GESCHICHTE DES MÄNNLICHEN ELEMENTS – biologische Spekulationen nach Lester Ward

Das männliche Element taucht in der Natur erstmals zweifelhaft und kaum unterschieden auf im Hermaphrodismus der Hohltiere – als winziger Parasit, der sich an ein Weibchen anklammert, das fünfzig bis hundertmal so groß ist wie er und ihn bei sich trägt als ein bloßes Instrument der Befruchtung. Auch die meisten rankenfüßlerartigen Tiere sind Hermaphroditen, bei einigen von ihnen tauchen zwergenartige Männchen auf, die im Grunde nur aus dem bestehen, was sie zu ihrer Funktion brauchen. Man kann zwei bis vier davon auf den Weibchen feststellen. Sie treten weiterhin bei der Gattung der schalentierartigen Mitesser auf.

Das männliche Element beginnt seine biologische Laufbahn als Ergänzungsgeschöpf, das Stoffe in sich aufspart und immer mehr bestrebt ist, sie aufzusparen: verfügbare, für die Sache der Gattung noch unverwendete und je nach Typ formbare Bausteine – Variationsmaterial.

Bei den niederen Arten sind die Männchen stets in Überzahl, existieren rein zu Zeugungszwecken und gehen mit der Erfüllung ihrer Aufgabe zugrunde. Mit dem Männlichen kommt der Überfluss von zum Nutzen der Gattung unverwendeter Materie ins Spiel. In dem Maße, in dem auf der Stufenleiter der Tiere die Zahl der männlichen Individuen pro Weibchen abnimmt, fassen sie diesen Überfluss zusammen und realisieren ihn in sich selbst.

Worauf es ab ovo ankommt: dass kein Weibchen unbefruchtet bleibt. Daher die unentwegte Überproduktion an männlichem Element. Während das Weibchen infolge nur einer Befruchtung ganz von der Gattung eingenommen wird, bleibt das Männchen verfügbar, ausgestattet mit männlicher Kraft, die es spontan weder der Ernährung des Weibchens noch dem Schutz der Jungen zuwendet.

Bei den niederen Arten bleibt den meisten Männchen wegen ihrer Überzahl der Koitus versagt. Nimmt ihre individuelle Mehrheit im Verhältnis zu den Weibchen ab, bleibt es doch beim Überangebot an Zeugungssubstanz, also Variationsstoff.

Bei allen höheren Arten wird das Männchen notgedrungen zum Prunkgeschöpf, fähig des Gesangs, der Kunst, des Sports oder der Intelligenz – des freien Spiels. Während das Weibchen ein Gewebe aufbaut, indem es niedere Energien durch die Assimilation der organischen Substanzen auf ihre eigene Ebene hebt.

Der männliche Schmuck, seine Verführungsmittel, sind eitles Zuschaustellen lebloser Bildungen, Zeichen unsinnigen Aufwandes und maßloser Verschwendung. Die prächtigen Farben der Schmetterlinge sitzen auf kleinen Schuppen, die nicht das Geringste zum Leben beitragen. Die Farben der Vögel bilden sich in Federn, welche leblos sind. Wie die Blüte der Kunst, der Bildhauerei oder Malerei sich gerade an den Teilen der griechischen Tempel oder der Kathedralen entfaltet, die keinem parktischen Zweck dienen. (So erklärt man sich auch die Bildung der Tempelfriese, die unter den ästhetischen Endzweck fallen, da sie der Nützlichkeit entzogen sind.)

Das Weibliche ist so gesehen das Geschlecht der natürlichen Vorsorge, das männliche das der prunkvollen, unproduktiven Verschwendung. Das Weibchen hütet das Erbe, das Männchen liefert dessen Variation. Welche der Reglung bedarf. Während es die Männchen treibt zu befruchten, führt die Existenz der Weibchen zu Aussonderung oder Aufteilung in tüchtige Varianten, die erfolgreich sind, und den Rest, welcher versagt.

Der Aufwand, welchen die Natur im Männlichen betreibt, steht in keinem Verhältnis zum Resultat. Bei den Maikäfern kommt ein Weibchen auf 300 Männchen. – Der Wind schüttelt dichte Pollen-Wolken von den Koniferen, um ein paar wenigen Körnern die Möglichkeit zu bieten, zufällig eine Eizelle zu befruchten. Der Geschlechtstrieb ist mit anderen Worten unbestimmt, die Natur ersetzt die Genauigkeit ihrer Schüsse durch Menge. Es liegt keine Absicht in der Wollust. Sie begleitet den Zeugungsakt, ist sich dabei aber selbst genug. Man muss nicht zeugen, um Lust zu empfinden.

Hingegen reicht mitunter ein bestimmter Anblick, ein Geruch, um in Stimmung zu kommen. Ein Mann, der vor kurzem mit einer Frau schlief, kann durch ihren Geruch, den er noch ausströmt, einen anderen Mann in Erregung versetzen.

Auch das Weibliche ist nicht körperlich auf das Männliche angewiesen, um Lust zu empfinden. Dass es zu einer Zeugung kommt, ist eher ein Begleitumstand. Der weibliche Geschlechtstrieb ist ebenso unbestimmt wie der männliche. Sollte es, einem verborgenen Bedürfnis seiner Organe gehorchend, nach Befruchtung verlangen, so ist ihm doch nur ungefähr nach Wollust, nicht unbedingt nach dem Männchen. Wie eben das Männchen nicht geradezu das Weibchen, noch weniger die „Zeugung“ begehrt, sondern alleine Wollust. Männchen wie Weibchen suchen in erster Linie Genuss. Wobei es sein mag, dass beider Organe nur im Koitus völlig zur Auswirkung kommen können – was sie aber nicht von Haus aus oder nur dunkel zu wissen scheinen.

Damit es zur Befruchtung kommen kann, müssen zwei eher unbestimmte Begierden zusammentreffen. Der Sieg über das Unorganische, den Tod, ist eine Folge der Verschwendung in der Natur. Der Triumph des Organischen verdankt sich einem unerhörten Aufwand, der jede Menge Ausschuss produziert, aus welchem sich Kunst, Geist und freies Spiel entwickeln. Wie das Weibchen sich hingibt an die Gattung so das Männchen an seine Kunst, an seinen Sport, an seinen Gesang.

Erst wo das Verlangen bestimmter wird, wird die Überzahl der Männchen unnötig, damit die Prächtigkeit ihres Äußeren, welches dann bald auch von jener der Weibchen übertroffen wird (etwa im Fall der Gottesanbeterinnen).