… ist eine dieser Aufforderungen oder Direktiven, die mich jedes Mal in Verlegenheit bringen. Auch dramaturgisch hab‘ ich “Selbstwerdungsgeschichten” nie verinnerlicht – fand sie entweder läppisch oder sogar bedrohlich. Es ist wie mit der Rückkehr zu den eigenen Wurzeln: wenn ich (wie neulich) die Schauplätze meiner Kindheit oder Jugend nochmal aufsuche. Ich empfinde dabei eher etwas, dem ich entflohen bin (heimische Gefühle stellten sich nicht ein).
Die französische Komikerin Blanche Gardin weist darauf hin, dass „Carpe diem“ ein Buchstabenspiel für „ça déprime“ (das zieht runter) ist. Wenn wir „ganz bei uns“ sind – ist das in Wirklichkeit nicht eher eine Lage, der wir entkommen möchten? Vielleicht liegt das befriedigendere Ziel persönlicher Entwicklung mehr in der Entfremdung und Freiheit, die sie von Identität und Eigensinn bietet. Denn, wie schon Dávila wusste: Die Idee der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“ klingt großartig – solange man nicht auf Individuen stößt, deren Persönlichkeit sich frei entfaltet hat.