Seelische Vorgänge

Die tiefsinnigste Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Seelischen hab‘ ich bis heute bei Ludwig Wittgenstein gelesen – in seinen Philosophischen Untersuchungen, Abschnitt 332 (wie alles Tiefsinnige nicht gleich zu verstehen, aber ich schiebe Deutungen nach):

„,Denken‘ nennen wir wohl manchmal, den Satz mit einem seelischen Vorgang begleiten, aber ‚Gedanke‘ nennen wir nicht jene Begleitung. – Sprich einen Satz und denke ihn; sprich ihn mit Verständnis! – Und nun sprich ihn nicht, und tu nur das, womit du ihn beim verständnisvollen Sprechen begleitet hast.“

Um zu verstehen, worauf Wittgenstein hier hinaus will, müssen wir denken durch andere Worte ersetzen mit ähnlicher Grammatik, z. B. genießen oder zögern. Ich benutze zögern, und formuliere den Abschnitt 332 damit neu:

„Wenn wir zögern, wird dies manchmal von Dingen begleitet, die uns dabei durch den Kopf gehen. Nur machen diese Dinge unser Tun nicht zum Zögern. – Tue etwas. Nun zögere. Zögere es hinaus! – Und jetzt sehe von allem ab, zögere nur.“

Man kann nicht nur zögern, sondern das Zögern besteht im Grad, im welchem eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt wird.

Ebenso kann man nicht, insinuiert Wittgenstein, nur denken, sondern das Denken besteht in der Innigkeit – Sorgfalt oder Betonung – mit der etwas getan wird, das auch gedankenlos getan werden könnte. Das Denken verfügt mit anderen Worten über keine Inhalte, ist, für sich betrachtet, „nichts“.

Genießen:

„Wenn wir genießen, gehen uns dabei Dingen durch den Kopf, aber diese machen, was uns beschäftigt, nicht zum genießen. – Befasse dich mit etwas. Nun genieße es. – Und jetzt tue gar nichts, sondern fröne nur.“

Träumen:

„Wenn wir träumen, gehen uns dabei Bilder durch den Kopf, aber die machen, was uns einnimmt, nicht zum Träumen. – Widme dich einer Sache. Nun träume sie. – Und jetzt sehen von allem ab, träume nur.“

Das Seelenleben entspringt, wie Wittgenstein durch feinste Untersuchungen unserer Normalsprache nachweist, keiner inneren Quelle oder dem Verkehr unsichtbarer Gegenstände namens Vorstellung, Gedanke, Meinung oder Absicht, sondern besteht und vertieft sich in der Maserung oder Temperatur unseres zwischenmenschlichen Alltags sowie des objektiven Laufes der Dinge.