Wenn Religion die Begegnung mit dem Übernatürlichen ist, dann kann es keine mit dem Christentum aufnehmen.
Denn diese Begegnung muss traumatisch sein, und sie ist es auch für Moses oder Mohammed, die anschließend Texte aushauchten, welche zum Hauptinhalt der von ihnen gegründeten Religionen werden. Aber Texte stehen immer für etwas Abwesendes, das sie repräsentieren, sie schaffen Distanz zum Übernatürlichen.
Das Christentum hingegen macht das Übernatürliche im Subjekt aus, der Christ begegnet Gott im Mitmenschen – und zwar dort, wo dieser ihn traumatisiert. „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“, sagt Jesus dazu in der Bergpredigt. Die Idee ist, dass jemand feindlich uns gerade dank seiner Übernatürlichkeit anmutet. Ebenso wir dem anderen.
Spirituelle Unmittelbarkeit ist somit nur mit einem Feind möglich:
So ein’ge Lieb‘ aus großem Haß entbrannt!
Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.
Oh, Wunderwerk! ich fühle mich getrieben,
Den ärgsten Feind aufs zärtlichste zu lieben.
ROMEO UND JULIA I/5
Wer’s fassen kann, der fasse es.