Komödie

In ihrem Buch The Odd One In (MIT Press 2008 – Der Geist der Komödie: morale provisoire #4 Berlin 2014) stellt die Philosophin Alenka Zupančičs eine originelle Komödien–Theorie vor, die ich im folgenden, so wie ich sie verstanden habe, zusammenfasse.

Ihr Leitgedanke scheint mir zu sein, dass der Phallus und seine Parodien in Tragödie und Komödie die Universalie inkarnieren, indem sie deren Wirkmacht auf die Umgebung ausübt.

Echte Komödie verkörpert die Ursache des Seins

Die Philosophin unterscheidet zwischen spöttischen und echten Komödien. Die einen sind melodramatisch, die anderen tragisch.

Spott ist ganz der Normalität verpflichtet, will nichts weiter. Das Melodrama handelt von den Möglichkeiten des Alltags oder gesundem Menschenverstand. Jeden Versuch, darüber hinauszugelangen, tadelt die spöttische Komödie. Sie macht ihre Zuschauer stolzer.

Der Echtheit ist dagegen nach Exotik: als Tragödie, indem sie versucht, den Alltag zu überwinden – als Komödie, indem sie seinen Widersinn vor Augen führt. Sie macht den Zuschauer freier.

Im Epos sind die Götter, in der Tragödie das Begehren entsetzlich. In der echten Komödie ist’s der Held, macht ein Loch ins Diesseits und seine Vergeblichkeit.

Symptome

Echte Komödie krempelt um, was uns stolz macht, entweder mutwillig oder aus Versehen. Die mutwillige Zweckentfremdung geschieht durch Verbohrtheit, unmittelbar im Fimmel oder „theoretisch“ als Überschätzung des anderen.

Fimmel

Der komische Held vollendet sich selbstherrlich in seinem Ding, opfert ihm Sinn und gesunden Menschenverstand (Harpagon opfert alles seinem Schatz).

Überschätzung

Der komische Held wähnt sich wider besseres Wissen vollendet im Fimmel eines (ihm möglichst unähnlichen) anderen, dem er hemmungslos Vorschub leistet, fremden Worten mehr als Augen oder Verstand trauend. Die komische Lust entspringt hier der Sabotage des besseren Wissens durch unverdiente Anerkennung, die sich nicht empfiehlt, sondern erbracht wird (zum Beispiel das Vertrauen, das Ed Carne in dem Coen-Brüder-Film The Man Who Wasn’t There dem Hochstapler Creighton Tolliver erweist).

Echtes Vertrauen ist im Gegensatz zur Kenntnis (insbesondere zum Wissen, das auf sinnlicher Klarheit beruht) nie ohne Theorie, beruht nicht auf Daten oder Fakten. Es ist spekulativ, kein innerer Zustand, sondern Produkt einer Handlung oder Übertragung.

ad absurdum …

Daten führen zu einer Deutung oder Ausrichtung des Helden, deren Sinnwidrigkeit oder falsche Vorhersicht allein der Zuschauer nachvollzieht (dramatische Ironie verwahrt die Normalität bei ihm). Die Normalität wird hier nicht Opfer des Mutwillens, sondern ihrer eigenen Denke; Klugheit wird nicht ausgeschlagen, sondern stellt sich selber ein Bein.

Verwechslung und Missverständnis verkörpern sich in einem „bucklicht Männlein“, und wir genießen zu sehen, wie’s die verwirrten Parteien behelligt und sie sich abmühen, mit ihm fertig zu werden. Wobei nicht gespottet, sondern begeistert gelacht wird (denn Spott würde gerade‘ das Loch im Normalen – den Kanal ins Jenseits – verdecken).

[Spott will die Ungereimtheit gerade abwürgen, ihre Komik, um die Würde des Alltags zu bewahren. „Schluss mit der Komödie!“ gehört in die asketische Tradition der zwanghafte Spötter. Echte Komödie hört nicht auf mit der Bloßstellung, sondern macht dann erst weiter. Spott oder Obszönität möchte das Geheimnis der vorherrschenden Ordnung schützen, die durch diese oder jene „komische Scharade“ gefährdet wird.]

Wiederhergestellt wird die Vorsicht dann bestenfalls auf gleichberechtigterem Niveau. Die falschen Vorhersagen oder Rollen, welche die Figuren vorübergehend einnahmen, bahnen im Vergleich zu ihren Vorläufern die Ausbildung einer neuen Normalität an.

Trieb

Mechanik ist nicht lachhaft, sondern erquickend

Sein untoter Kern oder Quell zeigt sich in den Brüchen des Seins. Diese verdeckt die Normalität. Wiederholung – etwa vermittels des (wirklichen oder vorgestellten) Doppelgängers – artikuliert das Untote. Der Trieb will zurück, immer wieder.

Die Philosophin erweitert Bergsons Definition des Lachens. Es spottet nicht über das Untot-Mechanische, sondern ergötzt sich an ihm.

Immer schon da

Während die Tragödie etwas Außergewöhnliches erreichen oder aus der Welt schaffen möchte, setzen Liebesfilm oder Komödie es rücksichtslos um.

Die Komödie sättigt uns mit unmittelbarem Genuss, der nicht erfolgt, sondern überrascht, ermöglicht durch die Sabotage oder Aufhebung der normalen Erwartung.

Fehler und Irreführungen entfesseln eine Überbefriedigung. Diese kann schüchtern eingeholt werden durch die Erfindung von Gründen (Schaffung ihrer Geschichte oder Wiedereinsetzung des Willens). Eine Liebesbegegnung ist nie ein Moment reinen Glücks, in dem „alles zusammenkommt“. Geht immer einher mit Verblüffung, Verwirrung, dem Gefühl, dass wir über etwas verfügen, von dem wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen. Dabei durchaus angenehm.

Missverständnisse, das Verfehlen einer wirklichen Begegnung, die Verrechnungen, Fehler, falsche Darstellungen, Lagen oder Bewegungen, Verkennungen, Missdeutungen, Missetaten, Fehltritte und Fehlschüsse, die einen in der Tragödie zur Verzweiflung treiben, bahnen in der Komödie oder Liebe den Weg zum Genuss.

Beharrlichkeit

Was wir wiederholen, verliert – als Kopie – an Eigentlichkeit, geht aus dem Leim und gibt frei, was es anstößt.

Der hartnäckige Versuch, der aufgrund seines Wiederholungscharakters den Bereich des Heroischen verlässt, wirkt komisch – nicht durch sein Scheitern, sondern durch den Genuss, den seine Zähigkeit auswäscht. Es tut sich damit etwas Vorpersönliches, das die Tragödie adelt, die Komödie umsetzt.

Die Tragödie hadert mit der Kehrseite der Normalität, die Komödie ergötzt sich an ihr – weitet sie aus. Sie äfft „mechanisch“ die Bedingungen der Subjektwerdung nach, nicht tragisch durch eine narrative Deutung des folglichen Schicksals, sondern durch Revitalisierung des Grund-Dilemmas, welches das Subjekt verursachte.

Die Komödie thematisiert das Auftauchen des Ichs aus dem Unsinn.

Anhang

Vergnügen

Das menschliche Vergnügen ist eine Frucht der „Kastration“: etwas aus dem Leib Geschobenes, an dem es baumelt. Aus seinem Exil besetzt und sprengt es die Ordnungen, von denen es verdrängt wurde. Als reines Vergnügen trägt es zu nichts außer ihm selbst bei. Sonst stört’s nur. Darin besteht das Subjekt: in Regeln und deren Verletzung.

Das “aufgepfropfte” Vergnügen als metonymisch flottierendes Extra ist ein wesentlicher Motor der Komödie. Die Symptome, in denen es sich umsetzt, der Fimmel oder die Aushebelung des Verstandes, sind das komische Material. Vergnügen bereiten nicht Macke oder Täuschung, sondern die Hartnäckigkeit des komischen Vormarsches.

Vergnügen ist immer parasitisch: fehl an dem Ort, an dem es sich verkörpert. In der Tragödie ist dieses “Ding” Sache der Hauptfigur, die Unmöglichkeit, auf die sie hinauswill – in der Komödie sind es die durchdrehenden Kehrseiten der herrschenden Ordnung, deren Maßlosigkeit unser Lachen erregt.

McGuffin

Die Ikone oder Deutung des leeren Vergnügens, sein “Ding”, ist der Phallus, verkörpert in den prallen Gegenständen der Komödie. Wenn in ihr ein Schrank aufgerissen wird, befindet sich dort immer ein Liebhaber. In der Tragödie ist er leer.

Bucklicht Männlein

Die Komödie verkörpert die Universalie – im Kurzschluss zwischen Sex und Abrichtung (Begehren und Wissen). Sie ist damit an der empfindlichsten und brenzligsten Stelle der Normalität angesiedelt, an dem Punkt, an dem sie entsteht und sich erneuert, zerrissen und verquickt wird, sich verfestigt oder verwandelt.

Realistisch an der Komödie ist nicht ihre Bedachtheit auf den Boden der Tatsachen, sondern ihr Blick auf das Verhältnis von Begehren und Übung, ihr Wissen, dass etwas in uns ein Eigenleben führt, sobald wir sprechen, in jedem Moment unseres Lebens.