La Rochefoucauld BETRACHTUNGEN

Mittelmäßige Geister verurteilen gewöhnlich alles, was über ihren Horizont geht.

Wie es das Kennzeichen großer Geister ist, mit wenig Worten viel zum Ausdruck zu bringen, so haben die kleinen Geister hingegen die Gabe, viel zu reden und nichts zu sagen.

Wir sprechen fast nur denen gesunden Menschenverstand zu, die unserer Meinung sind.

Jedermann beklagt sich über sein Gedächtnis, aber niemand über seine Urteilsfähigkeit.

Wenige sind weise genug, fördernden Tadel trügendem Lobe vorzuziehen.

Schmeichelei ist eine falsche Münze, die ihren Kurswert nur durch unsere Eitelkeit erhält.

Es gibt nur eine Liebe, aber tausend verschiedene Nachahmungen.

Wenn wir keine Fehler hätten, würden wir nicht mit so großem Vergnügen Fehler bei anderen entdecken.

Die meisten Menschen haben wie Pflanzen verborgene Eigentümlichkeiten, welche der Zufall aufdeckt.

Trennung lässt matte Leidenschaften verkümmern und starke wachsen.

Die Liebe kann, wie das Feuer, nicht ohne ständigen Antrieb bestehen; sie hört auf zu leben, sobald sie aufhört zu hoffen oder zu fürchten.

Wir lieben immer die, welche uns bewundern, aber nicht immer die, welche wir bewundern.

Es ist die gleiche Festigkeit, mit der wir der Liebe zu widerstehen vermögen und durch welche diese erstarkt und dauert; daher sind schwache Menschen, die immer von Leidenschaften getrieben werden, fast niemals wirklich von ihnen erfüllt.

Die Trägheit unseres Geistes ist größer als die unsres Körpers.

Nichts hindert so sehr daran, natürlich zu sein, wie der Wunsch, es zu scheinen.

Warum können wir uns an die kleinste Einzelheit eines Erlebnisses erinnern, aber nicht daran, wie oft wir es ein und derselben Person erzählt haben?

Die wahre Beredsamkeit besteht darin, das zu sagen, was zur Sache gehört, und eben nur das.

Alte Narren sind närrischer als junge.

Man weist ein Lob zurück in dem Wunsch, nochmals gelobt zu werden.

Wir haben alle Kraft genug, um die Leiden anderer zu ertragen.

Es gibt wenig Frauen, deren Wert ihre Schönheit überdauert.

Schüchternheit ist ein Fehler, den man nicht tadeln darf, wenn man ihn heilen will.

Zu viel Fleiß im Kleinen macht meistens unfähig zum Großen.

Es erfordert größere Tugenden, das gute Geschick zu ertragen als das Böse.

Mit der wahren Liebe ist’s wie mit den Geistererscheinungen: alle Welt spricht darüber, aber wenige haben etwas davon gesehen.

Wir würden kaum etwas glühend verlangen, wenn wir das Verlangte ganz kennen.

In der Freundschaft wie in der Liebe ist man oft glücklicher durch das, was man nicht weiß, als durch das, was man weiß.

Meister der Beredsamkeit ist der, der alles Nötige sagt und nur dies.

Manche Menschen gelten nur deshalb etwas in der Welt, weil ihre Fehler die Fehler der Gesellschaft sind.

Es ist schwerer, Gefühle, die man hat, zu verbergen, als solche, die man nicht hat, zu heucheln.

Was man auch Gutes über uns sagen mag: Man sagt uns nichts Neues.

Wer ohne die Welt auszukommen glaubt, irrt sich. Wer aber glaubt, dass die Welt nicht ohne ihn auskommen könne, irrt sich noch viel mehr.

Man sollte sich darüber wundern, dass man sich überhaupt noch wundern kann.

Man ist nie so lächerlich durch die Eigenschaften, die man besitzt, wie durch jene, die man zu haben vorgibt.

Mit nichts ist man so freigebig wie mit seinen Ratschlägen.