Deleuze, Derrida und Foucault stehen zunächst in einem ganz anderen philosophischen Klima als Merleau-Ponty, Wittgenstein, Blondel oder Rosenstock-Huessy – doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich Berührungspunkte, aber auch fundamentale Unterschiede. Man könnte sagen: Sie ergänzen, verschieben und überschreiten manche der genannten Positionen – aber sie greifen auch dort zu kurz, wo das leiblich-gesprochene Subjekt als Ursprung von Sinn in seiner positiven Verwobenheit mit Welt und Gemeinschaft ernst genommen wird.
Hier ein differenzierter Überblick:
🧩 1. Was sie gemeinsam haben
✦ Kritik am Subjekt-Mythos
Alle drei – Deleuze, Derrida und Foucault – kritisieren die Vorstellung eines autonomen, geschlossenen, selbstbewussten Subjekts. Damit stimmen sie Merleau-Ponty, Wittgenstein und Blondel grundsätzlich zu: Das Ich ist kein Ursprung, sondern Effekt von Beziehungen, Diskursen, Körpern, Sprache.
✦ Misstrauen gegenüber Systemen
Wie auch bei Wittgenstein und Merleau-Ponty ist bei Deleuze, Derrida und Foucault die Philosophie kein Systembau, sondern eine Bewegung, eine Praxis, ein Eingreifen – sei es im Denken, in Texten oder im gesellschaftlichen Feld.
🧠 2. Was sie anders machen
◉ Deleuze: radikale Immanenz ohne Verkörperung
Deleuze (oft mit Guattari) denkt Denken als Ströme, Intensitäten, Differenzen – nicht als Ausdruck eines Körpers oder einer leiblichen Weltbeziehung. Wo Merleau-Ponty vom „Fleisch der Welt“ spricht, geht Deleuze einen Schritt weiter: Er entleert das Subjekt, ersetzt es durch Maschinen, Rhizome, Prozesse.
→ Das eröffnet eine große Freiheit, aber es fehlt das, was bei Merleau-Ponty und Rosenstock-Huessy grundlegend ist: die konkrete Leiblichkeit, die Stimme, das soziale Gegenüber.
◉ Derrida: Differenz, Schrift, Aufschub
Derrida zerlegt die Idee eines „Ursprungs“ von Bedeutung – auch dort, wo Merleau-Ponty oder Blondel noch auf eine leiblich getragene oder religiös fundierte Grundstruktur vertrauen. Sprache ist bei Derrida immer verspätet, nie präsent, sondern ein Spiel von Spuren und Verschiebungen (différance).
→ Er schärft den Blick für die Unsicherheiten des Sprechens, für die Klüfte im Sinn – aber man könnte sagen: Er entfernt sich von jeder positiven Grundlegung menschlicher Weltbeziehung, wie sie bei Wittgenstein („Sprachspiel“), Rosenstock („Antwort“) oder Merleau-Ponty („Verkörperung“) noch angedeutet ist.
◉ Foucault: Diskurs, Macht, Subjektivierung
Foucault zeigt, wie das, was wir denken und fühlen, durch Diskurse erzeugt wird – durch historische Machtverhältnisse, durch Institutionen, durch Wissensordnungen.
→ Das ist eine wichtige Ergänzung: Wo Wittgenstein und Merleau-Ponty oft beim Alltag oder beim Sichtbaren bleiben, fragt Foucault: Woher kommt das, was du für normal hältst? Wer hat daran gedreht?
→ Aber: Foucault lässt kaum Raum für eine produktive, schöpferische Positivität des Subjekts. Der Mensch wird zum Effekt, nicht zum Mitgestalter.
🧭 3. Ergänzung oder Verlust?
Man kann sagen:
- Foucault ergänzt die anderen durch eine historisch-politische Tiefendimension: Er zeigt, was unter der Oberfläche wirkt, was mit uns gemacht wird.
- Derrida zeigt, wie jede Sicherheit wankt, auch die des gesprochenen oder geteilten Sinns.
- Deleuze reißt die feste Form des Subjekts ganz auf, um Raum für Bewegung, Werdensformen, neue Kollektive zu schaffen.
Aber:
Wer nach einer Philosophie sucht, die den Menschen als leiblich sprechendes, antwortendes, weltverwobenes Wesen ernst nimmt, wird bei Deleuze, Derrida und Foucault nicht fündig. Sie verschärfen, dekonstruieren, zerlegen – und tun das brillant –, aber sie ersetzen das verlorene Maß nicht.
Rosenstock-Huessy sagt einmal: „Wer zerstört, muss auch segnen können.“
Deleuze, Derrida und Foucault können viel zerstören – mit gutem Grund. Aber die Frage ist, ob sie auch neue Formen des Zusammenhangs denken können, wie sie Merleau-Ponty im Begriff des Fleischs, Wittgenstein im Sprachspiel, oder Blondel im Handeln andeuten.
📌 Fazit
Deleuze, Derrida und Foucault ergänzen die genannten Denker dort, wo es um Kritik, Dekonstruktion und historische Tiefenschärfe geht. Sie greifen aber zu kurz, wenn es darum geht, den Ursprung von Sinn, Weltbezug und Subjektivität in der leiblich-sprachlichen Erfahrung des Menschen zu verorten.
Insofern lassen sich beide Denkfamilien als Gegenpole und zugleich als komplementäre Horizonte lesen:
Die einen wollen uns zeigen, was wir verlernt haben zu spüren.
Die anderen, warum wir es verlernen mussten.