Empfang bei König Attila

Gesandschaftsbericht des byzantinischen Diplomaten Priskos

Irgendwo zwischen Donau und Theiß – Ungarn

Nach unserer Rückkehr in das Zelt kam Tatulos, der Vater des Orestes, und sagte, Attila lade uns beide [Priskos reiste mit seinem Kollegen Maximinos] zum Gastmahl ein. Es werde um die neunte Stunde des Tages stattfinden.

Da wir den richtigen Zeitpunkt beachteten und, zum Essen eingeladen, uns zugleich mit den Gesandten der Weströmer einfanden, standen wir auf der Schwelle, Attila gegenüber.

Die Mundschenken reichten nach der Landessitte einen Becher, damit auch wir, bevor wir uns hinsetzten, einen Segenswunsch aussprachen.

Als dies geschehen war und wir alle aus dem Becher gekostet hatten, gingen wir zu den Sesseln, auf denen man beim Essen sitzen sollte. An den Wänden des Saales standen alle Sessel auf beiden Seiten. Genau in der Mitte aber saß auf einem Speisesofa Attila. Hinter ihm stand eine andere Liege, hinter der einige Stufen zu seinem Nachtlager führten, das, um einer schönen Ordnung willen, mit feinen Leinentüchern und bunten Vorhängen verhüllt war, ganz so wie Griechen und Römer es für die Brautleute ausstatten. Und für die angesehensten Plätze unter den Speisenden hielten sie die zur Rechten Attilas, für die zweithöchsten die zur Linken, wo wir waren; vor uns war Berichos, ein vornehmer Mann unter den Skythen, platziert. Onegesios nämlich saß auf einem Sessel rechts vom Lager des Königs. Gegenüber von Onegesios saßen auf einem Sessel zwei von Attilas Söhnen. Der Älteste nämlich saß auf dessen Liege, nicht nahe [bei ihm], sondern am Rand; aus Ehrfurcht vor dem Vater blickte er zu Boden.

Als alle ihrem Rang nach Platz genommen hatten, kam ein Mundschenk herbei und reichte Attila eine Schale Wein. Er nahm sie und hieß den seinem Rang nach Ersten willkommen. Der durch die Begrüßung Geehrte erhob sich; und es war ihm nicht erlaubt, sich zu setzen, bevor er entweder gekostet oder ausgetrunken und den Becher dem Mundschenk zurückgegeben hatte. Während Attila saß, ehrten ihn die Anwesenden auf dieselbe Weise, indem sie die Becher nahmen und nach der Begrüßung kosteten. Jeder [Gast] hatte einen [eigenen] Mundschenk, der der Reihe nach hereinkommen musste, wenn Attilas Mundschenk hinausgegangen war. Nachdem auch der Zweite und die Folgenden geehrt worden waren, hieß Attila auch uns in der gleichen Weise nach der Sitzordnung willkommen. Als alle mit dieser Begrüßung geehrt waren, gingen die Mundschenken hinaus, und Tische wurden neben dem von Attila aufgestellt, für je drei oder vier oder mehr Männer. Von dort konnte jeder von den auf dem Tisch liegenden [Speisen] nehmen, ohne die Sitzordnung zu stören. Und als erster kam Attilas Diener herein mit einer Schüssel voll Fleisch, und diejenigen, die allen aufwarteten, legten nach ihm Brot und Zukost auf die Tische.

Den anderen Barbaren und uns wurden kostspielige Speisen vorgesetzt, die auf silbernen Teller lagen; für Attila jedoch gab es auf dem Holzteller nichts als Fleisch. Maßvoll aber zeigte er sich auch in allem Übrigen. Den Männern des Gastmahles nämlich wurden goldene und silberne Becher gegeben, sein Trinkgefäß aber war aus Holz. Schlicht war auch seine Kleidung, die sich durch nichts anderes als durch Reinheit auszeichnete. Und weder das Schwert an seinem Gürtel noch die Bänder der Sandalen nach Barbarenart noch das Geschirr seines Pferdes waren, wie bei den übrigen Skythen, mit Gold oder Edelsteinen oder einer anderen Kostbarkeit geschmückt.

Als die Speisen, die auf den ersten Schüsseln gelegen hatten, verzehrt waren, standen wir alle auf, und nicht eher kam einer, der aufgestanden war, [wieder] auf den Sessel, als bis jeder in der früheren Reihenfolge den ihm gereichten Becher voll Wein ausgetrunken und dabei Attila Gesundheit gewünscht hatte.

Und nachdem er auf diese Weise geehrt worden war, setzten wir uns wieder, und auf jeden Tisch wurde eine zweite Schüssel mit anderen Speisen gestellt. Als alle auch davon genommen hatten und ebenso aufgestanden waren, setzten wir uns, nachdem wir ausgetrunken hatten, wieder hin.

Als es Abend geworden war, wurden Fackeln angezündet, und zwei Barbaren traten vor Attila hin und trugen Gesänge vor, in denen sie seine Siege und seine tapferen Taten im Krieg priesen. Auf diese schauten viele Gäste, und die einen erfreuten sich an der Dichtung, die anderen wurden durch ihre Erinnerung an die Kriege ganz aufgeweckt in hochfliegenden Gedanken, andere aber brachen in Tränen aus, [nämlich diejenigen,] deren  Körper aufgrund des Alters schwach war und deren leidenschaftlicher Mut gezwungen war zu ruhen.

Nach den Gesängen trat ein verrückter Skythe auf, der Seltsames, Absonderliches und nichts Vernünftiges redete und alle damit zum Lachen brachte. Nach ihm kam Zerkon der Maurusier herein. Edekon hatte ihn nämlich überredet zu Attila zu kommen, um aufgrund seiner Fürsprache die Frau zurückzubekommen, die er im Barabarenland bekommen hatte, weil er ein Günstling Bledas war. Er hatte sie aber im Skythenland zurücklassen [müssen], nachdem er von Attila als Geschenk dem Aetios gesandt worden war. Doch in einer solchen Hoffnung sah er sich getäuscht, weil Attila es ihm übelnahm, dass er zu ihm zurückkehrte.

Als er damals wegen der günstigen Gelegenheit des Gastmahls auftrat, erheiterte er alle durch sein Aussehen, seine Kleider, seine Stimme und die von ihm vermengt hervorgebrachten Worte (er sprach nämlich hunnisch und gotisch, mit Latein gemischt) und brachte sie alle zu unstillbarem Gelächter, außer Attila.

Der selbst blieb nämlich unerschütterlich und unverändert in seinem Aussehen und hielt offenbar weder durch ein Wort noch durch eine Tat das Lachen zurück, außer dass er den jüngsten seiner Söhne (er hieß Ernas), als dieser eintrat und sich neben ihn stellte, an der Wange zog, wobei er ihn mit freundlichen Augen ansah.

Und als ich mich darüber wunderte, dass er sich um seine anderen Kinder nicht kümmerte, jenem aber seine Aufmerksamkeit schenkte, sagte der neben mir sitzende Barbar, der Latein konnte und vorher gesagt hatte, ich solle nichts von seinen Worten weitersagen, die Seher hätten dem Attila prophezeit, sein Geschlecht werde untergehen, durch diesen Sohn aber wieder an Bedeutung gewinnen.
Als sich das Gastmahl bis in die Nacht hineinzog, verließen wir es, da wir nicht weiter trinken wollten.