Wimmelbild des Lebens

Mit meinem Bruder im Riesenrad über das Oktoberfest gestiegen, der glühende Menschen-Attraktionen-Teppiche zu unseren Füssen, machte er mich – nicht auf das Erhabene – auf das Gleichgültige dieser Sicht aufmerksam mit der Frage, ob mir ein einzelner Menschen da unten abgehen würde, wenn er plötzlich verschwunden wäre. Wie außerordentlich vernetzt und dadurch unbedeutend wir einzelnen sind, wurde mir gestern klar anlässlich eines Theaterbesuches in der Provinz um München.

Schon dass man mal schnell fast 100 Kilometer fährt, um eine Aufführung zu besuchen in einem Zimmertheater, eine Strecke nach Feierabend zurücklegend, für die noch in meiner Jugend eine halbe Tagesreise vonnöten gewesen wäre. Und jeder der Insassen unseres Kleinwagens, der im Gewimmel der Autobahn ins Umland preschte, war beinahe schon überall in der Welt gewesen, erzählte von Afrika oder Bangkok. Die Atmosphäre war dabei nicht angeberisch, sondern freundlich-polyglott. Notwendig aber auch berührungslos, über den nur so sich vermehren könnenden Erlebnissen schwebend wie über den nie ausrollenden Programm-Ikonen der Datenstrom-Serien-Angebote für digitale Flaneure.

Als wir hinterher noch mit den Schauspielern etwas am Tresen standen, zeigte sich, dass jeder von uns noch vor wenigen Stunden vollkommen andere Raum-Koordinaten besetzt hatte. Zwei der Anwesenden waren tags zuvor mit dem Sprinter in der Hauptstadt gewesen, ein angehender Arzt, um kurz bei seiner Freundin zu schlafen, einer der Schauspieler, um ein paar Sätze GoT zu synchronisieren. Sein Kollege musste in 12 Stunden an einem weit entfernten Theater spielen. Die meisten Schauspieler sind inzwischen Wanderarbeiter. Aber wer bewegt sich heute eigentlich nicht hin und her die meiste Zeit? Selbst mit meinem Fahrrad lege ich am Wochenende 100 Kilometer zurück, sonst würde mir etwas fehlen. Das Gefühl, nie anzukommen?

Auf der Nachhausejagd um Mitternacht im Auto redeten wir über die Optimierung des Menschen durch künstliche Gaben. Der Mediziner, der in der Forschung arbeitete, skizzierte als Ergebnis von Tier-Experimenten die Möglichkeit, den menschlichen Körper in kaum vorstellbarer Weise zu pimpen. Eine Rasse von Superhelden sei in petto. Die Beweglichkeit nimmt weiter zu, die Verachtung des Standpunktes.