dich, dann gebe ich nur hin, woran ein 
Dummkopf hinge. Ein Hauch bist du,
Abhängig vom Wechsel in der Luft,
Der jede Stelle, auf der du’s gerade aushältst,
Pausenlos bedroht. Ein Spielball bist du nur des Todes,
Denn auf der Flucht vor ihm, rennst du 
Direkt in seine Arme. Du machst nichts her;
Denn alles Angenehme, das dich freut,
Entwuchs dem Sumpf. Du bist nicht tapfer;
Denn Du fürchtest selbst ein Mäuslein
Oder Schlangen: – dein bestes Ruh’n besteht im Schlaf,
Den rufst du oft, und zitterst trotzdem vor dem Tod,
Der doch nichts andres ist. Du bist nichts Ganzes;
Denn du bestehst aus Tausenden von Körnern,
Dem Staub entsprossen. Nie bist du glücklich:
Was du nicht hast, dem jagst du ewig hinterher,
Vergessend, was du hast. Du bist nicht stetig,
Denn dein Befinden wechselt seltsam launisch
Mit dem Mond. Reich, bist du dennoch arm;
Dem Esel gleich, der unter Gold sich krümmt,
Trägst du den schweren Schatz nur kurz,
Und Tod entlastet dich. Freunde hast du keine;
Denn selbst dein Kind, das Vater dich begrüßt,
Die Wirkung deiner eignen innern Kraft,
Flucht deiner Gicht, dem Aussatz und der Lähmung,
Daß sie nicht schneller mit dir enden.
Bist weder jung noch alt, sondern das Traumbild nur
Eines Verdauungsschlafs von beidem; 
Denn bist du jung, willst du nur immer älter
Und des Reichtums inne werden des welken
Alters: und bist du endlich alt und reich,
Hast du nicht Glut noch Triebe, Mark noch Schönheit,
Der Güter froh zu sein. Was bleibt nun noch,
Das man ein Leben nennt? Und dennoch birgt
Dies Leben tausend Tode; dennoch scheu’n wir
Den Tod, der all die Widersprüche löste.

Shakespeare MASS FÜR MASS