Die Entstehung des wissenschaftlichen Denkens in Europa

Die Einheit der Kirche und der kulturelle Kompromiss, den sie darstellte, waren dem Untergang geweiht. Das Christentum und die klassische Kultur präsentierten zwei grundverschiedene Weltanschauungen, die durch historischen Zufall aufeinander trafen und durch eine Wendung des Schicksals in die Hände von fremden Barbaren übergingen. Europa sah sich plötzlich mit einem Potenzial konfrontiert, das sich in drei verschiedenen Strömungen manifestierte:

  • Frömmigkeit, die eine Wiederherstellung des ursprünglichen Christentums anstrebte
  • Renaissance, die die antiken Klassiker wiederbelebte
  • Barbarei, die in der Romantik und im Nationalismus ihre völkischen Wurzeln neu entdeckte

Jede dieser Erweckungen brachte die Notwendigkeit mit sich, ein neues, kohärentes Weltbild zu entwickeln, was immer wieder Herausforderungen an das bestehende Denken stellte.

Wäre Europa so unterentwickelt geblieben wie der Rest des eurasischen Kontinents, hätte es wahrscheinlich keine bedeutenden Erneuerungen gegeben. Die Zivilisation Südostasiens beispielsweise verband den Buddhismus als Religion mit der ihr fremden Hochkultur des Hinduismus, und beide grenzten sich deutlich vom als barbarisch empfundenen Volkstum ihres thailändischen, kambodschanischen oder burmesischen Erbes ab. Eine Rückkehr zu den Ursprüngen fand ebenso wenig statt wie eine Synthese der verschiedenen Einflüsse. Südostasien blieb bis in die Neuzeit von einer Mönchs-, Krieger- und Bauerngesellschaft geprägt, ohne dass – wie in Europa – ein Bürgertum aufstieg, das eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des eigenen Glaubens und der eigenen Kultur vorantrieb.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Europas zeigt, wie sich seine vielfältige Kultur veränderte. Klassik, Religion und Volkstum, die sich dabei auswirkten, waren bedeutsam, aber viel wichtiger noch ihre Verschränkung. Die Kombination von Widersprüchen führte schließlich dazu, dass die Menschen in Europa begannen, auf neue Weise zu denken – das war der Beginn des modernen wissenschaftlichen Vormarschs.

Das klassische Denken der Hochkultur war von festen Begriffen geprägt und folgte strengen deduktiven (logisch schlussfolgernden) Regeln. Die Klassiker glaubten, dass es im Universum philosophische Gesetzmäßigkeiten gibt, die durch reines Nachdenken erkannt werden können. Empirische (durch primitive Beobachtung gewonnene) Befunde wurden als weniger wichtig erachtet, da man Theorien über die Welt für überlegen hielt. Selbst wenn etwas Unerwartetes am Himmel geschah, hielten die chinesischen Astronomen an der Theorie fest, auch wenn die Beobachtungen nicht dazu passten.

Im Gegensatz dazu verfolgten die Christen, vor allem nach der Reformation durch die Calvinisten und andere protestantische Gruppen, einen induktiven (von Beobachtungen ausgehenden) Ansatz. Sie glaubten, dass das Universum von einem persönlichen, allmächtigen Gott gelenkt wird, der tun und lassen kann, was er will, und dass es daher keine festen Gesetzmäßigkeiten gibt. Gott konnte jederzeit für Überraschungen sorgen.

Aus der Verbindung mit der klassischen Philosophie entstand ein neuer Gedanke: Wenn es Regelmäßigkeiten gibt, die das Universum ordnen, dann müssen wir sie als Ausdruck des Willens Gottes verstehen. Dieser lässt sich in alltäglichen Handlungen erkennen und kann manchmal zu überraschenden neuen Erkenntnissen führen. In der Regel lässt Gott das Universum gesetzmäßig funktionieren, ohne direkt in das alltägliche Leben einzugreifen. Dies gilt auch dann, wenn Gläubige versuchen, ihn durch Gebete oder Opfer zu beeinflussen.