Traum der Roten Kammer – Romananfang

Nachdem ich es im Staub der Welt zu nichts gebracht hatte, fielen mir plötzlich all die Mädchen von damals wieder ein. Sorgfältig dachte ich über jede von ihnen nach, verglich sie untereinander und kam zu dem Schluss, dass sie mich in Verhalten und Wissen allesamt übertrafen. Ich, ein stattlicher Mann, komme nicht diesen Mädchen gleich! Scham empfinde ich mehr als genug, aber Reue ist sinnlos, denn es ist viel zu spät, um noch etwas zu ändern. So möchte ich jetzt über die kaiserliche Huld und die Tugend meiner Ahnen, auf die ich mich einst stützen konnte, über die Zeit, da ich Gewänder aus Brokat und Hosen aus Seide trug und mich an süßen und fetten Speisen satt essen konnte, und darüber, wie ich mich von der Gnade der Erziehung durch Vater und Brüder abgewandt und der Güte der Unterweisung durch Lehrer und Freunde den Rücken gekehrt habe, wodurch heute die Schuld auf mir lastet, dass keine einzige meiner Fähigkeiten ausgebildet und mein halbes Leben vertan ist, ein Buch schreiben, um aller Welt zu sagen: Mein Vergehen ist wahrlich unverzeihlich, aber unter den Mädchen waren unstreitig Talente, die auf gar keinen Fall mit der Vergessenheit anheimfallen dürfen, nur weil ich nichtswürdig bin und meine Fehler verbergen möchte.

Wenn auch heute mein Dach mit Schilf gedeckt und mein Fenstergitter aus Kräuterstengeln geflochten ist, wenn auch mein Herd aus Ziegeln gemauert und mein Bett mit Stricken bespannt ist, erfrischt mich doch morgens und abends der Wind und der Tau; neben der Plattform meines Hauses wachsen Weiden, und im Hof blühen Blumen – was sollte mich also hindern, ans Schreiben zu denken? Ich habe zwar nichts gelernt und verfüge nicht über literarische Gaben, aber was kann mich abhalten, mit erdachten Worten in ländlich plumper Sprache eine Geschichte zu erzählen, um den Mädchen ein Denkmal zu setzen und die Augen der Welt zu erquicken? Den Leuten die Trübsal zu vertreiben, hat das nicht auch einen Sinn?