Aurora – der ultimative SF-Roman

Aurora handelt von Menschen, die versuchen, den Weltraum zu kolonialisieren. Was den Roman von vergleichbaren unterscheidet, ist sein Realismus. Wie müsste ein Raumschiff für 2.000 Auswanderer gebaut sein? Was muss es an Bord haben? Wie lang würde die Reise dauern? Was wäre an ihrem Ziel zu erwarten?
 
Nimmt man die Sache ernst, würde die Reise zu einem der Erde relativ nahe gelegenen Sonnensystem viel mehr als 100 Jahre dauern, wenn das Raumschiff mit einem Zehntel Lichtgeschwindigkeit unterwegs wäre. Die Bremsmanöver vor Ankunft würden mehrere Dekaden dauern. Der Roman spielt alle Möglichkeiten durch. Wenn das Raumschiff z. B. 2020 sein Ziel erreichte, hätte es 1840 starten müssen (als etwa der Grundstein für den Neubau des britischen Parlamentsgebäudes Palace of Westminster gelegt wurde). Mehrere Generationen von Menschen haben sich an Bord abgelöst und müssen in Frieden gelebt haben, damit die Mission gelingt.
 
Ihre neue Heimat, die sie schließlich erreichen, ist entweder kahl oder weist Leben auf. Im ersten Fall müsste sie für viele 1.000 Jahre „aufgepäppelt“ werden, im zweiten könnte das andere Leben feindliche sein. Im Roman ist das der Fall. Die ersten Siedler werden von einem endemischen Virus oder Prion befallen, welcher sie umbringt. Unter den im Raumschiff Verbliebenen bricht ein Bürgerkrieg aus zwischen der Fraktion, die einen weiteren Siedlungsversuch auf dem Nachbarmond unternehmen möchte, und anderen, die zurück zur Erde kehren wollen.
 
Die Bevölkerung zerteilt sich, und wir sind weiter bei den Rückkehrern. Aber auch sie würden die Rückkehr nicht erleben, sondern ihre Ur-Ur-Ur-Enkel. Was ist überhaupt noch der Witz dieser Reise? Die Menschen an Bord schaffen es schließlich, sich einzufrieren, um ihre Ankunft auf der Erde persönlich zu erleben.
 
Als unendlich schwierig stellt sich heraus, das Raumschiff von seinem 1/10tel Lichtgeschwindigkeit wieder abzubremsen, als es sich unserem Planetensystem nach vielen hundert Jahren nähert. Die lebensgefährlichen Manöver dauern ca. 12 Jahre. Die aus den Eisschlaf geweckten Menschen sind zum Teil schwer beschädigt, ihre Glieder bleiben übertäubt usf. Auf der Erde ist man wenig erfreut, sie wiederzusehen, da sie für das Scheitern technologischer Fantasien stehen. Ob der auf dem Nachbarmond zurückgeblieben Teil der Siedler überlebt hat, weiß kein Mensch.
 
Der Roman ist in den technischen Einzelheiten sehr genau, realistisch. Zeigt dadurch den Wahnwitz fast aller Weltraumfantasien. Imgrund kann man keine davon mehr genießen, nachdem man Aurora gelesen hat.
 
Die Raumfahrt ist zugleich ein Sinnbild für den technologischen Vormarsch schlechthin, wie er eigentlich schon begann mit dem Bau der Pyramiden. Der technischen Art zu denken und zu hoffen werden ihre von vornherein eingebauten Grenzen veranschaulicht – und vorgeführt in einem Kavafis-Gedicht, das die Protagonisten im Roman beschäftigt:
 
Du sagtest: „Ich werde an ein anderes Land fahren,
An ein anderes Meer. Ich werde eine bessere Stadt finden
Als diese, wo jede meiner Anstrengungen zum Scheitern verurteilt
Ist, wo meine Herz – wie eine Leiche – begraben liegt.
Wie lange noch wird mein Verstand so dahinsiechen?“
Du wirst keine neuen Länder entdecken, keine anderen Meere.
Die Stadt wird dir folgen. Du wirst durch dieselben Straßen
Streifen, in denselben Vierteln alt werden.
Dein Haar wird weiß in denselben Häusern.
Wo immer du hinfährtst, hier wird deine Reise enden.
Es gibt für dich kein Schiff und keine Straße –
Gib die Hoffnung auf. Hast du deine Leben auf diesem kleinen
Fleck vergeudet, so hast du es es auf der ganzen Erde getan.
 
Der Roman hat mich schließlich an Ludwig Wittgenstein erinnert, dessen ganzer Philosophie daran lag, den Wahnsinn des Fortschritts zu entlarven, zu dem nach seinem Finden das spekulative Philosophieren selbst gehört, das ihn überhaupt erst anschiebt. Systematisches Denken läuft auf Technik hinaus und lebensgefährliche Fantasien, die etwas erreichen möchten, nicht weil es daran gebräche, sondern sie gleich davon absehen.
 
So gipfelt auch AUROA in der Pointe, dass Bedeutung für einen Menschen nur der Umgebung entspringen kann, die ihn hervorbrachte, nicht dem, was er schuf.