Marx‘ Abweichung ins bürgerliche Lager

Laut Marx entstammen die Veränderungen in der menschlichen Geschichte nicht dem Streben nach immer mehr Freiheit, sondern einem Kampf um Güter zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Materielle Bedingungen und nicht Ideale treiben uns zum Handeln.

Hegels Philosophie liefert den Grund für ein politisches Programm der Befreiung durch den Widerspruch und nicht infolge seiner Überwindung. Die freie Handlung ist eine unmittelbare Bekundung der Hartgesottenheit des Widerspruchs. Marx kommt von diesem Wege ab. Er ersetzt Hegels umstürzlerisches Programm durch ein bürgerlicheres.

Die linke Gesinnung besteht im Aufzeigen und Einbeziehen von Webfehlern, welche die Rechte überschminken oder wegbrennen möchte. Die ultrarechte Fantasie stellt sich dazu eine Radikaloperation vor durch Namhaftmachung und Ausstoßung von Verantwortlichen – die bürgerliche begnügt sich mit der Behandlung von Schönheitsfehlern durch entsprechende Gesetzgebung. Die Radikalen erleben, was widerspricht, unversöhnlicher: als Angehörige einer anderen Rasse oder Minderheit, die vernichtet werden muss. Die radikale Rechte sehnt sich nach einer sagenhaften Zeit vor dem Auftreten des Widerspruchs, an welche sie zutiefst glaubt, weil sie das Unvereinbare als Gegnerschaft und nicht Spannungsgrund erlebt, der viel entfaltet.

Linke, befreiende Politik fasst Widerspruch nicht als feindlich auf. Für sie gibt es keinen Gegner, dessen Auslöschung den Widerspruch beseitigen würde, weil dieser als grundsätzlich erlebt wird für den einzelnen wie für die Gesellschaft. Der Witz des linken Vormarsches besteht darin, Widerspruch zu genießen, indem darauf bestanden wird, dass ein Gemeinwesen sich nicht verwirklicht in seinen Siegen, sondern wo es mit sich in Streit liegt. Wer den Frieden stört, tut es im Namen der Allgemeinheit. Deren Plan jagt ihn nicht fort und ist auch nicht geeicht auf einen Zukunftstraum, in welchem fremde Eigenart sich auflöst in einer allgemeinen Zugehörigkeit. Vielmehr wird Wert gelegt auf die Nichtableitbarkeit des Widerspruchs. 

Linke Politik bezieht ein, was ausgeschlossen ist, willigt in die notwendige Bauchlandung im Umgang mit dem Widerspruch und wird nicht geblendet von der Möglichkeit, ihn einmal zu überwinden. 

Wenn die Linke den Widerspruch vernachlässigt, wendet sich ihm die Rechte zu mit dem Ziel, ihn aufzulösen: durch Namhaftmachung auszuschaltender Feinde. Die echte Linke dagegen weiß von keinen Feinden, derer sie sich entledigen könnte. Ihr Feind besteht bestenfalls im mangelnden Verständnis der grundlegenden Rolle des Widerspruchs. 

Marx deutet – im Gegensatz zu Hegel – die Geschichte nicht als Vertiefung des Widerständigen, sondern als dessen zunehmende Überwindung. Für Marx bedeutet die Befreiung Erfolg, nicht Vernunft. Alle Probleme sind lösbar. Im Widerspruch versteckt sich nur dessen Lösung, er hat keine dauernde Macht. 

Sobald die Überwindung des Widerspruchs möglich scheint, ist jedes Menschenopfer gerechtfertigt. Solange das Ziel die Beseitigung des Widerspruchs ist, verharrt man in einer Logik, die unbegrenzte Opfer rechtfertigt in einer widersprüchlichen Gegenwart.

Für eine von Hegel inspirierte Politik dagegen liegt der Zweck in den Mittlen, indem, sei er auch noch so ideal, keine Lösungen in petto sind. Das Scheitern einer Politik der Überwindung des Widerspruchs öffnet den Weg zur Erkenntnis, das letzterer das Absolute ist.